Fritz Stern über Deutschland und Amerika:
"Das Elend geht weiter"Der Historiker Fritz
Stern über deutsche und amerikanische Politik, liberale Schwäche und
tragische Siege
Herr Professor Stern, Sie haben 1991 von der
"zweiten Chance Deutschlands" gesprochen. Würden Sie jetzt, im Rückblick
auf die vergangenen 16 Jahre sagen, dass Deutschland diese Chance
genutzt hat?
Ich würde sagen, dass die Chance immer noch offen ist.
Im Ganzen ist das, womit ich die zweite Chance meinte - innere
Wiedervereinigung und eine behutsame Politik nach außen - vielleicht
nicht so gut gelaufen, wie man erwartet hätte. Letztlich war es doch
aber ein erfolgreicher Prozess. Und das ist eine Leistung, die man
anerkennen muss. Viele Leute haben, wahrscheinlich auch aus
instrumentalisierten Gründen, die Schwierigkeiten der Wiedervereinigung
unterschätzt. Jetzt ist man sich dessen mehr bewusst und ich glaube, man
wird diesen Weg weitergehen. Ich finde es bemerkenswert, dass 16 Jahre
nach der Wiedervereinigung jemand aus Ostdeutschland Kanzlerin geworden
ist. Meines Erachtens agiert Frau Merkel sehr geschickt in einer
ziemlich schwierigen außenpolitischen Lage. Sie versucht, die
Beziehungen zu Washington zu verbessern, zu Russland zu behalten und zu
Frankreich wieder so zu pflegen, wie sie mal gepflegt worden sind.
Ist da unter Kanzler Schröder etwas kaputt
gegangen? Gerade im Verhältnis zu Amerika?
Unter Schröder ist ganz bestimmt etwas beschädigt
worden. Das betrifft vor allem die deutsch-amerikanischen Beziehungen
und das war mehr eine Frage des Stils, als irgendetwas anderes. Dass er
sich aus dem Irak heraushalten wollte und der Meinung war, er müsse dies
für Deutschland tun, war die völlig richtige Entscheidung. Die Frage ist
bei so einer Sache, wie man es macht und ich glaube, aus wahltaktischen
Gründen hat er es mit einer unnötigen Stärke gemacht.
Sie haben sich immer wieder entschieden gegen den
Irak-Krieg gewendet. Doch was kann der Westen tun, wenn Menschenrechte
in der Welt verletzt werden? Hat er eine moralische Pflicht zum
Einschreiten, etwa in Darfur, wo erneut vor den Augen der
Weltöffentlichkeit ein Völkermord stattfindet?
Das gehört zu einem Kreis von ganz schwierigen Fragen.
Wie weit soll sich eine Nation oder eine Gruppe von Nationen in die
innere Politik eines anderen Landes einmischen? Wer gibt einem das Recht
dazu? Wenn es aber um die Verletzung von Menschheitsrechten geht, hat
man meist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Verpflichtung.
Angesichts des Elends in Darfur, glaube ich, muss man eingreifen. Das
ist wirklich eine humanitäre Katastrophe und eine Provokation, wo man
selbst eine militärische Einmischung gut verteidigen kann. Aber es ist
von Fall zu Fall unterschiedlich. Die entscheidende Frage ist, wie weit
oder wann man aus humanitären Gründen militärische Mittel einsetzt. Da
würde ich zumindest sehr vorsichtig sein. Man darf eine solche
Entscheidung jedenfalls nicht einer einzigen Nation überlassen.
Zurückhaltung hilft allerdings auch nicht. Ich meine, das Elend geht
weiter.
Ist das für Sie eine Art des "feinen Schweigens",
wie Sie einst schrieben?
Nein, das hat sich mehr bezogen auf das Verhältnis des
einzelnen Bürgers zu einem dominierenden und repressiven Staat. Dass man
durch Schweigen irgendwie versucht durchzukommen. Vom "feinen Schweigen"
unter den Großmächten habe ich aber noch nicht viel gehört. Im
Gegenteil, gerade wenn ich wieder an mein eigenes geplagtes Land denke,
geplagt von seiner eigenen Regierung, dann muss ich sagen, ist die
Großtuerei, das laute Auftreten sehr viel klarer als das Schweigen. Es
gibt auch ein Schweigen. So glaube ich, schweigen die Vereinigten
Staaten gegenüber Israel. In den letzten zwei bis drei Jahren haben sie
Israel mehr oder weniger eine carte blanche gegeben. Ich erwähne das
nur, weil das im Falle Irans noch schwere Folgen haben kann.
