Der
politisch-ideologische Werdegang des Roger Garaudy:
Oder: Die schrittweise Zerstörung der Vernunft
Buchbesprechung von
Bernard Schmid, Paris
Der
heute 94jährige ist so ziemlich alles in seinem Leben gewesen: Roger Garaudy
war nacheinander Protestant, Katholik, Muslim. Aber auch "Hausphilosoph" der
Französischen kommunistischen Partei bis zu seinem Parteiausschluss im Jahr
1970, später Anhänger der Befreiungstheologie in Lateinamerika,
"Präsidentschaftskandidat" in eigener Sache. Und schließlich wurde er
Auschwitzleugner und, ipso facto, Antisemit. Ein ideologischer
Geisterfahrer sozusagen.
An einem bitterkalten Januarabend, vor nunmehr zwölf Jahren, erschien die
liberale Pariser Abendzeitung Le Monde mit einer relativ
unscheinbaren Artikelankündigung auf ihrer Aufmacherseite. Der Titel
lautete: "Der frühere KP-Philosoph Roger Garaudy unterstützt in einem neuen
Buch negationistische Thesen." Obwohl es sich nur um einen kleinen
Ankündigungskasten auf der Seite Eins handelte, war klar, dass der im
Innenteil der Zeitung veröffentliche Artikel hochexplosiven Inhalts war. Ein
politisch-ideologischer Damm schien eingerissen.
Der Begriff des Negationismus, statt des bis dahin gebräuchlichen Worts
"Geschichtsrevisionismus", hat sich seit einer Buchveröffentlichung des
Historikers Henry Rousson von 1987 in Frankreich schrittweise durchgesetzt.
Die Begründung dafür lautet, dass es die normale Arbeit eines jeden
Geschichtswissenschaftlers sei, historische Urteile ständig zu revidieren
und auf einen neuen Wissensstands zu bringen – die bewusste Leugnung der
Realität des Holocaust, der Shoa damit jedoch keinesfalls auf eine Stufe
gestellt werden könne. Seitdem beanspruchen in Frankreich die notorischen
Auschwitzleugner den Begriff "Revisionismus" für sich und ihre Tätigkeit für
sich, während sie von Außenstehenden fast nur noch als Negationisten, also
Verneiner oder Leugner, bezeichnet werden.
Tatsächlich bewahrheitete sich bei der näheren Lektüre des damaligen ersten
Artikels über Garaudys neue Thesen, dass die Angelegenheit hochbrisant war
und der ehemalige Abgeordnete und "Hausphilosoph" der französischen KP, der
freilich schon 1970 aus der Partei ausgeschlossen worden war, wirklich auf
den Pfaden der Auschwitzleugner wandelte. Im Spätherbst 1995 war sein Buch
Les mythes fondateurs de la politique israëlienne (Die
Gründungsmythen der israelischen Politik) zunächst als Sonderausgabe der
seit langen Jahren auf Negationismus spezialisierten und nur "Eingeweihten"
bekannten Zeitschrift La Vieille Taupe (Der alte Maulwurf)
erschienen. Darin wird der durch die Nazis begangene Genozid an den
europäischen Juden als ein "Mythos" dargestellt, der zur ideologischen
Unterstützung und Rechtfertigung der israelischen Militär- und
Besatzungspolitik diene, ja dafür geschaffen worden sei und – so Garaudy -
auf einer Stufe mit den dafür ebenfalls in Anspruch genommenen biblischen
Legenden aus dem Alten Testament stehe.
Die Auflage, die für diese erste Version insgesamt 1.000 bis 2.000 Exemplare
betrug, ging überwiegend an Abonnenten, während circa 50 Exemplare über die
damalige Pariser Neonazi-Buchhandlung L’Aencre vertrieben wurden. Die
Öffentlichkeit nahm darum verspätet von den darin enthaltenen Thesen
Kenntnis. Eine zweite Auflage, die für ein breiteres Publikum bestimmt und
an einer Reihe von Stellen entschärft worden war, befand sich damals in
Vorbereitung. Sie erschien im Frühjahr 1996 als Samizdat, also "Eigendruck"
auf Selbstkosten des Verfassers, in Anlehnung an eine einstige Bezeichnung
für die russische Untergrundpresse. Denn Garaudy hatte keinen etablierten
Verlag gewinnen können. Nachdem der Inhalt aber für die Medien einmal
ruchbar geworden war, kam der Skandal – der, so zeigt es ein jüngst in Paris
erschienenes Buch akribisch auf, durch den erfahrenen Herausgeber von La
Vieille Taupe namens Pierre Guillaume von vornherein einkalkuliert
worden war und ihm als Resonanzboden diente – ins Rollen. Die Aufmerksamkeit
war entsprechend riesig. In Frankreich, so die Autoren des neuen Buches,
Michaël Prazan und Adrien Minard unter Berufung auf Angaben Roger Garaudys
während seines Strafprozesses im Jahr 1998, seien rund 25.000 Exemplare
davon verkauft worden. Meist unter dem Ladentisch. Aber dank Übersetzungen
in 23 Sprachen gehe Garaudy selbst davon aus, dass rund eine Million Leser
von 1996 bis 1998 sein Buch konsumiert hätten. Um eine möglichst weite
Verbreitung zu garantieren, habe Garaudy auf jegliche Autorenrechte bei
Übersetzungen und auch auf jede Kontrolle deren Inhalts von Anfang an
verzichtet.
Who the
fuck is Roger Garaudy?
Aber wer war dieser Roger Garaudy überhaupt? Das breitere Publikum wusste,
zum damaligen Zeitpunkt, nicht wirklich viel über ihn. Die Älteren
erinnerten sich dagegen, dass der Mann einige Jahre vor seinem
Parteiausschluss 1970 durchaus verdienstvolle oder prestigereiche Rollen
bekleidet habe. In der französischen Nationalversammlung hatte er zeitweise
den Abgeordnetensitz inne, auf dem einst der grobe
historische Sozialistenführer Jean Jaurès – der als Kriegsgegner im August
1914 durch einen Chauvinisten ermordet wurde – gesessen hatte. Als
KP-Politiker bezog er recht klare antikoloniale Positionen, schärfere, als
die Partei sie damals offiziell verfechten mochte. Seinem Ausschluss aus der
französischen KP ging seine Opposition gegen den sowjetischen Einmarsch in
die Tschechoslowakei im Herbst 1968 voraus. Danach, so erinnerte man sich
dunkel, habe Garaudy verschiedene religiöse Konversionen durchlaufen.
Nacheinander sei es Protestant, Katholik und schlussendlich Muslim geworden.
Man wurde nicht richtig schlau aus dieser so häufig konvertierten
Persönlichkeit. Was, zum Teufel, konnte ihn nur geritten haben, ausgerechnet
im Fahrwasser der Auschwitzleugner zu landen und als Stichwortgeber für
Neonazis und andere Antisemiten unterschiedlicher Couleur zu dienen?
