Frankreich nach der Präsidentschafts- und vor der Parlamentswahl
Rechts wählte Sarkozy:
Was wird aus Jean-Marie Le Pen und seinem Erbe?
Von Bernard
Schmid, Paris
Jean-Marie Le Pen, der seit über 50 Jahren in der
französischen Politik unterwegs ist (im Januar 1956 wurde er Abgeordneter
für die kleinbürgerliche, steuerfeindliche und antisemitisch grundierte
Protestbewegung der 'Poujadisten'), gehört zu einer Generation, die noch
klassische Kultur angelernt hat. Am Abend des 22. April, dem ersten der
beiden Wahlsonntage der französischen Präsidentschaftswahl, zitierte er vor
seinen Getreuen aus dem Deuteronium, dem fünften Buch Moses'. Er wählte die
Szene, in denen der 120jährige Moses sich gewahr wird, dass er selbst das
Gelobte Land nicht mehr schauen wird, wohin er seit Jahrzehnten mit
seinem Volk unterwegs ist. "Du wirst diesen Jordan nicht überqueren", sagt
ihm sein Gott.
"An diesem
Abend hat Le Pen verstanden, dass er es nicht schaffen wird. Dass er nicht
in den Elysée-Palast eintreten wird", übersetzt das von rechtsextremen
Intellektuellen gemachte Hochglanzmagazin Le Choc du mois in seiner
jüngst erschienenen Ausgabe für seine Leser. Es stellt sich also, fügt die
Monatszeitschrift hinzu, nunmehr ernsthaft die Nachfolgefrage an der Spitze
des Front National. Im Grunde stelle sie sich seit fünf Jahren, obwohl sie
bislang in der rechtsextremen Partei tabuisiert worden sei, da den alternden
Chef ein Zornesanfall packe, sobald das Reizthema "Das Alter des Kapitäns"
angesprochen werde. Im Juni dieses Jahres wird er 79.
Seit 1984
war seine Partei fast kontinuierlich – langsam, aber stetig – aufgestiegen.
Jedenfalls hatten seine prozentualen Stimmanteile bei Präsidentschaftswahlen
bisher von Mal zu Mal zugenommen. Auch wenn diese, wie der Choc du mois
hinzufügt, in absoluten Zahlen ausgedrückt, regelmäßig einem gleich
bleibenden Anteil von 11 Prozent der in die Wählerlisten eingetragenen
Stimmberechtigten entsprochen haben. Denn auch die Wahlenthaltung war in der
Vergangenheit immer wieder gewachsen, während sie in diesem Jahr – unter
anderem ein Ergebnis der starken Polarisierung "pro oder kontra
Nicolas Sarkozy" – erstmals stark angestiegen ist.
Im Soge des Nicolas Sarkozy?
Zum ersten Mal ist die Stimmenzahl des alternden
rechtsextremen Politikers gleichzeitig real zurückgegangen. Sein
diesjähriger Prozentanteil, circa 10,5 Prozent der abgegeben Stimmen,
entspricht nur noch 8,6 Prozent der eingetragenen Wahlberechtigten. Oder in
absoluten Zahlen ausgedrückt: Von 4,8 Millionen Stimmen im ersten Durchgang
der Präsidentschaftswahl von vor fünf Jahren blieben ihm, in diesem April,
noch 3,8 Millionen. Wohin sind die ausbleibenden Stimmen gewandert?
Die Antwort lässt keinen Zweifel offen. Eine Million früherer
Wähler Le Pens entschieden sich in diesem Jahr schon im ersten Durchgang der
Präsidentschaftswahl am 22. April für den rechtsbürgerlichen Kandidaten
Nicolas Sarkozy. Von den verbleibenden Wählern (und Wählerinnen) Le Pens
gingen in der zweiten Runde, der entscheidenden Stichwahl, dann – trotz
entgegenlautenden Willens ihres vormaligen Kandidaten - nochmals zwei
Drittel, also knapp drei Millionen zu Sarkozy über. Dieser hatte mit seinen
Versprechen, die "nationale Identität" zu schützen und "die Ideen des Mai
1968 so schnell wie möglich zu liquidieren", einige ideologische Duftmarken
gesetzt, die offenkundig anziehend wirkten.
Sarkozy ist dabei freilich kein Faschist, sondern verkörpert
eine Mixtur aus autoritärem Populismus in der Innen-, Polizei- sowie
Sicherheitspolitik und wirtschaftsliberalem Programm der "Weltöffnung" (im
Namen der "Erfordernisse der Globalisierung"), aus einem Appell an die
Leistungsträger und ihre Individualität (sowie ihr Arbeitsethos) einerseits
und starkem Staat andererseits, aus Beschwörung der "nationalen Identität"
und Neoliberalismus mitsamt einigen multikulturellen Salatblättern als
Garnitur obendrauf. Kurzum, eine Art Mischung aus frühem Ronald Reagan,
einer Dosis Jörg Haider (freilich klar ohne dessen Antisemitismus: Nicolas
Sarkozy ist weitaus eher betonter Philosemit), einer ordentlichen Prise
Silvio Berlusconi und ein bisschen Charles de Gaulle. Letzterer war
historischer Antifaschist und beharrte außenpolitisch auf einer spürbaren
Unabhängigkeit gegenüber den US-Amerikanern und ihrer Vormachtstellung. Für
Nicolas Sarkozy und seine Generation von Politikern der bürgerlichen
Rechten, hat alles beide an Bedeutung verloren.
Auf ein paar Widersprüche kommt es, im Übrigen, bei diesem
Profil nicht an.
