Aloys Hüttermann
http://www.br-online.de/alpha/forum/vor0309/20030917_i.shtml
Aloys H. Hüttermann, Aloys P. Hüttermann: Am Anfang war
die Ökologie
[Naturschutz
und Demokratie]
Naturschutz in der jüdischen Tradition
"Und der HERR hat uns geboten, alle diese Ordnungen zu
tun, den HERRN, unsern Gott, zu fürchten, damit
es uns gut geht alle Tage und er uns am Leben erhält, so wie [es] heute
[ist]".1
"So haltet das ganze Gebot, das ich dir heute befehle,
damit ihr stark seid und hineinkommt und das Land in Besitz nehmt, ... und
damit ihr eure Tage verlängert in dem Land, ein Land, das von Milch und
Honig überfließt. Denn das Land, in das du kommst, um es in Besitz zu
nehmen, ist nicht wie das Land Ägypten, von wo ihr ausgezogen seid, wo du
deine Saat sätest und mit deinem Fuß wässertest wie einen Gemüsegarten,
sondern das Land, in das ihr hinüberzieht, ... ist ein Land mit Bergen und
Tälern - vom Regen des Himmels trinkt es Wasser".2
In der ersten oben zitierten Perikope findet sich die
früheste Definition der Nachhaltigkeit in der Weltliteratur: Künftige
Generationen sind so am Leben zu erhalten, wie es heute der Fall ist. Die
dann zitierte Einleitung in das deuteronomistische Gesetzeswerk zeigt das
komplette Programm auf, wie man am Rande der Wüste unter schwierigen
ökologischen Bedingungen Nachhaltigkeit erreichen kann. Vorab wird
festgestellt, dass man in dem Land nur dann eine über lange Zeit hin
erfolgreiche Landwirtschaft betreiben kann, wenn man sich an bestimmte
Regeln hält. Dann wird das Land über einen ökologischen Code definiert: ein
Land, das von Milch und Honig überfließt. Es folgt Feststellung dessen, was
das Land nicht ist, nämlich Ägypten, das fruchtbarste Ackerland der Antike.
Zum Schluss wird beschrieben, dass es sich um ein Bergland handelt, in dem
nur Regenfeldbau möglich ist.
Beginnen wir mit dem Ausdruck "Milch und Honig". Er
signalisiert, dass das Land ökologisch ziemlich herunter gekommen ist.
"Milch" bedeutet» dass Nomaden dort ihre Tiere weiden lassen. "Honig" meint,
dass man von Bienen Honig beziehen kann. Pflanzensoziologisch ist die
Macchie gemeint.3 Für Nomaden,
an die sich dieser Text ja richtet, ist ein Land von Milch und Honig dennoch
sehr attraktiv. Für sie bedeutet diese Bezeichnung, dass das Land ein von
der Bevölkerung verlassenes Ackerland ist, das man besiedeln und
landwirtschaftlich nutzen kann. Diese Vorstellung entspricht auch den
archäologischen Befunden: Vor dem Zeitpunkt, den man für die Landnahme
ansetzt, war die in diesen Bergen ansässige Bevölkerung fast völlig
zusammengebrochen.4
Die Geologie des Landes Israel, des judäischen Berglandes,
ist ziemlich einfach, das überall vorhandene Ausgangsgestein ist Kalk, die
Böden, die daraus entstehen, sind extrem verletzlich. Solange sie schonend
bewirtschaftet werden, bringen sie reiche Ernten, sobald man sie auch nur
für kurze Zeit übernutzt, verkarsten sie und es kann Jahrhunderte dauern,
bis sie sich wieder erholen können.5
Abb. 1:
Siedlungsgebiet der Israeliten in den Judäischen Bergen (umrandet),
dargestellt auf einer Karte der Bodenfeuchte. Bodenfeuchte (nach
Thornthwaite):
C1: mit Wasser stark unterversorgt,
C2: mit Wasser unterversorgt,
D: Halbwüste,
E: Wüste (Karte Bodenfeuchte: Michael Evenari u.a. 19716, Daten für Karte
Siedlungsgebiete: Helga Weippert, 1987)
Der zweite wichtige ökologische Faktor ist der
Wasserhaushalt.
Dieser wird von zwei Faktoren bestimmt, den Niederschlägen und der
potentiellen Evapotranspiration, woraus dann Feuchteregime berechnet werden.
