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    Die Jahrhundertjournalistin:Alice Schwarz-Gardos
 
    In der Tel Aviver Ha Negev-Straße wird von 
	der neunzigjährigen Alice Schwarz-Gardos Israels letzte deutschsprachige 
	Tageszeitung produziert. Auch wenn die Abonnenten immer weniger werden, 
	arbeitet die Chefredakteurin täglich an ihrem Lebenswerk. 
    Von Thomas SchmidingerErschienen in: Nu, 
	Jüdisches Magazin für Politik und Kultur
 
    In einem einzigen Zimmer in einem unscheinbaren Gebäude in 
	der Ha Negev-Straße in Tel Aviv hat Alice Schwarz-Gardos ihr Büro. Die 
	neunzig Jahre alte Schriftstellerin und Journalistin produziert hier, in nur 
	einem kleinen Raum mit zwei Computern und einigen Ordnern an der Wand, 
	Israels letzte deutschsprachige Tageszeitung, die "Israel-Nachrichten". 
    Gegründet wurde die Zeitung 1936, am Höhepunkt der 
	Fluchtwelle deutschsprachiger Juden, von Siegfried Blumenthal. Das 
	ursprünglich nur hektografierte Blatt, das die Headlines und Meldungen der 
	hebräischen Tageszeitungen für die Jekkes ins Deutsche übersetzte, erschien 
	damals unter dem Titel "Blumenthals neueste Nachrichten". "Das Blatt wurde 
	damals genauso belächelt wie es beliebt war", erzählt die heutige 
	Chefredakteurin, während sie gerade die Druckfahnen für die Wochenendausgabe 
	für den Freitag am Computer korrigiert: "Die meisten von uns konnten ja kein 
	Hebräisch als wir hierher kamen. Einige haben es bis heute nicht wirklich 
	gelernt." So bildete dieses Blatt die einzige Möglichkeit auf dem Laufenden 
	zu bleiben. Die nur aus einem beidseitig bedruckten Papier bestehende 
	Zeitung wurde trotzdem belächelt. "Die Leute sagten damals 'unser Käseblatt' 
	oder 'Blumenkohls neueste Nachrichten' dazu", erinnert sich die heutige 
	Chefredakteurin. 
    Dabei kannte Alice Schwarz-Gardos damals die Zeitung nur als 
	Leserin. Ihre journalistische Karriere hatte die aus Österreich stammende 
	Einwanderin erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs begonnen. 
    Als Alice Schwarz-Gardos am 31. August 1916 in Wien geboren 
	wurde, regierte noch Kaiser Franz Joseph über ihre Heimatstadt. In der 
	Ersten Republik besuchte sie die Volksschule in der Hahngasse, der 
	Fortsetzung der Rotenlöwengasse, wo sie mit ihren Eltern lebte. 
    1929/30 übersiedelte sie mit ihren aus der heutigen Slowakei 
	stammenden Eltern, deren Familien über mehrere Ecken auch mit so prominenten 
	Namen wie Heinrich Heine, Theodor Herzl oder Karl Marx verwandt waren, in 
	das damals noch teilweise deutschsprachige Preßburg, das heutige Bratislava. 
	Dort besuchte sie bis zur Matura das Deutsche Staatsrealgymnasium. Von der 
	Tschechoslowakei aus, dem letzten demokratischen Staat Mitteleuropas, musste 
	die talentierte Schülerin das Anwachsen der NSDAP in Deutschland, die 
	Begeisterung der ÖsterreicherInnen für den "Anschluss" und schließlich den 
	Verrat der demokratischen Staaten Westeuropas durch das Münchner Abkommen 
	und den Einmarsch deutscher Truppen in der Tschechoslowakei erleben. Nach 
	der Matura konnte sie nur noch vier Semester Medizin an der 
	Comenius-Universität in Bratislava studieren, denn nach der Besetzung der 
	"Rest-Tschechei" und der Errichtung eines faschistischen Satellitenstaates 
	in der Slowakei begann für sie und ihre Eltern eine lebensgefährliche 
	Flucht, die sie über Rumänien nach Palästina führte. 
    Die erste Zeit in Palästina war für die aus gutbürgerlichen 
	Verhältnissen stammende Familie alles andere als einfach. "Ich konnte kein 
	Wort Hebräisch als ich hierher kam", erinnert sich Alice Schwarz-Gardos 
	heute noch an diese schwere Zeit: "Aber immerhin wurden wir hier gerettet. 
	Wären wir in der Slowakei geblieben, hätte uns wohl dasselbe Schicksal 
	ereilt, wie viele unserer Bekannten, Verwandten und Freunde." 