Israel feierte vor kurzem den 40. Jahrestag des
Sechs-Tage-Krieges. Kritische Stimmen sprechen inzwischen von einem
Pyrrhussieg. Wie sehen Sie das?
Ich möchte ein Wort Nietzsches zitieren: "Ein großer
Sieg ist eine große Gefahr." Der Sieg war berauschend, gar keine Frage,
aber es gab, das weiß ich aus persönlichen Gesprächen, mehrere
israelische Generäle, die sofort am Ende des Krieges gesagt haben, wir
müssen alles zurückgeben oder zumindest einen großen Teil. Das hätte
sich sicher nicht auf die Klagemauer bezogen, aber Israel als
Besatzungsmacht über Jahrzehnte, das war doch klar, dass das in keiner
Normalität enden würde. Wenn man nur die Hälfte von dem Mut und der
Energie, mit der man den Krieg führte, aufgebracht hätte, um auf einen
Frieden zu steuern, hätte man ihn vielleicht erreicht. Ich will dabei in
keiner Weise verschweigen, dass die arabische Seite auch sehr lang
gezögert hat, bis sie sich überhaupt bewegt hat. Sadats Besuch in
Jerusalem, der Friedensvertrag mit Ägypten, später mit Jordanien, das
waren sehr ermutigende Zeichen, aber es ging nicht weiter. Von einem
Pyrrhussieg will ich nicht sprechen, eher von einem tragischen Sieg.
Was kann man angesichts der Bedrohung durch den
Iran tun?
Ob es gelingt, mit politischem Druck den iranischen
Präsidenten doch noch zum Nachgeben zu bewegen, weiß ich nicht. Ich
würde jedenfalls hoffen, dass man das mit aller Energie betreibt. Etwa
durch Sanktionen, möglicherweise auch, wie das so üblich ist, mit
carrots and sticks, ihm also Sachen anbietet, die man Nordkorea auch
angeboten hat. Amerika hat leider sehr spät diplomatische und politische
Möglichkeiten in die Hand genommen. Man hat abgelehnt, mit dem Iran zu
reden. Dass man einen militärischen Schlag, der sowieso wahnsinnig
schwierig sein würde, vermeiden kann, ist meine große Hoffnung.
Allerdings kann ich schon meine Kritiker hören, die sagen, das sei eine
typisch liberale Hoffnung. Ich war jedenfalls absolut gegen den Krieg im
Irak und dachte damals, gib dem Hans Blix noch sechs Monate, und lasst
uns sehen, was er zu sagen hat. Und ich glaube nicht, dass sich das als
liberale Schwäche gezeigt hätte. Es gab viele, die gegen den Krieg waren
und eine Vorstellung von den ungeheuren Schwierigkeiten hatten, die so
ein Krieg nach einem militärischen Sieg bringen würde.
Was passiert, wenn man mit diplomatischem Druck
nichts erreicht? Es funktioniert ja nur so lange, wie die Gegenseite
mitmacht. Kann man warten, bis Ahmadinedschad die Atombombe hat? Viele
erinnern an das Münchener Abkommen von 1938 und warnen vor einer
erneuten Appeasement-Politik des Westens.
Eine Atomwaffe in den Händen der Iraner, respektive in
den Händen ihres Präsidenten, ist zweifellos eine große Bedrohung,
gerade für Israel, das allerdings selbst Atommacht ist. Ich weiß
eigentlich nicht genug darüber, was die militärischen Möglichkeiten
sind, aber ich glaube, es würde einen Brand im Mittleren Osten auslösen,
der wahrscheinlich jahrzehntelang auszulöschen wäre. Da kommt es
wirklich sehr auf Diplomatie an. Es wäre wichtig, dass eine Politik der
Eindämmung von den meisten Staaten, wenn es irgend ginge, unterstützt
würde. Aber das ist bis jetzt noch nicht erreicht worden, in keiner
Weise.