Wie aus der Abbildung 1 hervorgeht, ist die potentielle Evapotranspiration
auch im relativ regenreichen Bergland drei- bis fünfmal so hoch wie die
Niederschlagsmenge. Dies bedeutet, dass auch die Standorte im Bergland ein
Wasserdefizit aufweisen. Zudem fällt der Regen hauptsächlich im Winter. Von
Ende April bis Anfang November fallen praktisch keine Niederschläge. Was aus
der Abbildung 1 weiterhin deutlich wird, ist die extreme Variation im
Wasserhaushalt. Am östlichen und südlichen Rand des Berglandes treten
innerhalb einer Entfernung von 20 km größere Standortsunterschiede auf, als
es in Europa bei Distanzen von mehreren Hunderten von Kilometern der Fall
ist. Die einzige Möglichkeit, in einer solch trockenen und bergigen
Landschaft Ackerbau zu treiben, war Terrassen anzulegen. Diese fangen den
vom Hang ablaufenden Regen auf und verhindern die Erosion der dünnen Böden.
Die Überreste dieser Jahrtausende alten Terrassen kann man noch heute
überall im judäischen Bergland finden. Ihre Herstellung bedurfte ganz sicher
des "Schweißes des Angesichtes" vieler Generationen.
Der Bau von Terrassen allein hätte allerdings nicht
ausgereicht, um über Jahrhunderte hinweg nachhaltig zu siedeln. Dies
ermöglichten erst die für ihr Umfeld sehr weit fortgeschrittenen Kenntnisse in
Biologie und Ökologie (Tabelle 1). Auf der Grundlage dieses Wissens beruhen die
Regeln, die die religiösen Führer der Israeliten für die Bewirtschaftung ihres
Landes aufstellten.
1 5. Mos.: 6.24. Die Bibebtitate
sind der "Elberfelder Bibel" entnommen, die wortgenaueste Übersetzung, die
in deutscher Sprache erschienen ist Internetausgabe:
http://www.joyma.com/elberfe.htm
2 5. Mos.: 11.8-1 L
3 Nogah Hareruveni, Nature in
our biblical heritage, Neot Kedumin, Kiryat Ono, 1980.
4 Israel Finkelstein, The great
transformation: The conquest of the highland frontiers and the rise of the
territorial states, in: Thomas E. Levy, editor, The Archeology of Society in
the Holy Land, Leicester University Press, London, 1998, S. 349-365.
5 Moshe Inbar, The Eastern
Mediterranean, in: Arthur Conacher und Maria Sala (ed.), Land Degradation in
Mediterranean Environments of the World. Nature and Extent, Causes and
Solutions, Wiley, Chichester u.a., 1998.
6 Michael Evenari» Leslie Shanan
und Naphtali Tadmor, The Negev, the Challenge of a Desert. Harvard
University Press, Cambridge, 1971.
7 Helga Weippert, Palästina
in vorchristlicher Zeit,
Handbuch der Archäologie. Vorderasien II, Band I Beck, München, 1988.
Umgang mit der Natur im Alten Testament
Ihr ausgezeichnetes biologisches Wissen befähigte die
Israeliten, Warnsignale aus der Umwelt richtig zu deuten, ihre
Verletzlichkeit zu erkennen. Auf der Grundlage intensiver Beobachtungen, die
in Jahrhunderten zusammengetragen worden sind, gaben sie sich Regeln für den
Umgang mit der Natur, die für die Antike einmalig waren.
Die ökologische Weisheit des Alten Testaments kann man ganz besonders an
seinen Gesetzen sehen, die den Umgang mit der Natur betreffen. Hier sind als
erstes die Listen der verbotenen Tiere zu sehen und Vögel. Sie wurden einem
Volk auferlegt, das dichtgedrängt in einer von Natur aus nicht besonders
fruchtbaren Gegend lebte.
In einer solchen Volkswirtschaft besteht permanenter Eiweißmangel, wie es in
Europa noch im letzten Jahrhundert der Fall war, jedes genießbare Tier wurde
ja damals gegessen, selbst Drosseln und Frösche. Somit bekam der Katalog der
verbotenen Tiere in der Bibel die Funktion von "Roten Listen". Die dort als
unrein aufgelisteten Tiere waren unter strengen Schutz gestellt. Es wurden
solche Tiere geschützt, die für die Gesellschaft insgesamt und für die
Umwelt wichtig waren. Die Logik des Vorgehens wird deutlich, wenn man sich
die Listen der verbotenen und erlaubten Tiere genauer ansieht:
Tabelle 1: Beispiele für biologisches Wissen der Juden in der Antike.8
Tabelle 2: Ökologische Logik der Speisegesetze in der Bibel.9
Der Prophet Jesaja wusste auch, dass es nicht nur wichtig war, die
richtigen Tiere zu schützen, man musste ihnen auch genügend Flächen
belassen. Was passiert, wenn man auch die allerletzten Fleckchen Erde
intensiv beackert, wird von ihm drastisch dargestellt:
"Wehe denen, die Haus an Haus reihen, Feld an Feld rücken, bis kein Raum
mehr ist und ihr allein ansässig seid mitten im Land! [So hat] der HERR der
Heerscharen in meine Ohren [geschworen]: Wenn nicht die vielen Häuser zur
Einöde werden [und] die großen und schönen ohne Bewohner sind! Denn zehn
Juchart Weinberge werden [nur] ein Bat bringen, und ein Homer Samen wird
[nur] ein Efa bringen". 10
Wenn man also zuviel aus dem Land herausholen will und alles rigoros
zubaut, bringt einem das am Anfang vielleicht etwas - deshalb der Verweis
auf die großen und schönen Häuser. Am Ende aber schlägt die Natur
erbarmungslos zurück und man erntet fast nichts mehr.
