Im Sommerloch:
Deutschland entdeckt den Rechtsextremismus
Binsenweisheiten und Worthülsen begleiten den Aufstand der
Anständigen. Am wichtigsten ist aber die Schonung der Zuständigen
Bei unseren Recherchen zum Thema "Bekämpfung des
Rechtsextremismus" und "Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und
Jugend" fanden wir auch
diese interessante Diskussion
im Forum der Tagesthemen. Interessant vor allem, weil wir sie bisher nicht
kannten und weil es immer wieder erfreulich ist zu sehen, dass zumindest ein
paar Menschen in diesem Land verstehen, wenn sie verschaukelt werden.
Erst vor Kurzen gab es wieder einmal eine Kostprobe aus dem BMFSFJ, als Frau
Ministerin von der Leyen der versammelten
Pressekonferenz erklärte, das Theme Rechtsextremismus sei in ihrem
Hause gut aufgehoben. Man wolle nach der Hetzjagd von Müglen nun auch die
Problemlage dieses Landkreises zur Kenntnis nehmen und gleichzeitig verstehe
man in ihrem Haus nicht, wie der Eindruck entstehen konnte, man kümmere sich
nicht gerne um dieses Thema. Schließlich habe man jetzt sogar noch 5
Millionen Euro draufgelegt. Dass die Aufstockung von 5 Millionen nicht jetzt
geschah, sondern schon zu Jahresbeginn, und auch nicht auf Initiative der
Ministerin, sondern gegen ihren massiven Widerstand, wurde verschwiegen.
Dass man sich im BMFSFJ auf Verwirrspiele, Augenwischereien, Verdrehungen
und Falschinformationen bestens versteht, ist allerdings nicht neu.
Neu ist höchstens, dass dieses Ministerium, das seit Jahren mit der
Verwaltung der Gelder des im Oktober 2000 vom damaligen Bundeskanzler
Gerhard Schröder ausgerufenen "Aufstands der Anständigen" betraut worden
war, überhaupt einmal zum Verbleib der Gelder öffentlich befragt wurde.
Aber sicher wird das Thema ganz schnell wieder von der Tagesordnung
verschwinden. Die Vergaberichtlinien sind viel zu undurchsichtig, als dass
man hier etwas nachprüfen oder gar nachweisen könnte. Für uns wurde dies
spätestens im Jahre 2003 deutlich und im Jahre 2005 brutale Gewissheit.
Dass Inkompetenz und mangelnde Transparenz im zuständigen Ministerium nun
auch von anderen zur Sprache gebracht werden, könnte erfreulich sein, bietet
aber auch Anlass zum Ärger. Denn was wir seit langem wussten, mussten auch
andere in verantwortlicheren Positionen der Berliner Republik gewusst haben.
Im Gegensatz zu uns haben sie aber geschwiegen.
Jetzt wird kurzfristig wieder einmal viel geredet. Und es ist traurig, dass
es immer erst schockierende Erkenntnisse oder brutale Gewalttaten sind, die
Anlass zu solchem Reden und Nachdenken bieten. Es ist auch für uns
persönlich traurig, denn haGalil wird es kaum mehr etwas nützen.
Die heute im Rahmen der politisch korrekten Unverbindlichkeit vorgebrachte
Kritik wird morgen wieder wohlfeil verpackt werden. Die Politiker aller
Parteien werden sich wieder miteinander arrangieren. Übrigbleiben wird der
Groll auf die Engagierten von Außen. Auf die Zivilgesellschaft. Auf lästige
Ruhestörer wie haGalil, die sich in Politisches einmischen ohne im
politischen Getriebe mitzuspielen.
Gerade deshalb können und müssen wir heute betonen, dass alle zur Zeit aus
verschiedenen Richtungen laut werdenden Kritiken am BMFSFJ und der
zuständigen Ministerin, schon vor Jahren offensichtlich waren.
Offensichtlich für jeden, dem an der Verwendung oder Verschwendung von
inzwischen fast einer Viertel Milliarde Euro, gelegen war.
Damals war nicht Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) zuständig, sondern
Ministerin Renate Schmidt (SPD). Und beide kamen ihrer Verantwortung nicht
nach. Heute ist Staatssekretär Kues (CDU) zuständig, damals war es
Staatssekretär Ruhenstroth-Bauer (SPD). Der eine wurde aus Parteidisziplin
nicht von der SPD kritisiert, obwohl kaum jemand der dort Zuständigen das
Verhalten des Staatssekretärs nachvollziehen konnte. Heute werden auf
Staatssekretär Kues koalitionsbedingte Rücksichten genommen.
Es scheint fast, als sei es in Berliner Regierungskreisen grundsätzliche und
damit parteiunabhängige Gepflogenheit, auf Missstände nicht allzu deutlich
hinzuweisen und Verantwortliche bloß nicht beim Namen zu nennen.
Wie sonst wäre es zu erklären, dass fast alle mit denen wir in den letzten
Jahren sprachen, unsere Kritik teilten und oft noch einiges hinzuzufügen
hatten. Darunter waren Zuständige und Einflussreiche, MdBs und Minister,
Staatssekratäre und Repräsentanten politischer Parteien und Stiftungen. Bei
Nennung der Verantwortlichen im BMFSFJ verdrehten fast alle die Augen. Je
nach Besetzung des Ministeriums und je nach politischer Heimat des
Gesprächspartners, etwas mehr oder etwas weniger. Manche schlugen sogar die
Hände über dem Kopf zusammen.
