Literarischer Splitter:
Ein Mohikaner im Scheunenviertel
André Herzberg
Neulich sagte eine Frau nach einer Lesung zu mir, es
muss doch schön sein für Dich, jetzt gibt es Klezmer (am historischen Ort),
die Lokale heißen Katz, Silberstein oder Gebrüder Salomon. Es lebt doch
wieder.
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, sie hatte so
blaue Kulleraugen und blonde Haare. Mutter hat die Gegend gehasst. Von denen
kommt doch erst der Antisemitismus, hatte es bei den deutschen Juden
geheißen, wenn sie Schwarzröcke mit Schläfenlocken aus dem Osten sahen. Sie
ist in die jüdische Schule gegangen in der Großen Hamburger bis zur Zehnten.
Danach musste sie runter, hat eine Lehre gemacht.
Naja, ihre Zensuren waren nicht so doll, wie sie immer sagte, dachte ich,
nachdem ich ihre Zeugnisse las. Das Juden- und Verbrecherviertel zu
Ostzeiten völlig runtergekommen, und jetzt? Zuerst waren die Nutten wieder
da. Ich wollte immer eine ansprechen, sowieso eine Hure, das Herz klopfte
mir und dann die Frage, wie wird aus einer FDJ-Sekretärin so eine Frau.
Die letzten Jahre sind so schnell verflossen, man kommt nicht hinterher. Da
sind so viele neue Lokale aus dem Boden geschossen, nun will man mit den
Pfunden wuchern, der Historie. Es schieben sich also dankbar die neuen
Berlin-Besucher durch das Viertel und starren alles an. Es wird Geld
gemacht. Meine Probleme sind dieselben, oh brotlose Kunst! Man muss sich was
einfallen lassen, um Geld zu verdienen. Was die Amerikaner mit den Indianern
gemacht haben, denke ich, kann ich schon lange.
Erst ausgerottet und dann mit Indianerfilmen (von Weißen gemacht und
gespielt) verdient. Ich besorge mir einen schwarzen Hut. Es müsste ihn im
Faschingsladen geben. Mel Brooks hatte ihn auf, in einer seiner Komödien. An
ihm sind die Schläfenlocken schon festgemacht. Ich hänge mir ein weißes Tuch
um die Schultern, ich schaue in den Spiegel, erstaunlich diese Verwandlung.
Ich nehme meine Gitarre und probiere das Lied. Ein Schrittchen hier, ein
Buckel da, es sieht sehr echt aus. Ein bisschen schlechtes Gewissen habe ich
ja. Aber Müllers, die das Katz eingerichtet haben und nun koschere Küche
verkaufen, machen sich auch keinen Kopf.
Alle wollen am neuen Wohlstand mitverdienen, warum ich nicht? Ich fahre zu
Oranienburger Straße, hier bin ich richtig. Naja, die Verkleidung habe ich
in der Tasche, und meine Gitarre. Ich stelle den Koffer so, dass man das
Geld leicht rein schmeißen kann. Ich gehe in den Hauseingang. Niemand soll
meine Verwandlung bemerken. Dann trete ich wieder in die Sonne.
Dich haben sie wohl vergessen zu vergasen, das war ein junger
Tourist aus Brandenburg, denke ich und begebe mich an meinen Platz. Drüben
stehen die zwei Polizisten, die die Synagoge bewachen. Die machen mich
nervös. Doch ich bin Profi. Ich hänge die Gitarre um mein weißes Tuch.
Gleich werde ich singen und der Menschenstrom wird sich um mich scharren.
Wenn ich einmal reich wär, dudeldideldudeldideldidel bumm! |