Was halten Sie von einem Präventivschlag?
Wenn sämtliche friedliche Mittel fehlgeschlagen sind,
muss man dies - als ultima ratio - erwägen und das ginge wahrscheinlich
sogar mit einer gewissen Legalität. Ich hoffe inbrünstig, dass es nicht
dazu kommt, denn ich glaube, die Konsequenzen eines
israelisch-amerikanischen Angriffs würden entsetzliches Chaos und
Feindschaft hinterlassen. All die Kosten sind enorm, und um Gottes
Willen ist das Problem nicht mit München zu vergleichen. Genug Menschen
sind wegen "München" umgekommen und genug Unsinn ist in der Geschichte
seit 1938 geschehen. Ich denke an Vietnam, wo ich mich öffentlich
mehrmals gewehrt habe gegen das, was damals die Regierung versucht hat
zu tun. Nämlich zu sagen, dass jeder Kritiker des Krieges eine
Appeasement-Politik betreibt. Oder die Suez-Kampagne im Jahre 1956. Der
englische Premierminister Eden glaubte damals, dass Nasser ein Hitler
wäre. Das war doch völlig unverantwortlich! Ich glaube, man vergisst
wirklich, welche Position Hitler in welchem Europa des Jahres 1938
hatte. Ihm Konzessionen zu machen, ihn noch zu stärken, war ganz sicher
ein Fehler und übrigens ist ja das Amüsante, dass der Fehler von der
konservativen Seite kam und nicht irgendwie von einer linken oder
liberalen. Man muss immer bedenken, was hinter Hitler stand, was er
schon erreicht und welche Macht er hatte. Das passte ganz bestimmt nicht
auf Nasser und ganz bestimmt nicht auf Vietnam. Also gegen diese Art der
Vergleiche habe ich mich oft gewehrt und tue es auch jetzt.
Sehen Sie sich denn selbst eher als Liberaler oder
als Konservativer?
Die Annäherungspunkte zwischen dem reinen Liberalismus
und dem reinen Konservatismus sind sehr groß. Ich meine, der wirkliche
Konservative ist meist ebenso bestrebt, über Menschenrechte zu reden wie
der wirkliche Liberale. Der Konservative scheut sich vor Reformen mehr
als der Liberale, aber in vielen Grundprinzipien sind sie sich einig.
Ich würde mich selber definieren als Liberaler in der Politik, als
konservativ eher in Fragen von Kultur und Gesellschaft. Und als radikal
in der Kritik an allem was Unterdrückung, Einschüchterung und Repression
bedeutet.
Teilen Sie die Einschätzung, dass der Islamismus
eine neue totalitäre Herausforderung ist?
Ich glaube nicht, dass es den einen Islamismus gibt.
Es gibt wahrscheinlich Millionen, die an einen neu aufstehenden Islam
glauben. Es gibt aber sicher auch in jedem der Länder, und ganz bestimmt
im Iran, eine aufstrebende Mittelklasse, die sich aus Gründen der
Vernunft gegen einen islamischen Totalitarismus wehrt, denn er hat ja
nicht nur eine außenpolitische, sondern auch eine innenpolitische
Komponente. Was der Westen dagegen tun kann, ist eine ganz große
Aufgabe. Man muss versuchen, die moderaten Elemente in diesen Ländern an
sich zu ziehen, sie immun zu machen gegen religiösen Fanatismus.
Allerdings sehe ich islamischen Totalitarismus nicht als eine bereits
existierende Kraft oder Bewegung. Ich würde eher von Fundamentalismus
sprechen. Aber es gibt dessen Verfechter und die sind in einigen Ländern
mächtig und gefährlich. Aber dann kommen wir auch auf den Irak-Krieg,
der die Feindschaft gegen den Westen noch mehr geschürt hat. Dieser
unnötige Krieg hat jetzt schon zu einem großen Machtaufstieg Irans
geführt. Und dass ein unnötiger Krieg noch andere militärische Folgen
heraufbeschwören kann, ist uns aus der Geschichte bekannt.