Wenn es aber um konkretes Handeln ging, um effektive Maßnahmen und
verlässliche Zusagen, brach der etablierte Aufstand schnell zusammen. Da
ging es nicht um Rechtsextremismus, sondern um Pfründe. Da war
Antisemitismus keine Gefahr, sondern ein Marktsegment. Da ging es um PR,
Kosmetik und politisch korrekte Alibis.
Wer erst einmal die Initiative ergriff und erst dann nach der Finanzierung
fragte, stand bald alleine da. Binsenweisheiten und Worthülsen überall zu
haben und am schlimmsten sind die leeren Versprechungen, die effektive Hilfe
erst recht verzögern.
Heute hagelt es Kritik an Frau von der Leyen, sie habe das Thema sträflich
vernachlässigt. Doch auch Renate Schmidt hat sich auf ihren Staatssekretär
verlassen und alles was er ihr erzählte geglaubt, auch wenn schon eine
oberflächliche Beschäftigung mit dem Thema gezeigt hätte, dass der
Staatsekretär wichtige Fakten verschweigt und Zusammenhänge offensichtlich
und öffentlich verdreht. Man konnte es im Fernsehen sehen, im Radio hören
und in der Presse lesen.
Es mag ja verständlich sein, dass wir niemandem der Verantwortlichen und
Zuständigen wichtig genug waren, wir haben aber kein Verständnis dafür, dass
alle das Gegenteil behauptet haben. Dem Aufstand der Anständigen fehlt es
weniger am Geld als vielmehr am Anstand und am Stehvermögen.
http://www.hagalil.com/archiv/2005/05/antisemitismus.htm
ARD Monitor Bericht zur aktuellen Situation:
Kein Geld mehr gegen Rechtsextreme
Die jüdische Onlinezeitung "haGalil" (Galiläa) war bis zum Jahresende
ein erfolgreiches Element in dem mit Bundesmitteln finanzierten
Aktionsprogramm gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit...
[VIDEO ANSCHAUEN]
[hr
im RealAudio hören] [Radio
94.5 München zu haGalil]
Zum
Projekt "OR":
Stellungnahme
zur aktuellen Pressemeldung des BMFSFJ
Nachdem zahlreiche
Medien über die Einstellung der Förderung für haGalil.com durch das
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend berichteten, hat
das Ministerium als Reaktion eine Pressemeldung veröffentlicht. Obwohl darin
die Rede davon ist, dass das Ministerium eine "hohe Transparenz" für zentral
hält, werden entscheidende Fakten
betreffend der Förderung des innerhalb von haGalil.com verwirklichten
Projektes "OR" nicht oder falsch wiedergegeben. (print)...
Jungle World:
Fällt die Mauer?
Seit zehn Jahren informiert Hagalil über
jüdisches Leben. Das Online-Bildungsangebot ist ein Bollwerk gegen Rassismus
und Antisemitismus. Nun droht ihm das Aus...
Nebelkerzen aus dem BMFSFJ:
"Verdummung der Öffentlichkeit"
Monika Lazar: ..."Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn
gerade im Kampf gegen Rechtsextremismus kein demokratischer
Konzeptentwicklungs-Prozess zugelassen wird. Zivilgesellschaftliche
Initiativen bleiben von Anfang an vor der Tür, Bedenken der Opposition
werden ignoriert, Wissenschaftler nicht ernst genommen"...
Quelle:
tagesschau.de
... bei der Pressekonferenz in Meseberg sagte von der
Leyen, die Mittel für die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus seien um
fünf Millionen Euro erhöht worden - dies zeige, dass sie das Problem sehr
ernst nehme...
...was die Ministerin nicht erwähnte: Die Erhöhung der Mittel für die
Programme war bereits im vergangenen Jahr beschlossen worden - und zwar erst
nach heftigen Protesten gegen das neue Modell des Familienministeriums sowie
nach zähen Verhandlungen mit der SPD. Außerdem sollten die zunächst
vorgesehenen 19 Millionen Euro auch eingesetzt werden, um Projekte gegen
Linksextremismus und Islamismus anzuschieben - was einer deutlichen Kürzung
für die Arbeit gegen Rechtsextremismus bedeutet hätte.
SPD-Chef Kurt Beck: ... "die Ministerin wollte das mit 19 Millionen Euro
ausgestattete Regierungsprogramm gegen Rechts zunächst nicht fortsetzen,
jetzt tut sie so, als ob sie es selbst erfunden habe. Das ist eine Art und
Weise, die ist nicht in Ordnung."
SPD-Vorstandsmitglied Niels Annen: ... die Äußerung von
der Leyens ist "ein starkes Stück", die Erhöhung der Mittel war gegen den
Willen der Union durchgesetzt worden. Außerdem monierte Annen, die
Ministerin habe jetzt den Eindruck erweckt, es gebe eine erneute
Aufstockung. Dies sei kein "seriöser Stil"...
Monika Lazar, Rechtsextremismus-Expertin der Grünen: Auch
ich habe von der Leyen so verstanden, als wolle sie die Mittel um weitere
fünf Millionen Euro erhöhen. Besonders da sich die Union gegen weitere
Mittel für die Programme gegen Rechtsextremismus gesperrt habe, seien die
Äußerungen von der Leyens eine "Verdummung der Öffentlichkeit"...
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