Dank des in diesem Jahr bei Calmann-Lévy erschienenen umfangreichen Werks
von Prazan und Minard sieht man jetzt um Einiges klarer. Über Jahre hinweg
haben die beiden Autoren die gesamte Vita Roger Garaudys ausgewertet, 1998
haben sie an seinen beiden Pariser Prozessen – dem Strafverfahren und dem
Berufungsprozess, in dem das Strafmaß für Garaudy verschärft wurde –
teilgenommen. Und sie zeichnen ein Bild, das zum Teil Bekanntes bestätigt,
zum Teil aber auch in völlig neuem Lichte darstellt oder unbekannte
Informationen liefert.
So zerstören die beiden Verfasser den Irrtum, Garaudy habe seine religiösen
Konversionen erst begonnen, nachdem er der französischen KP bereits -
gezwungenermaßen – den Rücken gekehrt habe. Diese Annahme ist nämlich
falsch. Garaudy wurde 1913 in einem mutmaßlich atheistischen Elternhaus in
Marseille geboren. Seine Familie zählte zum Mittelstand, wurde jedoch durch
die körperliche und geistige Zerrüttung des Vaters bei seiner Rückkehr aus
dem Ersten Weltkrieg zum Opfer einer sozialen Deklassierung. Der junge
Garaudy, auf der Suche nach einem Engagement und wahrscheinlich auch einem
weltanschaulichen Halt, schloss sich einem parteikommunistischen Engagement
an, bekehrte sich aber zeitgleich während seiner Philosophiestudien auch zum
Protestantismus. Anlässlich seines Parteibeitritts machte er es im Übrigen
zur Bedingung, dass er – in einer damals überwiegend vom militanten
Atheismus geprägten KP – seinem Glauben nicht abschwören durfte. Er durfte
ihn nicht nur beibehalten, sondern seitens der Partei glaubte man, in einer
Phase der Entwicklung und Ausdehnung ihrer politischen Bewegung über einen
"atypischen" Intellektuellen wie Garaudy den Brückenschlag in neue, ihr bis
dahin verschlossen gebliebene Milieus schaffen zu können.
Garaudy selbst schuf sich, durch diese Aushandlung einer weltanschaulichen
Sonderbedingung und durch sein doppeltes Engagement, einen ganz persönlichen
Status innerhalb der Partei. Vermeintlich garantierte er ihm intellektuelle
Selbständigkeit in einer damals doch eher eindeutig autoritär strukturierten
KP. In Wirklichkeit aber, so schält sich bei der Lektüre von Prazan und
Minard heraus, wurde dieser Sonderstatus mit dem "doppelten Standbein" für
Garaudy schon früh zum Garanten für intellektuelle Beliebigkeit, für die
Möglichkeit zum willkürlichen Zusammenrühren miteinander kaum vereinbarer
Ideologieversatzstücke. Und weil Garaudy, als Mann des "Dialogs der
Kommunisten mit den Gläubigen", schon früh auf sehr unterschiedlichen Seiten
als Referent oder Autor gefragt war, wurde er schnell zum Vielschreiber –
der aber zugleich, unter permanentem Zeitdruck stehend, eine immer gröbere
Denkfaulheit entwickelte. In seinem Leben hat Roger Garaudy insgesamt 56
Bücher veröffentlicht. Ein Gutteil davon, so weisen Prazan und Minard ihm
jedenfalls ansatzweise nach, besteht aus Plagiaten und der Zusammenfassung
von Gedanken, die Andere vor ihm gefasst und formuliert haben. Das gilt
übrigens bis hin zu seinen negationistischen Ergüssen, die – aus
Altersgründen – zu seinen letzten Veröffentlichungen gehören, aufgrund derer
der prominente Auschwitzleugner Robert Faurisson ihn des Plagiats durch
ungekennzeichnete Übernahme langer Zitatstränge zichtigt.
Gleichzeitig scheint Garaudy – im Nachhinein betrachtet – schon immer einen
Hang dazu gehabt haben, in quasi-religiösen, manichäisch vereinfachenden
Kategorien ("Gut" – "Böse") zu denken und Erscheinungen, die in dieses
Schema nicht hineinpassen mochten, nicht wahrhaben zu wollen, zu verdrängen
oder gar offensiv zu leugnen. Im Januar 1949 trat der Parteiphilosoph und
‚organische Intellektuelle’ Roger Garaudy für die französische KP als Zeuge
in einem Prozess auf, der im Pariser Justizpalast stattfand. Damals klagte
der "abtrünnige" hochrangige Sowjetfunktionär Victor Kravchenko
(Krawschenko), der 1946/47 in einem Buch ein erstes auf breiter Ebene
wahrgenommenes Zeugnis über das sowjetische Lagersystem des GULAG abgelegt
hatte, gegen eine parteikommunistische Zeitschrift wegen hetzerischer
Diffamierung. (Die Zeitschrift wurde verurteilt, in zweiter Instanz wurde
die Strafe beibehalten aber reduziert. Victor Kravchenko würde die
US-Staatsbürgerschaft annehmen und 1966 Selbstmord begehen.) In seiner
Aussage vor Gericht versuchte Garaudy, sämtliche störenden Informationen,
die Kravchenko beibrachte, als pure Lügen zur Agitation gegen die UdSSR vom
Tisch zu fegen. Er bezeichnete Kravchenkos Buch als "Enzyklopädie des
Antikommunismus und des Antisowjetismus", wollte in ihm gar "die Sprache der
Nazis" erkennen und empfahl dem sowjetischen Dissidenten, sich doch lieber
"bei der Nachhut der Nazis, in den Reihen der Falange Francos" seine
"Anhänger zu suchen". Doch Kravchenko hatte damals in der Sache (den GULAG
betreffend) vollkommen Recht, auch wenn er falsch damit lag, sein Buch unter
dem Titel "Ich habe die Freiheit gewählt" zu einer Lobpreisung für den real
existierenden Westen werden zu lassen. Die Buchautoren Michaël Prazan und
Adrien Minard erinnern mehrfach an diese Episode. Tatsächlich machen sie
damit auf einen grundlegenden Charakterzug, der bei Roger Garaudy
offenkundig schon seit längerem angelegt ist, aufmerksam: dem des
manichäischen "Denkers", der abstreitet und leugnet, was sein Schema
gefährden könnte. Allerdings legen sie auch eine gefährliche
Fehlinterpretation nahe und führen auf eine falsche Fährte, wenn sie
suggerieren, eine Parallele zwischen angeblichem rotem und braunem
Totalitarismus, zwischen Garaudys Stalinismus und seiner späteren Nähe zu
Nazigeistern vorzufinden. So richtig und notwendig Kritik am Stalinismus
ist, so grundfalsch ist dieser bürgerliche "Totalitarismus"schrott.