Würden Sie sich als Pazifisten bezeichnen?
Nein. Das 20. Jahrhundert hat uns gelehrt, dass
Pazifismus nicht in jeder Situation möglich ist. Auf der anderen Seite
ist das Beispiel von Gandhi oder auch Mandela ungeheuer eindrucksvoll.
Oder denken wir an 1989, an Havels "Macht der Machtlosen". Der reine
Pazifismus kann zu gewissen Zeiten seine Berechtigung haben, aber in dem
Moment, - und diese Momente sind in der Weltgeschichte die öfteren - wo
eine militärische Gefahr besteht, kann man mit Pazifismus nicht
reagieren. Leider. Aber man kann gleichzeitig als radikaler Liberaler
und auch als Konservativer ganz genau aufpassen, dass der Militarismus
nicht um sich greift, auch in unseren eigenen Ländern. Das ist eine
ungeheure Herausforderung für eine liberale Demokratie und auch für den
Frieden in der Welt. Das heißt also, nicht Pazifist und nicht Militarist
sein, sondern zu versuchen, eine friedliche Politik der Sicherheit durch
multinationale Organisation zu erreichen. Unilateralismus in dieser
multipolaren Welt kann auf lange Sicht nicht bestehen und ich hoffe, das
wird man auch in meinem eigenen Land erkennen.
Welche Rolle spielt für Sie die Religion?
Ich kann nur sagen, ich habe Ehrfurcht vor einem
wirklich religiösen Menschen oder vor einer Religion, die nicht zu viele
Kompromisse mit einer opportunistischen Welt eingeht. Persönlich habe
ich keine feste Bindung zu irgendeiner Religion, aber Verständnis für
die religiöse Empfindung und, was mit Religion nur wenig zu tun hat,
eine Art gefühlte Identität mit der jüdischen Welt. Auch zum großen Teil
aus der Opferzeit des 20. Jahrhunderts heraus.
Sie haben in den letzten Jahren immer wieder
Kritik an Ihrem eigenen Land geübt. Sehen Sie denn die liberale
Demokratie mehr durch innen oder durch außen herausgefordert?
Die liberale Demokratie ist permanent gefährdet durch
ihre Offenheit, die sie selber repräsentiert und repräsentieren muss. In
Amerika ist die Gefahr im Moment ganz besonders groß. Da ist eine
republikanische Schicht an die Macht gekommen, die sich auf einen
amerikanischen Fundamentalismus stützt und von Anfang an, schon vor dem
11. September, ein unilaterales Vorgehen in der Außenpolitik angefangen
hat. Sie ist mit Hybris ausgestattet und an Lügen noch gewöhnter als
frühere Regierungen. Sie nennen sich konservativ, aber ich bestreite,
dass das mit konservativ irgend etwas zu tun hat. Die Hauptrichtung von
Bush und Cheney und ihren Leuten ist ein radikaler Bruch mit der
amerikanischen Außenpolitik und mit gewissen Aspekten der Innenpolitik,
die zu einer bewussten oder unbewussten Vernachlässigung der wichtigsten
Stützen einer liberalen Demokratie führen. Als besondere Gefahr sehe ich
ihre Politik der Einschüchterung. Und die ist durch den 11. September
noch weiter geschürt worden. Ja, ich mache mir über die liberale
Demokratie große Sorgen.
Aber ich denke dabei auch noch an etwas anderes. Bei
meinen Reisen 1977 nach Singapur, später nach China oder auch durch
Südamerika bin ich auf die Gefahr gestoßen, dass kapitalistische Dynamik
nicht nur mit Diktatur auskommen, sondern tatsächlich mit einem
diktatorischen System koexistieren kann. Ich sehe das als eine wirkliche
Gefahr. Meines Erachtens ist die liberale Demokratie mit all ihren
Schwächen und all ihren ungeheuren Vorteilen die beste Art, politisches
Leben zu organisieren. Aber sie ist auch bedroht, wenn durch einen
mächtigen kapitalistischen Aufschwung der Reichtum mit großer
Ungleichheit verteilt wird. Wenn die Wirtschaft floriert, aber jegliche
Opposition unterdrückt wird.