    In den ersten Jahren musste jede Tätigkeit angenommen werden, 
	die sich anbot. So arbeitete sie als Stubenmädchen, Tellerwäscherin, 
	Kellnerin oder Verkäuferin. Eine feste Anstellung als Sekretärin bei der 
	britischen Royal Navy von 1942 bis 1949 bedeutete bereits einen großen 
	sozialen Aufstieg. 1949 kehrte sie auf Einladung ihres Cousins Bruno Frei, 
	der als linker Journalist und Schriftsteller im mexikanischen Exil überlebt 
	hatte, erstmals nach Europa zurück und verbrachte in Wien drei Monate als 
	"eine Art Pressereferentin bei der Jewish Agency", womit ihre bis heute 
	andauernde Tätigkeit als Journalistin begann. 
    Nach ihrer Rückkehr nach Israel begann Alice Schwarz-Gardos 
	ihre journalistische Tätigkeit 1950 zunächst bei der deutschsprachigen 
	Tageszeitung "Yedioth Hayom" (Nachrichten des Tages). Von da wechselte sie 
	1962 zur "Yedioth Chadaschoth" (Neue Nachrichten), 1936 gegründet als 
	"Blumenthals neueste Nachrichten". 
    Nach der Einstellung von "Yedioth Hayom" im Jahr 1965 blieb 
	"Yedioth Chadaschoth" als einzige deutschsprachige Tageszeitung Israels 
	erhalten. 1973 wurde auch sie eingestellt, doch mit dem gleichen 
	Redaktionsstab in einem anderen Verlag als "Israel-Nachrichten" 
	weitergeführt. Seit 1975 redigiert Alice Schwarz-Gardos die Zeitung, 
	schreibt Leitartikel und Kommentare und bringt nebenbei auch noch eine Reihe 
	von Büchern heraus. 
    Für ihren ersten Novellen-Band, "Labyrinth der 
	Leidenschaften", der 1947 in Haifa erschien, schrieb Arnold Zweig ein 
	Vorwort. Es folgte der erste Roman, "Operation Goliath", der bis heute nur 
	in einer hebräischen Übersetzung erschienen ist und die Ereignisse um die 
	Eroberung Haifas aus der Sicht einiger mitteleuropäischer Intellektueller 
	schildert, die – wie die Autorin meint – "ahnungs- und erfahrungslos in 
	diesen Kampf gestürzt wurden und von denen einige, eher Anti-Helden als 
	Helden, dann auch in diesem erbarmungslosen und für uns schwer 
	überschaubaren Ringen gefallen sind." Weitere Romane, wie "Schiff ohne 
	Anker", der den Untergang eines Schiffs mit 789 jüdischen Flüchtlingen 
	schildert, das 1942 gezwungen worden war, den Hafen von Istanbul wieder zu 
	verlassen, und schließlich untergegangen ist, "die Abrechnung" oder 
	"Versuchung in Nazareth" liegen auch auf Deutsch vor. Zudem stammen mehrere 
	Kinder- und Jugendbücher aus ihrer Feder. 1979 brachte sie mit "Heimat ist 
	anderswo" eine der ersten Anthologien deutschsprachiger Dichtung in Israel 
	heraus. 1991 erschien im Bleicher-Verlag ihre Biografie "Von Wien nach Tel 
	Aviv". Zu ihrem neunzigsten Geburtstag erschien im August dieses Jahres im 
	Verlag Hartung-Gorre in Konstanz das von Erhard Roy Wiehn herausgegebene 
	Buch "Zeitzeugnisse aus Israel", mit Artikeln der Autorin aus den 
	Israel-Nachrichten. 
    Neben all dem arbeitete Alice Schwarz-Gardos zwischenzeitlich 
	auch als Israel-Korrespondentin für mehrere europäische und 
	lateinamerikanische Zeitungen und Zeitschriften, u. a. für den 
	"Tagesspiegel" und für das in Buenos Aires erschienene "Argentinische 
	Tagblatt". 
    Mit neunzig Jahren fährt die Chefredakteurin noch täglich in 
	das kleine Büro in der Ha Negev-Straße, wo im gleichen Stock noch andere 
	Zeitungen desselben Verlegers herauskommen. Auch diese erscheinen in den 
	Sprachen der ImmigrantInnen, die großteils vor über 60 Jahren nach Israel 
	bzw. in das damalige Mandatsgebiet Palästina eingewandert sind. Ungarische, 
	rumänische und polnische Tages- und Wochenzeitungen werden hier hergestellt. 
	Die ebenfalls hier produzierte jiddische Wochenzeitung musste vor einigen 
	Jahren mangels Lesern eingestellt werden. 