Aus der
Fälscherwerkstatt eines "großen Parteiintellektuellen"
Aufgrund seiner Doktorarbeit, die ihm 1953 an der Pariser Sorbonne den
Doktortitel einbrachte, war Garaudy – der zugleich einer der
einflussreichsten Parteifunktionäre der KP war – unter den kommunistischen
Intellektuellen intern höchst umstritten. Denn ihnen war bekannt, dass diese
Dissertation eine lange Serie von Plagiaten und ohne Quellenangabe
übernommenen Artikeln aus KP-nahen geisteswissenschaftlichen Publikationen
enthielt. Doch im Zuge der "Entstalinisierung", ab 1956, nahm Garaudy die
Pose des groben
"Entdogmatisierers" ein: Die nunmehr gefragte Verurteilung des "Dogmatismus"
der vorausgegangenen Periode erlaubte es ihm, einen Brei intellektueller
Beliebigkeit aus Ausdruck der neuen "undogmatischen" Linie zu verkaufen.
Gegenüber dem zur Quasi-Ersatzreligion geronnene "Marxismus-Leninismus" der
stalinistischen Phase schuf Garaudy damit eine Alternative, die in vielen
Punkten noch schlimmer war, da sie mit derselben Selbstgewissheit auftrat,
aber zugleich auf völlig willkürlichen Postulaten – durchmischt mit aus den
Religionen entlehnten Moralsätzen – beruhte.
Aber erst in den sechziger Jahren gelang es den aufstrebenden marxistischen
Intellektuellen, deren jüngere Vertreter es geschafft hatten, die
kommunistische Philosophie aus der stalinistischen Erstarrung zu lösen,
Garaudy endlich an den Rand zu drängen. Intern war er bereits seit längerem
verhasst. Seine bisherige zentrale Position verlor er, nachdem 1964 der
langjährige Parteichef Maurice Thorez starb und gleichzeitig ein neuer
intellektueller Konkurrent von Rang ihm den Schneid abkaufen konnte: Louis
Althusser. Auch deshalb trat Garaudy in Opposition zur neuen offiziellen
Parteilinie, insbesondere zu den Vorgängen im Ostblock. Objektiv war es
sicherlich richtig, die sowjetische Intervention gegen den "Prager Frühling"
schärfer zu verurteilen, als es der windelweichen Erklärung des "Bedauerns"
durch die Parteiführung entsprach – wie Garaudy es auch tat. Freilich war
seine neue "Dissidenz" eben auch Ausdruck bzw. Konsequenz seiner
innerparteilichen Marginalisierung. Alsbald war es um ihn geschehen: Garaudy
wurde auf dem Parteitag in Nanterre 1970 ausgeschlossen.
In den siebziger Jahren begab Garaudy sich daraufhin auf die Suche nach
etwas Neuem, was ihm die verlorene "politische Heimat" ersetzen könnte. Und
nicht nur die, denn dank seiner langjährigen Position hatte Garaudy im Namen
der Partei um die Welt reisen können, wie es kaum einem Anderen vergönnt
war. Roger Garaudy schwang sich zum "Erneuerer" einer gesellschaftlichen
Alternative auf, in deren Namen er sich immer mehr endgültig von den Bezügen
zum Marxismus verabschiedete. Diese Phase kann bei ihm als Periode der
endgültigen Zerstörung der Reste an politischer Vernunft und
Analysefähigkeit bezeichnet werden. Um sein neues Gedankengebäude zu
untermauern, zog Garaudy immer mehr religiöse Versatzstücke, Moralansprüche
und Glaubenssätze heran. Zunächst versuchte er es, nach einer Konversion zur
anderen christlichen Grobkonfession,
mit einer Mischung aus katholischer Befreiungstheologie, Ökologie und
Dritte-Welt-Solidarität. Im Laufe der Jahre fischte er dabei ideologisch
immer mehr im Trüben, da er auf der Suche nach etwas "Absolutem" war, was
seinem weltanschaulichen Gemisch eine Gesamtkohärenz oder die Weihen einer
höheren Wahrheit verleihen könnte.
"Der Okzident ist ein
Akzident"
Garaudy fing an, die Auffassung zu vertreten, die gesamte abendländische
Geschichte sei eine einzige Aneinanderreihung von Verbrechen. Im Gestus des
moralischen Ekels verkündete er einen Satz wie: "Der Okzident ist ein
Akzident (Unfall)." Dabei verwies er auf Verbrechen, die sehr real waren wie
jene der Kolonialeroberung, leugnete aber zugleich jegliche Dialektik in der
Geschichte des "Abendlands" wie der Welt insgesamt und bestritt die Brüche –
Revolten und Revolutionen, emanzipatorische Bewegungen, Frauenbefreiung oder
Laizismus und einige andere Errungenschaften gesellschaftlicher Kämpfe -,
die es auch gegeben hatte. Garaudy zog eindeutige moralische
Gut-Böse-Urteile einem Denken in Widersprüchen, wie es das Marxsche Denken
ausmacht, vor. Nun war er noch auf der Suche nach dem "Anderen", das er
mystisch verklären und dem als rein negativ Definierten entgegensetzen
konnte.
Bei seiner Suche erinnert Garaudy an einen anderen, deutschsprachigen
Ex-Sozialisten, der um 1980 als "DDR-Dissident" und durch sein Buch Die
Alternative bekannt wurde - aber einige Jahre später durch
Spintisierereien auffiel und vertrat, "10.000 Jahre abendländischer
Zivilisation" seien in die Mülltonne zu treten und der "Ausstieg aus der
Industriegesellschaft" sei zu vollziehen. Rudolf Bahro, der nach seiner
Übersiedlung aus der DDR den frühen GRÜNEN beigetreten war, kam 1984 zu dem
Schluss, man müsse auf dem Weg zu einer tieferen Alternative einen "grünen
Adolf" aus der "Volkstiefe" suchen. Am Schluss endete Bahro allerdings
vergleichsweise harmlos, nämlich beim Sektenführer Baghwan an der
US-amerikanischen Pazifikküste. Prazan und Minard kennen den
Deutschsprachigen Bahro allem Anschein nach nicht. Aber die Parallele in
Teilen seiner Entwicklung zur Argumentation Garaudys zur selben Zeit belegt,
welche abwegigen Pfade ehemalige Marxisten einschlagen, wenn sie – etwa
infolge der Konfrontation mit autoritären realsozialistischen oder
parteikommunistischen Strukturen – das Kind mit dem Bade ausschütten.
Garaudy wird seinerseits schließlich bei seiner Suche fündig, und zwar 1982.
Im selben Jahr heiratet er eine muslimische, palästinensischstämmige Frau –
Cherchez la femme? – und konvertiert selbst zum Islam. Zum Teil wohl
zunächst schlicht, um den Eheschluß zu ermöglichen, zum Teil aber auch aus
Faszination für eine muslimische Religion, die er als das gänzlich "Andere",
als den groben
positiven Gegenentwurf herbei fantasiert. Letztere Religion interpretiert
Garaudy sich dabei so zurecht, wie es seinen persönlichen Bedürfnissen
zupass kommt, so möchte Garaudy im Islam zunächst nur den Mystizismus der
Sufi entdecken. Aber gleichzeitig adoptiert er ein Weltbild, das nunmehr
globale Blöcke aufweist, die fein säuberlich in Gut (der Islam, die
Moralsuche im "progressiven Katholizismus"...) und Böse (der glaubens- und
ideallos gewordene "materialistische Westen", ...) eingeteilt werden können.
