Paulas Celebrated Lebkuchen:
Nürnberger Elisen-Lebkuchen – Made in the USA
Wie das fränkische
Weihnachtsgebäck nach New York kam – Jüdische Emigrantenfamilie mit
gewitzter Geschäftsidee
Von Jim G. Tobias
"Ich bin immer noch Experte in Lebkuchen und kann Ihnen
sofort sagen was richtige Nürnberger Elisen-Lebkuchen sind", erklärt William
Freund nicht ohne Stolz. Über zwei Dekaden war er in leitender Position an
der New Yorker Börse tätig. Viele Jahre unterrichtete er an der Pace
University Wirtschaftswissenschaften. Seminare und Praktika zur Herstellung
von Lebkuchen suchte man im Vorlesungsverzeichnis der Universität allerdings
vergeblich. Nur Wenige wissen auch von der besonderen Fähigkeit des
promovierter Börsianers und Hochschullehrers.
William Freund spricht ein fast akzentfreies Deutsch. Fast, denn für den
aufmerksamen Zuhörer ist eine leicht fränkische Sprachfärbung nicht zu
überhören. Seine Eltern, die Nürnberger Kaufleute Hugo und Paula Freund,
gehörten zu den angesehenen und gut situierten Bürgern der Frankenmetropole.
Die Nationalsozialisten beendeten die bürgerliche Existenz der jüdischen
Familie. Verfolgung, soziale Ausgrenzung und politische Entrechtung
bestimmten den Alltag in der Stadt der Reichsparteitage.
"Meinen Eltern war klar, dass es in Deutschland keine Zukunft mehr für uns
gab", sagt William, der damals gerade 11 Jahre alt war. Im Herbst 1937 war
es endlich soweit. Hugo Freund und seine Familie erhielten die lang ersehnte
Einreisegenehmigung in die USA. Nur etwas Hausrat, sieben Dollar in bar und
die Kleider, die man auf dem Leib trug, durften mitgenommen werden.
Unbemerkt von den Nazischergen konnte die Nürnberger Kaufmannsfamilie jedoch
etwas sehr wertvolles mit auf den Weg ins Exil nehmen.
"Vor der Emigration überlegten meine Eltern lange, von was wir in Amerika
leben sollten. Dann hatte meine Mutter Paula eine brillante Idee: "Wir
backen Nürnberger Lebkuchen!" Ein Bäckermeister der renommierten Nürnberger
Lebküchnerei Haeberlein-Metzger verriet gegen Bezahlung das seit vielen
Jahrhunderten gehütete Geheimrezept und gab Paula sogar Backstunden.
Nach wenigen Wochen intensiven Unterrichts in ihrer Wohnung beherrschte die
jüdische Hausfrau die Kunst des Lebkuchenbackens perfekt. Da es zu
gefährlich war, das Geheimrezept in schriftlicher Form außer Landes zu
bringen, lernte Paula die Zubereitung und die exakte Zusammensetzung der
Spezialität auswendig. "In den Kopf kann niemand hereinschauen", erinnert
sich Sohn William und freut sich noch heute über die Chuzpe seiner Mutter.
Als die Familie 1937 amerikanischen Boden betrat, hatten die Eltern weder
eine Arbeitsstelle noch eine Wohnung. Zum Ende der dreißiger Jahre herrschte
weltweit immer noch große Arbeitslosigkeit. Auch die USA hatten sich noch
nicht von der Wirtschaftskrise erholt. Jobs waren Mangelware. Paula und Hugo
hatten jedoch Glück und fanden bald eine Beschäftigung und vorübergehenden
Unterschlupf bei Verwandten. Während der Vater als Leichenwäscher arbeitete,
montierte Paula Lippenstifte im Akkord. Auch der kleine William trug sein
Scherflein zum Familieneinkommen bei. Mit einer selbst gezimmerten Holzkiste
– gefüllt mit Schuhwichse, Polituren und diversen Bürsten – streifte der
Junge jeden Tag durch die Straßen von New York. Noch heute ist der ehemalige
Wirtschaftsprofessor stolz darauf, dass seine berufliche Laufbahn als
Schuhputzer begann.