Ein wesentlicher Aspekt dieses Regelwerks war zudem der Aufbau und der
Erhalt von Humus im Boden. Generell durften die landwirtschaftlichen Flächen
alle sieben Jahre nicht bewirtschaftet werden, es galt dann das Sabbat-Jahr. 11
Die Einhaltung dieses Sabbatjahrs, dem Vorläufer der Dreifelderwirtschaft
unseres Mittelalters, war sehr streng. Alle sieben Sabbatjahre wurde sogar
ein weiteres Brachjahr eingeschoben, das Jobeljahr.12
Ein anderes Gesetz verbot, in einem neu gepflanzten Obstgarten die Früchte
der ersten drei Fruchtjahre zu ernten. Sie mussten auf dem Schlag belassen
werden.13
Aus bodenkundlicher Sicht ist insbesondere auf Kalk-Standorten der Erhalt
des Humus im Boden für dessen Fruchtbarkeit unbedingt erforderlich. Humus
ist nicht nur als Teil des Ton-Humus-Komplexes f ür die
Nährstoffversorgung der Böden wichtig, darüber hinaus ist er auf Standorten
mit unzureichender Wasserversorgung unerlässlich für die Wasserspeicherung.
Diese spielte natürlich bei den sehr unregelmäßig fallenden Niederschlägen
im Judäischen Bergland für den Ernterfolg und das Überleben der Bäume eine
entscheidende Rolle.
Die Fürsorge für den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit kommt auch in einer
anderen Vorschrift zum Tragen: es durfte kein Getreide zwischen Weinstöcken
oder Fruchtbäumen ausgesät werden. Dies hätte den Boden zu stark ausgelaugt
und letztlich ruiniert. Betrachtet man das Schrifttum des antiken Israels
mit den Augen eines Naturwissenschaftlers, so entsteht vor einem das Bild
einer Gesellschaft, die in für uns noch unvorstellbarer Weise von dem
Gedanken der Nachhaltigkeit geprägt war. Diese lebte keinesfalls im
Überfluss. Sie war durch die folgenden Punkte gekennzeichnet: Ein durch die
Gesetze festgelegter schonender Umgang mit den natürlichen Ressourcen, wobei
die Natur sogar ein Eigenrecht zum Überleben besaß. Eine Sozialstruktur, die
darauf achtete, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht zu weit aufging
und sich die Eliten nicht zu stark vom Volk abheben konnten.
Eine kapitalistisch organisierte Wirtschaft mit stark sozialer und
ökologischer Ausrichtung.
Das Gesellschaftssystem der Israeliten war darauf ausgelegt, mit Mangel
gerecht umzugehen. Ihre Gestalter beabsichtigten, eine zukunftsfähige Welt
zu entwickeln, in der, mit Gott, die Menschheit überleben kann. Dies ist
ihnen ja auch über fast zwei Jahrtausende hinweg in einer Weise geglückt,
die bisher leider noch keine Parallelen auf unserer Erde gefunden hat.
08 Aloys Hüttermann, Die Ökologische Botschaft der Thora -
die mosaischen Gesetze aus der Sicht eines Biologen, in: Naturwissenschaßen,
80 (1993), S. 147-156.
09 Hüttermann, Die Ökologisch
Botschaft, 1993, S. 150f.
10 Jes. 5:8-10.
11 2 Mos. 23:10-11, 3 Mos.
25:1-5
12 3 Mos. 25:8-13.
13 3 Mos. 19:23-25.
Weitere Literatur
Aloys Hüttermann,
The
Ecological Message of the Torah Knowledge, Concepts and Laws which
Made Survival in an Land of Milk and Honey Possible. USF Studies in History
of Judaism, Scholars Press, Atlanta, Georgia, 1999.
Aloys P. Hüttermann und Aloys H. Hüttermann,
Am
Anfang war die Ökologie. Naturverständnis im Alten Testament, Verlag
Antje Kunstmann, München, 2002. |