In diese Konstellation hinein platzen aktuelle (welt)politische Ereignisse,
insbesondere die israelische Invasion im Libanon im Frühsommer 1982 und die
Massaker von Sabra und Schatila im September ’82. Um jene Zeit ist die
israelische Gesellschaft so tief gespalten wie noch nie, in Tel Aviv
demonstrieren 400.000 Menschen gegen den Einfall im Libanon. Verglichen mit
der Bevölkerungszahl, entspräche das in der damaligen BRD rund sieben
Millionen Demonstranten. Garaudy, frisch konvertiert und auf seinem neusten
Religionstrip unterwegs, "analysiert" die Ereignisse, indem er sie in sein
moralisches Gut-Böse-Raster einfügt. Zugleich sucht er nach "absoluten"
Antworten, die ihm die Frage klären sollen, was auf die Seite des Guten oder
des Bösen gehört. Er findet eine Antwort: Israel ist nicht nur ein Staat,
der 1982 eine militärische Aggression im Libanon beging, sondern zugleich –
Garaudy zufolge – auf eine Religion gegründet, die auf blutrünstigen Mythen
aufbaut. Als angeblichen Beleg zieht Garaudy Textpassagen aus dem Alten
Testament heran, die die Eroberung des damaligen "Gelobten Landes"
schildern, bei der den Erzählungen des Josua zufolge vorher dort wohnende
Stämme – die Kanaanäer – massakriert wurden.
Da er nach "der Wahrheit" auf dem Grunde der unterschiedlichen Religionen
sucht, zieht Garaudy eine direkte Verbindungslinie zu den aktuellen
Ereignissen und kommt zum Schluss: Die jüdische Religion ist aggressiv, und
der Staat Israel bzw. seine konkret verfolgte Politik ist mit den
"grundlegenden Mythen" dieser Religion in Eins zu setzen. Es bleibt das
Problem, dass die Gründungsgeschichte dieses Staates zwar tatsächlich eine
religiöse Dimension aufweist, aber daneben und unabhängig davon auch einen
eminent politischen Aspekt: die Entstehung des Zionismus als Reaktion auf
den wachsenden europäischen Antisemitismus um die Wende vom 19. zum 20.
Jahrhundert. Im späteren Verlauf dieser politischen Geschichte spielte ein
manifester Einfluss des Zeitgeists der Kolonialära – bei dem Versuch, die
britische Kolonialmacht im Vorderen Orient als Verbündete zu gewinnen – eine
Rolle. Aber ihre stärkste Durchschlagskraft erhielt die zionistische
Bewegung, die zuvor unter den Juden weltweit minoritär gewesen war, nachdem
der nationalsozialistische Staatsantisemitismus zum Vernichtungsprogramm der
"Endlösung" für die europäischen Juden geführt hatte. Bei diesen
widersprüchlichen politischen Aspekten möchte Garaudy sich aber nicht
aufhalten. Für ihn ist alles ein und dasselbe: die biblische Erzählung
einschließlich der eher historiographischen (die Realgeschichte jener
Periode erzählenden) denn religiösen Facetten des Alten Testaments, die
Existenz und Politik des Staates Israel, und seine Rechtfertigung durch den
historischen Einschnitt des Genozids an den Juden im 20. Jahrhundert.
Letztere stellt Garaudy aus diesem Grund auf eine Stufe mit den Legenden und
Erzählungen des Alten Testaments, und qualifiziert alle zusammen als
"Mythen". Eben, nach seiner Wortwahl, die "Gründungsmythen der israelischen
Politik".
Das Gegenteil von
falsch ist nicht unbedingt richtig (sondern kann noch fälscher sein)
Aus Reaktion auf dieses Abdriften des früheren marxistischen Intellektuellen
ins Irrationale und Reaktionäre entscheiden sich andere, ehemals linke
Intellektuelle für ein ebenso harsches Umschwenken auf eine diametral
entgegen gesetzte Position – die von ihnen genauso undialektisch vertreten
wird. 1983 publiziert Pascal Bruckner sein Pamphlet Le sanglot de l’homme
blanc (deutsche 1984: "Das Schluchzen des weißen Mannes"), in dem er
pauschal mit dem Antikolonialismus und dem "westlichen Selbsthass" abrechnet
und eine militante Verteidigung der real existierenden Gesellschaften des
Westens und ihrer "Werte" predigt. Auf ähnlichen Spuren wandelt wenig später
der Ex-Maoist Alain Finkielkraut, der 2005 in einem umstrittenen Interview
u.a. sagen wird, der Kolonialismus habe doch auch "den Wilden Bildung und
Zivilisation" bringen wollen. Diese Positionierung ehemaliger Linker, die
sich nun affirmativ statt kritisch auf die sie umgebende Gesellschaft
beziehen, ist zum Teil auch eine Reaktion auf die Verirrungen eines Roger
Garaudy, mit denen Bruckner und Finkielkraut sich heftig gefetzt hatten.
In der Sache ist sie genauso undialektisch, und sie leugnet tendenziell
reale Verbrechen der Herrschenden im "Westen". Die beiden Buchautoren Prazan
und Minard neigen selbst eher dieser Position zu. So fällt auf, dass sie in
der Abgrenzung der Positionen Garaudys mitunter selbst problematisch
argumentieren, und etwa tendenziell das Ausmaß der Massaker im Libanon 1982
oder im Iraq während der "Operation Wüstensturm" vom Januar/Februar 1991
verniedlichen und durch "völkerrechtliche" Argumente verharmlosen (wie zum
Beispiel jenes, der Bombenkrieg der US-geführten Kriegsallianz gegen den
Iraq von 1991 sei durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrats gedeckt
gewesen – was zwar zutrifft und besonders durch den damaligen Kurs der
Gorbatschow-UdSSR möglich wurde, aber die Sache keinen Millimeter besser
werden lässt). Trotz dieser bedenklichen politischen Tendenzen und der
stellenweise anzutreffenden Einäugigkeit, die man kritisieren kann und sich
zum Teil aus der "pro-israelischen" Grundposition der Autoren ableiten
lässt, vermag man ihr Buch dennoch mit großem Gewinn zu lesen, da sie die
ideologische Entwicklung eines Roger Garaudy dennoch in der Sache sehr
sauber herausarbeiten.
Michel Lelong, ein
überaus reaktionärer Pfaffe oder: Sag’ mir, wer Deine Verbündeten sind, und
ich sage Dir, was Du bist
Die grundlegenden "Ideen" seines 1995 veröffentlichten Buches sind (damit)
bei Garaudy schon ab 1982 deutlich vorhanden, und ändern sich ab diesem
Zeitpunkt kaum noch. Bereits ab 1982 nähert Garaudy sich, auf der Grundlagen
einer essenzialistischen und ethnisierenden sowie konfessionalisierenden
Kritik am Judentum "an und für sich" – aus dem direkt die konkrete
israelische Politik abgeleitet wird – an rechtsextreme Figuren an.