Schon bald konnte sich die Familie eine eigene Wohnung leisten. Im New
Yorker Stadtviertel Washington Heights mieteten sich die jüdischen
Flüchtlinge ein Appartement. Hier wohnten fast ausschließlich deutsche
Emigranten, deshalb nannten die Amerikaner diesen Teil von Manhattan auch
scherzhaft das "4. Reich". "Es gab deutsche Bäcker und Metzger, deutsche
Zeitungen und auf den Straßen und in den Cafés wurde natürlich Deutsch
gesprochen", weiß William Freund zu berichten.
Am Anfang backte Paula – nach Feierabend und am Wochenende – nebenbei in
ihrer Wohnung Lebkuchen und verkaufte die Leckerei an Freunde und Bekannte.
Das Geschäft entwickelte sich gut und schon bald konnte die Küchenproduktion
der steigenden Nachfrage nicht mehr gerecht werden. Deshalb mieteten sich
die Freunds in der St. Nicholas Avenue geeignete Gewerberäume und eröffneten
1938 ihre Spezialbäckerei. Die fränkischen Lebkuchen fanden reißenden
Absatz. Die ganze Familie arbeitete nun im eigenen Geschäft. Während William
und seine Schwester Margot hinter der Ladentheke standen, kümmerte sich
Vater Hugo um den Vertrieb. Mit seinem Musterkoffer besuchte er die New
Yorker Einzelhandelsgeschäfte und Kaufhäuser. In der Backstube produzierte
Paula unermüdlich bis zu 1.200 echt Nürnberger Elisen-Lebkuchen täglich. Im
Dezember 1939 veröffentlichte die New Yorker Zeitung "Herald Tribune" eine
Reportage über die geschäftstüchtigen Einwanderer. Der Bericht machte
Paula's Lebkuchen weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt.
Artikel in der New York Herald Tribune,
Dezember 1939, © jgt-archiv
Bis Anfang der 1950er fabrizierte Paula Original Nürnberger Lebkuchen. Dann
verkauften die Freunds ihre Bäckerei. Die gewitzte Geschäftsidee ermöglichte
der Familie einen erfolgreichen Neubeginn in der Emigration. William konnte
an der bekannten Columbia Universität ein Studium absolvieren und einen
Doktortitel erwerben. "Heute könnte ich keine Lebkuchen mehr backen", sagt
Paulas Sohn ein bisschen wehmütig und fügt lächelnd hinzu: "Die Firma
Haeberlein-Metzger hat also nichts von mir zu befürchten."
Anzeige erschien im AUFBAU, 3. Dezember 1943,
© jgt-archiv
Nürnberger Lebkuchen sind in New York jedoch immer noch erhältlich.
Allerdings werden die Leckereien nicht mehr von deutschen Auswanderern
gebacken. Bekannte und renommierte Hersteller beliefern die Geschäfte in der
Millionenstadt. Die kleine Lebkuchen-Bäckerei der fränkischen Familie ist
jedoch bei einigen New Yorkern immer noch im Gedächtnis. Manchmal wird
William Freund sogar gefragt: "Sind Sie nicht der Sohn von Paula, Paula's
Lebkuchen?"
Hugo und Paula Freund vor ihrem Laden in
Washington Heights, © jgt-archiv
Für das "Nürnberger
Videoarchiv der Erinnerung" wurde ein Gespräch mit William Freund
aufgezeichnet, in dem er über seine Erinnerungen an die Geburtsstadt
Nürnberg, seine Emigration und an den Neuanfang in den USA erzählt.
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Mehr über die Flucht aus Nürnberg und den
Neubeginn in den USA erzählt Bill Freund in dem soeben erschienenen Lesebuch
"...und wir
waren Deutsche!" – Jüdische Emigranten erinnern sich. |