    Auch den Israel-Nachrichten sterben langsam die LeserInnen 
	weg. Von den 26.000 Stück Auflage, mit der die Zeitung in ihren Blütezeiten 
	zu den großen israelischen Tageszeitungen gehörte, sind heute nur noch 4.000 
	geblieben. Der Großteil der Auflage wird im Abo in Israel vertrieben. Einige 
	Abos werden jedoch auch nach Österreich und Deutschland geschickt. Zudem 
	gibt es einen kleinen Kreis deutschsprachiger Jüdinnen und Juden in aller 
	Welt, die die Zeitung regelmäßig lesen. Neben der Möglichkeit eines 
	Vollabonnements gibt es auch die Variante sich nur die Wochenendausgabe 
	zuschicken zu lassen. Diese erscheint statt der acht Seiten unter der Woche 
	mit sechzehn Seiten und einem zweifarbigen Umschlag. 
    Obwohl man als junger Österreicher beim Gespräch mit Alice 
	Schwarz-Gardos den Eindruck bekommt, mit einer der ganz großen alten Damen 
	zu sprechen, deren Leben selbst die Geschichte des europäischen Judentums 
	des 20. Jahrhunderts zwischen Wien, Bratislava und Israel widerspiegelt, 
	kommt in der Redaktion der Israel-Nachrichten nie das Gefühl auf, in einem 
	Museum zu sein. Vielmehr wird hier immer noch eine immer wieder aktuelle 
	Tageszeitung produziert, deren Chefredakteurin trotz ihres hohen Alters 
	genau die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Israel und Europa 
	mitverfolgt. Mit Alice Schwarz-Gardos kann man nicht nur über ihre lange 
	Lebensgeschichte sprechen, sondern auch über ganz aktuelle politische 
	Fragen. 
    So beobachtet sie etwa genau die Debatte um den neuen 
	Antisemitismus in Europa und meint, dass die europäischen Regierungen, 
	insbesondere die deutsche und österreichische, wesentlich proisraelischer 
	wären als die öffentliche Meinung in diesen Ländern. Eine unmittelbare 
	existenzielle Bedrohung für Israel sieht sie darin jedoch nicht: "Der neue 
	Antisemitismus in Europa wird uns hier nicht gefährden. Uns freut es sogar, 
	wenn wieder ein paar neue Einwanderer kommen, aber natürlich weniger, wenn 
	sie der Antisemitismus hertrieb", erklärt sie mit einem etwas sarkastischen 
	Lächeln. Wirkliche Freude über Neueinwanderer wegen des Antisemitismus könne 
	jedoch nicht aufkommen, denn, "die Juden sind nicht für den Staat da, 
	sondern der Staat für die Juden. Der Staat ist dazu da, die Juden zu retten 
	und nicht, sie mit allen Mitteln herzuzwingen." Die Situation in Österreich 
	und Deutschland wäre für die alten Jekkes in Israel nicht mehr von 
	Überlebenswichtigkeit, wenn auch interessant. 
    Nur über die Regierungsbeteiligung der FPÖ wäre man hier im 
	Jahr 2000 sehr entsetzt gewesen. Aber auch diese Aufregung habe sich seit 
	dem Niedergang der FPÖ wieder gelegt. "Für uns ist es von wesentlich 
	größerer Bedeutung, ob die Probleme mit den Palästinensern gelöst werden 
	können oder wie das Verhältnis zu den arabischen Nachbarstaaten aussieht." 
	Wesentlich mehr Sorgen als der europäische Antisemitismus bereiten Alice 
	Schwarz-Gardos das iranische Atomwaffenprogramm und die Drohgebärden des 
	iranischen Regimes: "Das ist nicht nur eine Gefahr für Israel, sondern für 
	die gesamte Welt!" 
    Schließlich frage ich zum Abschied noch, ob denn die 
	Anwesenheit deutscher Soldaten an der israelisch-libanesischen Grenze unter 
	den alten deutschsprachigen Juden, die schließlich vor den Deutschen 
	geflüchtet sind, auf negative Reaktionen stoßen würde. Auch in dieser Frage 
	unterscheidet sich die Meinung von Alice Schwarz-Gardos jedoch kaum von den 
	Positionen anderer Israelis: "Das ist für uns überhaupt kein Thema. Ich 
	hoffe, sie machen ihren Job gut und sorgen für eine gewisse Sicherheit." 
    Dass Israel auch fast 60 Jahre nach seiner Gründung immer 
	noch keine sicheren Grenzen besitzt und von Teilen seiner Nachbarn 
	vernichtet werden will, ist für Alice Schwarz-Gardos jedenfalls kein Grund 
	zu besonderer Aufregung: "Wir haben hier schon viel schwere Zeiten gehabt. 
	Als wir hierherkamen, hätten wir doch nicht einmal zu träumen gewagt, dass 
	es diesen Staat wirklich einmal geben wird. Jetzt gibt es diesen Staat bald 
	60 Jahre lang. Er ist nicht perfekt, aber er existiert und es ist schön hier 
	zu leben." 
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