Sein wichtigster Alliierter seit jener Zeit ist der katholische Priester
Michel Lelong. Letzterer galt bis dahin in weiten Kreisen als "Mann des
Dialogs", da er einige Jahr lang für die französische katholische Kirche
Beauftragter für den christlich-islamischen Dialog war. In Wirklichkeit, und
Prazan/Minard arbeiten es sehr gut heraus, ist Lelong ein rechtsextremer
Priester, der bemüht ist, durch den Kontakt und die philosophische
Konfrontation mit einer anderen Religion – die noch eine stärkere
gesellschaftliche Bindungskraft in vielen Ländern aufweist, als dies für das
Christentum in der Mehrzahl der westlichen Länder gilt – dem "christlichen
Abendland" wieder stärker zu einer "kulturellen Identität" zu verhelfen. Der
Islam und seine soziale Bindungskraft sollen dem katholischen Europa dabei
letztlich als Spiegel dienen, um sich selbst "wiederzufinden". Die
scheinbare Faszination für das (mystifizierte) "Andere" dient dabei
überwiegend als Mittel zur identitär-kulturalistisch inspirierten
"Selbstfindung".
Lelong bekennt sich zwar nicht offen zur extremen Rechten, sondern behauptet
in der Öffentlichkeit, Gaullist zu sein. Anhand seiner Auftritte bei
rechtsextremen Radiostationen und anhand seiner Texte, in denen er etwa
gegen die "Subversion" in der katholischen Kirche durch "linke und liberale
Priester" wettert, weisen Prazan und Minard ihm jedoch seine wirklichen
ideologischen Dispositionen nach. Lelong, der auch eine gewisse Faszination
für Bewegungen wie die libanesische Hizbollah an den Tag legt, trat 1998 als
Entlastungszeuge für Roger Garaudy in seinem Strafprozess auf. Aber im
selben Jahr war er auch Zeuge der Verteidigung im Prozess gegen Maurice
Papon, dem wegen seiner Rolle bei den Judendeportationen aus
Südwestfrankreich im Zweiten Weltkrieg in Bordeaux der Prozess gemacht
wurde. In seinen Schriften hat Lelong dies auch verarbeitet, dergestalt,
dass der Prozess gegen den treuen Staatsdiener Papon – der seine Karriere
nach 1944 fortsetzte und im französischen Kolonialkrieg in Algerien eine
neue Blutspur zog – ein Anzeichen für die Dekadenz und den Niedergang des
Abendlandes sei.
Die Abbé
Pierre-Affäre, kurzer Rückblick
Um Roger Garaudy an die Seite offener Holocaustleugner und Rechtsextremer zu
bringen, brauchte es nur noch ein weiteres Element: die richtigen Kontakte.
Um sie wird sich in den neunziger Jahren Pierre Guillaume kümmern, der
Herausgeber von La Vieille Taupe, den Garaudy getroffen hatte, "um
sich zu dokumentieren". Er wird sich tunlichst darum bemühen, nach seinen
Worten "eine Bombe zu zünden", um die Ideen der Negationisten weithin
bekannt zu machen. Dies glückt ihm, als er das Buch des früheren
KP-Philosophen der Öffentlichkeit präsentieren kann – und wenige Wochen
später, im Frühjahr 1996, auf einer Pressekonferenz einen
Unterstützungsbrief des prominenten Armenpriesters Abbé Pierre für Garaudy
präsentieren kann.
Der Abbé Pierre, der durch seinen Einsatz für die Obdachlosen bekannt
geworden war und im Januar 2007 verstarb, war in vielen seiner Ideen noch
dem christlichen Antijudaismus der katholischen Kirche aus der Zeit vor dem
Zweiten Vatikanischen Konzil (1963 bis 65) verbunden. Zugleich knüpfte ihn
eine langjährige persönliche Freundschaft an Garaudy, aus der Zeit, als er
Ende der vierziger Jahre als linkskatholischer Abgeordneter im französischen
Parlament saß, wo Garaudy die KP vertrat. In seinem Brief plädierte der Abbé
Pierre dafür, "endlich eine freie Diskussion" über das Ausmaß des Holocaust
und seine Benutzung als Rechtfertigung für die israelische Politik
zuzulassen. Die Negationisten - die sich gar zu gern hinter der Behauptung
verschanzen, ein "Diskussionsverbot" und "Tabu" durchbrechen zu wollen -
hatten durch ihn eine unverhoffte Unterstützung gefunden. Der Abbé Pierre
war auch dafür bekannt, dass er im Zweiten Weltkrieg persönlich gefährdete
Juden über die Grenze gerettet hatte.
Der Prozess des
Geschichtsfälschers Garaudy
Sein Prozess im Januar 1998 ebenso wie der Berufungsprozess im Oktober
desselben Jahres zog Neonazis, Verschwörungstheoretiker und prominente
Geschichtsrevisionisten wie Robert Faurisson an. Sie blieben Garaudy als
wichtigste Verbündete und waren in größerer Anzahl gekommen, um ihn vor dem
Pariser Gericht zu unterstützen (auch wenn Faurisson aus diesem und anderen
Anlässen bitterlich beklagte, Garaudy habe ihn plagiiert und seine Inhalte
übernommen, ohne ihn zu zitieren).
Alles in allem lastete eine unglaublich drückende, üble Atmosphäre im
Zuschauersaal des Prozesses, sofern die Schilderung bei Michaël Prazan und
Adrien Minard zutrifft. Am zweiten Prozesstag (9. Januar 1998) lässt ein
Journalist, der für rechtsextreme Presseorgane arbeitet, Judenkarikaturen
über anwesende Persönlichkeiten im Saal zirkulieren. Ein Herr, der einen
ungenehmen Journalisten fotographiert hatte und deswegen durch die Polizei
auf dem Gerichtsflur vorsorglich mitgenommen wurde, entpuppte sich als
Mitglied des Front National.
Am dritten Verhandlungstag, dem 15. Januar 1998, spielt sich den beiden
Buchautoren zufolge folgende Szene ab: "(Der berüchtigte Anwalt Jacques
Vergès, Verteidiger Roger Garaudys) trinkt einen Kaffee im ‚Deux Palais’
(Anm.: Café direkt gegenüber vom Justizpalast) in Begleitung von zwei jungen
Schlägertypen aus der extremen Rechten, die eine Bomberjacke und
Lederhandschuhe tragen. Gegen 13 Uhr verlassen sie den Tisch des Anwalts,
der seinen Kaffee zu Ende trinkt, um sich diskret in den (Justiz-)Palast zu
begeben. Irgend etwas braut sich zusammen. (...) Anwälte in ihren Roben
diskutieren und versuchen, die Erregung rund um sie herum nicht
wahrzunehmen. Man starrt sich an. Beleidigungen ertönen. Man hört einen Ruf:
<Tod den Juden: Tod Israel!>, auf den ein Gegenruf <Tod den Palästinensern!