Auch hier wieder die Frage: Schweigt der Westen,
etwa im Falle von Menschenrechtsverletzungen in China, zu sehr? Oder
sind ihm aus ökonomischen Gründen die Hände gebunden?
Ich denke, es gibt so viele Mittel, um den Menschen,
die in China für ihr Recht kämpfen und dann ins Gefängnis kommen, zu
helfen. Das war auch schon in Osteuropa so in den 70er Jahren nach
Helsinki. Das reicht von wirtschaftlichen Mitteln bis hin zu einem
George Soros, den ich sehr bewundere für seinen Einsatz in Osteuropa.
Wie weit man gehen kann und was man gegenüber einem aufsteigenden Staat
wie China machen kann, weiß ich nicht. Jedenfalls nicht einfach zusehen.
Gilt das auch für Russland?
Ich begrüße das, was Frau Merkel, soweit ich das
beurteilen kann, als Autorität aus dem stärksten Land Europas vorsichtig
macht: die Russen an Menschenrechte und offene Gesellschaft zu erinnern.
Und ich hoffe, sie bekommt dabei weiter Unterstützung von der EU. Auf
der anderen Seite muss man natürlich mit Russland auskommen und gute
Beziehungen pflegen. Das geht nicht nur auf Energie zurück, auch wenn
das tatsächlich eine große Rolle spielt. Im Augenblick scheint die
russische Politik einen Kurs zu steuern, um Russland wieder als
Großmacht darzustellen. Ich kann nur hoffen, dass sich Europa, dessen
Gewicht im Augenblick nicht groß genug ist, noch sehr viel stärker
entwickelt und Kraft genug besitzt, um Gefahren abzuwenden.
In der Auseinandersetzung mit den totalitären
Regimes des 20. Jahrhunderts erwies sich die liberale Demokratie
letztlich als widerstandsfähig. Wird sie auch die Herausforderungen der
Gegenwart überstehen?
Das Funktionieren einer liberalen Demokratie hängt
sehr mit der Entwicklung einer politischen Kultur zusammen. Ich würde
beinahe soweit gehen zu sagen, dass nichts eine liberale Demokratie mehr
gefährdet, als irgendeine Form von öffentlicher Verunsicherung. Da
wächst sofort das Geschrei nach einem starken Mann, nach starken
repressiven Methoden. Die liberale Demokratie muss lernen, sich mit den
wirklichen Gefahren auseinanderzusetzen. Ihre große Aufgabe ist auf der
einen Seite, sich gegen die Angriffe des Terrorismus zu schützen, ohne
die eigenen Rechte unnötig einzuschränken. Und auf der anderen Seite zu
sehen, den Reichtum in der vielbeschworenen Welt der Globalisierung
nicht so unfair zu verteilen, wie es im Augenblick etwa in Amerika
geschieht. Da möchte ich auch noch gleich hinzufügen, was ich schon über
die Möglichkeit einer Verbindung von Kapitalismus und Diktatur sagte. Es
gibt viele Arten von Kapitalismus. Der amerikanische Kapitalismus von
heute entspricht mehr dem, was Jacques Delors als capitalisme sauvage
bezeichnet hat. Der Kapitalismus in Dänemark hingegen ist was ganz
anderes, aber übrigens auch sehr kreativ und erfolgreich. Das Wichtigste
ist, dass man sich den Gefahren innerhalb und außerhalb des Landes klar
ist und das den Menschen versucht zu vermitteln. Ich bin mir bewusst,
wie viel Politikverdrossenheit im Augenblick da ist und dass es ganze
Kataloge von Missständen gibt. Aber am Ende würde ich doch sagen: Wir,
die wir 1989 erlebt haben, müssten eigentlich dem Schicksal nicht nur
dankbar sein, sondern uns auch erinnern, was Machtlose erreichen
konnten. Wir sollten unsere ganze Kraft darauf konzentrieren, diese
Hoffnungen und Impulse in unser politisches Handeln aufzunehmen.
Das Gespräch führte Carsten Dippel
"Jüdische Zeitung", September 2007 |