Surfer in Gaza:
Die apokalyptischen Reiter
Teil 2 (Fortsetzung von Teil 1)
Von: Thorsten Schmitz (Text), Khalil Hamra (Fotos)
Doch wenn er sich aufs Surfbrett schwingt und dem Gazastreifen den
Rücken kehrt, öffnet sich für Mohammed die Grenze. Auf dem Wasser, sagt er,
»bin ich ein freier Mensch«.
Auf dem Brett vergesse er das Eingesperrtsein, die Kämpfe zwischen Hamas und
Fatah, die Aussichtslosigkeit. »Ich bin dann ein Fisch im Wasser.« Und
Achmed, der Wachs von seinem Surfbrett abrubbelt, sagt: »Auf den Wellen
vergesse ich mein normales Leben.« Gaza schnüre ihm die Luft ab, auf dem
Meer könne er atmen. Die Not im Gazastreifen hat auch seine Surfer
erfinderisch gemacht.
Mohammed und Achmed benutzen ihre Bretter manchmal zum Fischen. Paddeln
raus aufs Meer, halten Netze ins Wasser, bis sie Fische fürs Abendessen mit
nach Hause bringen können. Einmal ist Mohammed dabei einem israelischen
Patrouillenboot zu nahe gekommen. Die Soldaten waren überrascht, keinen
Terroristen vor sich zu haben, erzählt Mohammed: »Ein Soldat hat gesagt, er
wusste gar nicht, dass auch im Gazastreifen gesurft wird.«
Ein Taxifahrer hupt und hält am Rand des Strandes. Türen fliegen auf und
sechs palästinensische Surfer-Jungs kommen zur Holzhütte der Bademeister, wo
ihre Bretter liegen. Sie begrüßen Mohammed und Achmed mit Handschlag und
rennen mit den Surfboards ins Meer. Sie johlen und lachen, stolpern ins
Wasser und verlieren die Bretter, sie balancieren auf Wellen und warten
bäuchlings auf größere, sie paddeln und kippen vom Brett, sie kraulen und
halten ihre Köpfe über Wasser, nach einer halben Stunde geht ihnen die Puste
aus. Nur Jusuf, der Jüngste, bleibt die nächsten anderthalb Stunden im Meer.
Mohammed sagt, Jusuf sei ein Naturtalent. Vor zwei Jahren habe er das
erste Mal auf einem Surfbrett gestanden, »als ob er auf einem Surfbrett zur
Welt gekommen wäre«. Jusuf hält das Gleichgewicht selbst dann, wenn der
Wellenkamm kleiner und das Balancehalten schwerer wird. Immer wieder paddelt
er raus aufs Meer und wartet gute Wellen ab. Später, in einer Pause, scharrt
Jusuf mit seinen dürren Beinen im Sand, das Reden mit einem Fremden ist ihm
unangenehm. Sein Surfbrett ist doppelt so lang wie er selbst. Den Blick aufs
Meer geheftet, sagt er, die Schule interessiere ihn nicht, Hausaufgaben
langweilten ihn. Jeden Tag sei er am oder im Meer, denn: »Ich will an
Wettbewerben teilnehmen und Champion werden.« In der Schule sei er der
Einzige, der surfe. Die meisten verstünden gar nicht, worin der Spaß am
Wellenreiten liege.
Wie und warum der 86 Jahre alte Jude Dorian Paskowitz aus
Hawaii Surfbretter in den Gaza-Streifen bringt
Vor zwei Jahren, als Jusuf am Strand war und Mohammed das erste Mal auf
einer Welle beobachtet hatte, bettelte er seinen Vater an, er möge ihm auch
so ein Board besorgen. Doch der Vater musste passen. Im ganzen Gazastreifen
gab es keine Surfboards und der Grenzübergang zu Israel war nur für
medizinische Notfälle passierbar. So behalf sich Jusuf zunächst mit einer
dicken Plastikscheibe, die ihm sein Vater zurechtschneiden ließ.
Seit August besitzt Jusuf endlich auch ein eigenes, wenn auch viel zu
großes Surfboard. Es ist ein Geschenk des 86 Jahre alten Juden Dorian
Paskowitz aus Hawaii. Paskowitz reitet seit über siebzig Jahren auf den
Wellen und ist in der Surf-Welt als »Doc« bekannt. Im Frühsommer war
Paskowitz in einem Artikel der Los Angeles Times auf die Surfer vom
Gazastreifen gestoßen. Den Artikel zierte ein Foto, auf dem Mohammed und
Achmed unsicher in die Kamera lächelten, zwischen sich das ramponierte
Surfboard, das sie sich teilten. Paskowitz beschloss, gebrauchte Bretter zu
sammeln und in den Gazastreifen zu schicken. Mehrere Wochen telefonierten
der »Doc« und sein Sohn David mit Surfshops und Friedensgruppen in Israel
und den Palästinensergebieten. Bis Spenden für den Transport von 15
gebrauchten Brettern zusammenkamen und »Doc« und David die 12500 Kilometer
lange Reise zum Gazastreifen antreten konnten.
Dann standen sie mit ihren Brettern in sengender Augusthitze am
Grenzübergang Eres, während auf der gegenüberliegenden Seite Mohammed und
Achmed warte-ten. Doch die Soldaten am Checkpoint waren unerbittlich: »Doc«
könne die Bretter den Palästinensern nicht persönlich übergeben, wegen solch
einer komischen Aktion könne man nicht einfach die Grenze öffnen. Zwei
Stunden lang wurden Telefonate geführt und Argumente ausgetauscht. Bis
schließlich die Armeeführung ein Einsehen hatte mit den spendablen Surfern
aus Hawaii. Das schwere Tor schwang auf und Mohammed und Achmed konnten die
Secondhand-Bretter persönlich in Empfang nehmen.
Mohammed sagt, er habe Tränen in den Augen gehabt, als er die
Surfbretter endlich berühren konnte. Zehn Minuten habe man mit dem Gönner
aus Hawaii reden dürfen, dann wurde die Grenze wieder geschlossen. Er habe
dem Surf-Guru gesagt, sein Traum sei es, einen Surfkurs zu absolvieren, um
den Kindern im Gazastreifen das Wellenreiten beizubringen. »Ich warte jeden
Tag auf einen Anruf aus Hawaii«, sagt Mohammed und schnippt seine Zigarette
in den Sand. Das wäre sein Traum: einmal rauskommen aus dem Gazastreifen und
Wellenreiten lernen. Mohammed hat sein neues Surfboard bis heute nicht
benutzt, es ist ein Heiligtum für ihn. Das Brett liegt bei ihm zu Hause im
Gästezimmer, niemand darf es berühren.
Mohammed wartet auf den Winter und einen Tag mit starkem Wind, wenn
meterhohe Wellen weit draußen Fahrt aufnehmen und mächtig auf den
Al-Deira-Strand zurollen. Dann wird Mohammed hinauspaddeln und sich im
richtigen Moment auf das Brett des jüdischen Amerikaners schwingen. Und sich
frei fühlen.
Von: THORSTEN SCHMITZ (TEXT), KHALIL HAMRA (FOTOS)
im Magazin der Süddeutschen
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