Garaudy, Fascho – die Juden kriegen Deinen Kopf!> antwortet. Aus dem
Irgendwo taucht eine Horde von Neofaschisten auf und stürzt sich mitten in
die Menschenmenge hinein, die sich wie unter dem Effekt einer chemischen
Reaktion zerteilt. Unter ihnen die beiden jungen Leute, die eben noch mit
dem Anwalt Vergès Kaffee getrunken haben. Ebenfalls aus dem Irgendwo stellt
sich eine Bande junger jüdischer Aktivisten des Betar-Taggar (Anm.: rechte
bis rechtsextreme jüdische paramilitärisch-politische Gruppe,
ethno-nationalistischer Provinienz) ihnen gegenüber auf. (...) Die beiden
rivalisierenden Banden stürzen sich aufeinander, inmitten eines
unglaublichen Durcheinanders. Einige von ihnen landen am Boden. Schaulustige
bekommen Faustschläge, die ungezielt abgegeben worden war, ab und schreien
auf. Polizisten versuchen die Situation zu beruhigen. Das Ganze dauerte nur
eine Minute. Die beiden Banden lösen sich ebenso plötzlich auf, wie sie
aufgetaucht waren. Fünf Mitglieder des Betar und fünf Angehörige des GUD
(Anm.: rechtsextreme studentische Schlägertruppe) werden auf die
Polizeiwache gebracht. Eine relative Ruhe herrscht wieder, als Faurisson und
seine Anhänger auftauchen, die unter Polizeischutz den Zuschauersaal
betreten..." (Vgl. S. 272/273)
Auch eine Handvoll von jeglicher Vernunft abgekommener und auf ähnlichen
Pfaden wie Garaudy wandelnder, früherer Linker gab sich aus diesem Anlass
dort ein Stelldichein. An erster Stelle sind dabei insbesondere die aus der
grünen Partei ausgeschlossene Holocaustleugnerin Ginette Skandrani und die
vermeintliche "Dritte Welt"-Freundin Maria Poumier zu zitieren.
Garaudy und Maria
Poumier
Maria Poumier, die den weiblichen Fanclub Roger Garaudys anführte und noch
immer anführt, ist eine frühere Spanisch-Dozentin und Lateinamerikaexpertin
an der Universität Paris-8 (einer Hochschule mit ehemals starker linker
Tradition, in der Vorstadt Saint-Denis), die einen Teil ihres Lebens in Kuba
verbracht hat. Roger Garaudy befand sich im Januar 1996 just – auf Poumiers
Einladung hin – zu einem Vortrag an "ihrer" Hochschule Paris-8, als die
Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ am selben Nachmittag erstmals durch einen
Artikel eine breitere Öffentlichkeit über das Abdriften des früheren
KP-Philosophen in den Negationismus informierte. Daraufhin kam es zu
heftigen Protesten von Studierenden gegen die Anwesenheit Garaudys an der
Universität (vgl. S. 178-180 im Buch von Prazan/Minard).
Was motiviert Maria Poumier? Eine krude Mischung aus geistig unverdauten
Versatzstücken des Antiimperialismus, einem subjektiven "Rebellen"tum und
dem Eindruck, dass der arme Garaudy zu Unrecht verfolgt werde, wurde in
ihrem Kopf offenbar zum Antrieb für Solidarisierungsaktivitäten zugunsten
des Angeklagten. Roger Garaudy erschien der früheren Hochschullehrerin als
jemand, "der endlich einmal etwas Tabuisiertes auszusprechen wagt und dem
man deswegen den Mund zu stopfen versucht". Später würde Poumier, die sich
auch weiterhin im Umfeld Garaudys bewegt, in Frankreich die Schriften des
vermeintlichen "israelischen Dissidenten" (und, in Wirklichkeit,
nichtjüdischen schwedisch-russischen Antisemiten) ‚Israel Shamir’
publizieren. Dieselbe Person publizierte zwischenzeitlich auch selbst
wahnwitzige Schriften über "Den Zionismus in Lateinamerika", die blanke
Verschwörungstheorien verbreiten ().
Glatter Unfug ist es hingegen, aufgrund der vergangenen Betätigung der
durchgeknallten Ex-Linken Poumier an der Hochschule Paris-8 zu behaupten,
bei selbiger handele es sich um ein "Sammelbecken von Antisemiten und
Globalisierungsgegnern" (sic), wie eine auf geradezu mystische Weise
pro-israelische und mit stark rassistischen Untertönen gegen Araber
agitierende Extremistin dies wiederholt tat (vgl.
http://www.eussner.net/artikel_2005-08-07_02-05-28.html)
Die Wahrheit liegt anderswo: Bereits der erste Auftritt Garaudys an der
Seite Maria Poumiers in ihrer Hochschule, der just auf den Tag des
Bekanntwerdens des Negationismus-Skandals rund um Roger Garaudy fiel, führte
dort zu heftigen Protesten, siehe oben. Und in der Folgezeit wurde Maria
Poumier in ihrer wissenschaftlichen Abteilung zum "Opfer" (doch mitnichten:
unschuldigen Opfer!) stetigen Mobbings. Sämtliche wissenschaftlichen und
universitären Funktionen wurden ihr entzogen, und Poumier wurde
schlussendlich zum Rücktritt von ihrem Lehrposten an der Universität – den
sie inzwischen längst aufgegeben hat - getrieben. Ihr Wirken gibt also
Anlass zu heftiger Kritik, nicht aber dazu, Lügen über ihr gesamtes früheres
akademisches und sonstiges Umfeld zu verbreiten.
Roger Garaudy im Nahen
und Mittleren Osten
Zur selben Zeit wurde Garaudy aber auch in Teilen der arabischen Welt als
eine Art Superstar gefeiert. Besonders in Ägypten und in Jordanien wurde ihm
im Jahr seines Prozesses, 1998, ein triumphaler Empfang an Universitäten und
in Großveranstaltungen bereitet – als Held und Märtyrer, der in der
westlichen Welt und von "den Zionisten" wegen seiner störenden
Meinungsäußerungen verfolgt werde. Seine damalige Tournee durch den Nahen
und Mittleren Osten führte Garaudy, als letzte Station, auch in den Iran. In
dessen Hauptstadt Teheran wurde er im April jenes Jahres durch höchste
Autoritäten der Islamischen Republik, unter ihnen der als moderat geltende
Präsident Mohammed Khatami und "Revolutionsführer" Ali Khamenei, empfangen.
Garaudys dortige Popularität hat sich bis heute in Restbeständen, so wird
"Raja" Garaudy – sein Vornamen wurde in der Region arabisiert – in Teilen
der Medien oft zitiert. Eines der Motive dafür liegt auf der Hand: Durch
seine Argumentation über die "Gründungsmythen der israelischen Politik"
bestreitet Garaudy dem Staat Israel so fundamental einen der historischen
Gründe seiner Existenz – die mörderischen Konsequenzen des Antisemitismus im
Europa des 20. Jahrhundert -, dass er scheinbar Munition im politischen
Konflikt mit Israel liefert. Obwohl Prazan und Minard selbst eher
pro-israelisch und Befürworter der Politik der westlichen Staaten sind,
arbeiten sie gut heraus, dass Garaudy den Arabern dadurch in Wirklichkeit
gar keinen Gefallen tut. Denn mit ihm wird die Kritik an Israel auf eine
historisch, politisch und moralisch fragwürdige, ja absolut unhaltbare
Grundlage gestellt.
Ein anderer Hauptgrund für die bereitwillige Aufnahme, die Garaudy in
manchen Staaten der Region als vermeintlicher "großer Intellektueller" und
"Dissident im Westen" gefunden hat, liegt in seiner Eigenschaft als Muslim.
Garaudy konvertierte ja im Jahr 1982 zum Islam, nachdem er zuvor mehreren
anderen religiösen Bekenntnissen angehangen hatte. In Kontrast zu einem als
arrogant und dominanzsüchtig erlebten Westen, dessen politische und
intellektuelle Repräsentanten oft mit Herablassung auf die Einwohner der
"Dritten Welt" blicken, schien Garaudy somit "auf gleicher Stufe" zu stehen:
Er schien den Menschen in Kairo als "einer der Ihren" entgegen zu treten,
und ließ sich bereitwillig auf einen "Dialog" mit ihnen ein. Und sei es in
Wirklichkeit auch vorwiegend, um sich von ihnen feiern und sich seine eigene
Großartigkeit bestätigen zu lassen.
Garaudy bekehrte sich unter anderem wohl auch aus persönlichen, nicht völlig
uneigennützigen Gründen zu seiner neuen Religion: Cherchez la femme?!
1982 heirate er eine palästinensischstämmige Muslimin, Salma, und der
Eheschluss wurde durch seine Konversion möglich. Letztere entsprang aber
auch seiner Suche nach einer ideologischen Heimat, nach etwas "Absolutem",
das ihm – nach dem Verlust seiner früheren weltanschaulichen Bezugspunkte –
als Welterklärung dienen könnte. Er schien ihn im Islam zu finden, den er
sich freilich seinen Bedürfnissen entsprechend zurecht interpretierte – so
wollte Garaudy, in seiner Begründung für die religiöse Konversion, zunächst
im Islam nur den Mystizismus der Sufis wieder erkennen und ließ alle
"härteren" historischen Erscheinungsformen dieser Religion bzw. ihrer
politischen Anwendungen vorerst aus seinem Sichtfenster ausgeblendet.
Längerfristig diente ihm "der Islam", so wie Garaudy ihn sich
zurechtschneidert, als (von ihm mystifizierter) Gegenentwurf zum "Westen".
Einem Westen, den Garaudy zu jener Zeit zunehmend als ideallos und
verkommen, ja, (so eine Bezeichnung im Untertitel eines seiner Bücher, über
die USA ())
als "dekadent" erschien. Die Zuneigung zum vermeintlichen "Anderen" in
Gestalt des Islam, bei dem er Zuflucht nehmen konnte, hatte also keineswegs
zuvörderst menschenfreundliche Gründe.
Roger oder "Raja" Garaudy hatte und hat aber keineswegs nur Freunde in den
arabischen Ländern des Nahen Ostens. Auch dies arbeiten Prazan und Minard
auf dankenswerte Weise und sauber heraus. So zitiert er den Streit um die
Einladung Garaudys und andere prominente Auschwitzleugner zu einer großen
Konferenz zum Thema "Revisionismus und Zionismus". Diese sollte Ende März
und Anfang April 2001 in Beirut stattfinden, musste dann aber doch noch – in
letzter Minute – unter innenpolitischem und internationalem Druck annulliert
werden. Eine Reihe prominenter arabischer Intellektueller sprachen sich in
einer Petition gegen diese Veranstaltung und gegen die Popularität Garaudys
aus. Unter ihnen befanden sich etwa der libanesische Dichter Adonis und der
Schriftsteller Elias Khoury, die palästinensischen Intellektuellen Ewdard
Said und Elias Sanbar (von der in Paris erscheinenden ‚Revue d’études
palestiniennes’) sowie der Poet Mahmud Darwisch, oder der
algerisch-französische Historiker Mohammed Harbi.
Schon früher, bei der ersten "Welle" der Garaudy-Verehrung in den spätern
neunziger Jahren, hatten Edward Said und der (2005, aus anderen Gründen,
ermordete) libanesische Journalist und Historiker Samir Kassir sich heftig
gegen Garaudy und seine These gewandt. Edward Said, der seine ganzes Leben
hindurch politisch gegen die israelische Besatzung kämpfte, warf den
Anhängern Garaudys ihr "totales Scheitern an der Aufgabe, einen würdigen
Kampf" gegen diese Besatzungspolitik zu führen, vor. Das Streben nach einer
Befreiung von ihr, so Said damals, könne nur mit einem positiven moralischen
Anspruch einhergehen – oder diskreditiere sich von selbst. Ferner warf er
den Garaudy'fans' vor, den alternden französischen Philosophen als
angeblichen Märtyrer für die Meinungsfreiheit zu feiern: "Aber warum kämpft
ihr nicht schärfer gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in
unseren eigenen Gesellschaften", also "in der arabischen Welt, wo sie viel
mehr Besorgnis erregen müsste?" Klare Worte, auch wenn Edward Said in der
Folgezeit – einerseits selbst unter Druck der arabischen öffentlichen
Meinungen geratend, sich andererseits vor Beifall von der falschen Seite aus
den westlichen Staaten retten mögend – eine Pirouette vollzog und
herausstrich, er habe sich aber immer "für die Meinungsfreiheit" der
Negationisten ausgesprochen. Ein falscher Kompromiss. Auch wenn Edward Said
in der Sache selbst stets klar blieb und die Holocaustleugnung zurückwies.
Schlussbetrachtung/Ausblick
Garaudy ist heute zu alt, um noch in der Öffentlichkeit eine Rolle zu
spielen. Die beiden Autoren haben den demnächst 95jährigen jedoch in seinem
Wohnhaus, an der Marne in einem Pariser Vorort, treffen können. Dort textete
der alternde Philosoph sie mit Verschwörungstheorien über den 11. September
01 und einer wirren Rechtfertigung seiner Veröffentlichungen zur
Anzweifelung des Holocaust zu. "Als Denker ist er seit langem gestorben":
Mit diesen harten Worten über den Mann, der sichtlich auf das Ende seines
Lebens zugeht, schließen Prazan und Minard ihr Buch ab. Dem ist tatsächlich
nichts hinzufügen.
Michaël PRAZAN und
Adrien MINARD:
Roger
Garaudy. Itinéraire d’une négation. Calmann-Lévy, 2007, 430 Seiten, 20.90
Euros
Eine stark gekürzte
Fassung des Ausgangsmansukripts erschien am 22. November 2007 in der
Berliner Wochenzeitung
Jungle World.
Ein gesonderter Artikel zum Aspekt der Rezeption Roger Garaudys in der
arabischen Welt, im Nahen und Mittleren Osten wurde am 3. Januar 2008 im
Internetmagazin
Qantara publiziert.
Anmerkungen:
Unter anderem diese, zitiert nach Prazan/Minard, S. 372/273: "Maria Poumier
behauptet (in einem Artikel), entscheidende Informationen gefunden zu haben,
die es erlaubten, <die präzisen Verbindungslinien zwischen
Kapitalbewegungen, dem Sitz der wirklichen Macht und den Mythenbildungen der
zionistischen Propaganda> zu enthüllen. Im Weiteren übernimmt sie alle
Elemente der Theorie von der Weltverschwörung, in Gestalt eines <Weltstaats,
der durch das Medienimperium des Holocaust maskiert wird>. Sie beklagt auch
<den wachsenden Einfluss der jüdischen Lobby in der Logik des
nordamerikanischen Imperialismus sämtlicher Konfessionen> und <den
wachsenden Einfluss der nämlichen Lobby auf die amerikanischen
Führungsfiguren>. Die Beweise dafür? Sie liegen laut der Autorin auf der
Hand: Alle Anführer der CIA seit der Gründung der Nachrichtenagentur waren
Juden, berichtet sie, und Bill Clinton ist seit der Affäre um Monica
Lewinsky – deren Zugehörigkeit zu einer <wichtigen konservativen jüdischen
Familie> durch den Fernsehsender CNN verborgen worden sei – als Geisel in
ihrer Hand. Das einzig Originelle an diesen antisemitischen Auslassungen
liegt daran, dass sie (Marie Poumier) eine Verbindung zu den Kämpfen der
sozialen Unterklassen in Lateinamerika (...) herstellt, indem sie vor
<israelischen Interventionen überall dort, wo Phänomene der militärischen
und polizeilichen Repression gegen die lateinamerikanische Bauernschaft
auftauchen> warnt. Der Grund dafür ist einfach, obwohl verkannt, folgt man
Maria Poumier, denn <es handelt sich um die rassistische Verachtung der
Bauernschaften im Allgemeinen, die als zu vertreibende oder zu unterwerfende
Bevölkerungen betrachtet werden, nach dem Vorbild dessen, was in Palästina
seit 1948 systematisch praktiziert wird, und wofür sich der
religionsgesetzliche (canonique) Ausdruck im Talmud findet.>" Dieser nackte
Wahnsinn kann und muss in der Tat als antisemitisch in purer Form bezeichnet
werden.
Vgl. Roger Garaudys Buch ‘Les Etats-Unis, avant-garde de la décadence’ (Die
USA, Avantgarde der Dekadenz), Editions Vent du Large, 1997. Das Thema
der – kulturell und religiös ebenso wie ökonomisch und oberflächlich
sozialkritisch durchdeklinierten – "Dekadenz" ist bei Garaudy bereits
spätestens in einem längeren Interview, das er im Dezember 1993 der
Tageszeitung seiner früheren Partei gegeben hat, präsent. Dieses Gespräch
mit Garaudy erschien in einer Periode des stärksten politischen Niedergangs
und der größtmöglichen ideologischen Verwirrung in den Reihen der
französischen KP, bevor die ehemals realsozialistische Partei sich ab 1994
wieder zu berappeln und als links-sozialdemokratische Reformpartei einen
neuen Anlauf zu nehmen versuchte. Vor allem in jenem Jahr 1993 brachte die
Periode der politisch-ideologischen Verirrung einige schräge bis
"rot-braune" Missklänge hervor, welche die Parteileitung später abzustellen
bemüht war. In dem fraglichen Interview führt Roger Garaudy über die
‚dekadenten’ USA u.a., in Anlehnung an den Niedergang des antiken Rom, aus:
"Wir haben es mit einer Periode der Dekadenz zu tun. Ich habe versucht,
Kriterien dafür zu definieren. (...) Das erste (Kriterium) gilt der
wachsenden Ungleichheit, die ein Ungleichgewicht in der Welt hervorbringt.
(...) 20 % der Weltbevölkerung kontrollieren und konsumieren 80 % der
Ressourcen des Planeten. (...) Diese Betrachtung führt mich zum Nachdenken,
nicht nur über dieses oder jene besondere Problem, sondern über die
Grundziele unseres Handelns, unserer Politik, unseres Umgangs mit der Welt.
Dies war traditionell immer die Angelegenheit der Religionen, welcher
(Religion) auch immer. Ich habe dem die Überschrift ‚Brauchen wir Gott?’
verliehen, denn <Gott> zu sagen bedeutet zuerst, zu sagen, dass das Leben
einen Sinn hat. Das zweite Kriterium der Dekadenz ist der absolute Vorrang
für die Spekulation gegenüber der Arbeit. (...) Ich habe versucht, in der
Geschichte analoge Situationen zu finden. Ich habe nur eine gefunden, jene
der römischen Dekadenz. Sie zeichnete sich durch eine sehr starke
Ungleichheit der Vermögen aus. (...) Die Ungleichheit der Vermögen erzeugt
in den USA eine rekordhafte Kriminalitätsrate. (...) ..33 Millionen (Anm.:
US-)Amerikaner leben unterhalb der Armutsgrenze, und 35 Millionen sind
drogenberauscht (drogués). Wir müssen in den USA die Avantgarde dieser
Dekadenz erblicken, auch wenn man mich des Antiamerikanismus zichtigen
wird." (vgl.
http://www.humanite.fr/1993-11-02_Articles_-Roger-Garaudy-une-derive-de-mort)
Alles in allem ein Musterbeispiel für reaktionäre, da moralisierende und an
vielen Punkten an gesellschaftlichen Folgeerscheinungen (die als
"Zerfallsprodukte" einer vormalig vorhandenen, korrekten moralischen Ordnung
wahrgenommen werden) ansetzende, auf marxistische Kriterien verzichtende
Kapitalismuskritik. Sei es mit oder Anführungszeichen um Kapitalismuskritik.
Endgültig ins Reaktionäre kippt Garaudy in seinen Auslassungen, wenn er ein
paar Absätze später ausführt: "Die größten Probleme in der Welt von heute
sind der Hunger, die Arbeitslosigkeit ET L’IMMMIGRATION (und die
Einwanderung)" (ebenda, Hervorhebung vom Autor dieser Zeilen). Auch wenn die
Intention des Interviewten – Garaudy – mutmaßlich subjektiv nicht
rassistisch war und Garaudy ansonsten eher als moralischer Antirassist
auftreten würde, so ist doch dieses Herangehen an "das Problem der
Einwanderung" in der Sache reaktionär. |