Ab seinen Reden vom
11. März in Caen und vom 13. März 2007 in Besançon beschwor
Nicolas Sarkozy immer wieder die bedrohte nationale Identität als Schutzwall
gegen den "Zerfall des sozialen Zusammenhalts" und gegen die Verwerfungen
der "Globalisierung". Derselbe Kandidat, der wie kein zweiter für eine
Entfesselung der Marktkräfte auf wirtschaftlicher Ebene und für eine neue
Achse Washington-Paris eintritt, beschwor die Gefahren eines "seelenlosen
Kapitalismus" und malte die Gefahr einer "Uniformierung der Welt" durch die
"Dominanz der englischen Sprache" in finstersten Farben aus. In seiner Rede
von Besançon, in der Sarkozy sich gegen reale und imaginäre Angriffe
verteidigte und sich selbst als Opfer der Political Correctness -- der an
einem Tabu zu rütteln gewagt habe – präsentierte, benutzte er nicht weniger
als 28 mal die Worte "Identität", "nationale Identität" und "identitär".
Teilweise schon im ersten, spätestens aber im zweiten Wahlgang zog die
Masche: Reihenweise gingen die Le Pen-Wähler dem geschickten Fischer
ins Netz. (Und nun gibt es für ebendiese bedrohte "nationale Identität" ja
sogar ein eigenes Ministerium, nachdem Sarkozy Präsident geworden ist: Sein
neuer Minister Brice Hortefeux ist, laut offizieller Amtsbezeichnung,
für "Zuwanderung, Integration, nationale Identität" zuständig.)
Jean-Marie Le Pen hatte noch gegensteuern, und seine
Anhängerschaft gegen den "Sog" hin zu Nicolas Sarkozy immunisieren wollen.
Der "harte Kern" der Parteigänger des Front National hat den Appell, den Le
Pen vor circa 4.000 bis maximal 5.000 Teilnehmern an seinem jährlichen
"Marsch für die Nationalheilige Jeanne d'Arc" (Siehe
Fotostrecke) vor der Pariser Oper erließ, sicherlich unterstützt und
befolgt. Ihnen ist der Hass auf Nicolas Sarkozy, den "Schwindler" und
"politischen Hochstapler", der ihnen die Stimmen weggenommen hat, der in
ihren Augen ein "Ausländer" und gar noch "Jude" ist (1),
anzusehen und
–hören. Aber das Gros der "einfachen" Wähler, des Massenpublikums der
rechtsextremen Partei lieb
sich davon nicht beeindrucken. In Scharen liefen sie zu dem Kandidaten über,
der ihnen Autorität, "nationale Identität", harte Strafen für Übeltäter oder
einen positiven Arbeits- und Leistungsbezug versprach – und dabei im
Unterschied zu Jean-Marie Le Pen auch reale Chancen hatte, das höchste
Staatsamt zu übernehmen.
Die organisierte extreme Rechte ist damit nicht von der
Bildfläche verschwunden. Sie wartet auf die konkreten Entscheidungen, die
der gewählte Präsident Nicolas Sarkozy treffen wird, um zukünftig seine
"Inkonsequenz" und den "Bruch" seiner Wahlkampfversprechen anzuprangern. Den
Anfang dazu macht sie noch vor der offiziellen Amtseinführung des neuen
Staatsoberhaupts am 16. Mai 2007. Eine knappe Woche zuvor, am 10. Mai 2007,
nimmt Nicolas Sarkozy an der Seite des noch amtierenden Präsidenten Jacques
Chirac an einer offiziellen Zeremonie teil, mit der staatlicherseits der
Abschaffung der Sklaverei in Frankreich im Jahr 1848 gedacht wird. Prompt
klagt die extreme Rechte die Ankündigung Nicolas Sarkozys ein, der in seiner
Rede vom Wahlabend am 6. Mai proklamiert hatte, künftig sei es mit der
"Reue" (repentance: Reue, Büßertum)
über die negativen Seiten der französischen Nationalgeschichte - die "eine
Form von Selbsthass" sei - zu Ende. Den Ausspruch des Wahlsiegers
aufgreifend, denunziert der FN die Teilnahme Nicolas Sarkozys an einer
Zeremonie, die just "das Büßertum"
zum Gegenstand habe (2). Ähnlich äuberte
sich auch der Europaparlaments-Abgeordnete Paul-Marie Coûteaux, der 2004 auf
der Liste des Nationalkonservativen Philippe de Villiers ins EP in
Strasbourg gewählt worden ist (3).
Dennoch wird die parteiförmig strukturierte extreme Rechte in
naher Zukunft Schwierigkeiten haben, sich neben dem regierenden
konservativen Block zu behaupten. Zumal damit zu rechnen ist, dass der
Streit um die Nachfolge von Jean-Marie Le Pen an der Parteispitze, aber auch
um die einzuschlagende Strategie und Orientierung des FN nunmehr voll
ausbrechen wird. Der Abgang des Chefs aufs Altenteil ist durch sein
Abschneiden bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl sicherlich
beschleunigt worden. Aber auch die Rezepte seiner "strategischen Beraterin"
im Wahlkampf, der Cheftochter Marine Le Pen, haben eher keine Bestätigung
erfahren. Aller Wahrscheinlichkeit nach entbrannt damit in den kommenden
beiden Jahren nun ein neuer Richtungskampf.
>>
Weiter: Rückblick auf die Wahlgänge
>> Fotostrecke zum
"Marsch für die Nationalheilige Jeanne
d'Arc"
Anmerkungen:
(1) Aufgrund seines ungarischen
Vaters sowie seiner griechisch-jüdischen Grobeltern
mütterlicherseits hatte Jean-Marie Le Pen in der Schlussphase des
Wahlkampfs Nicolas Sarkozy als "Kandidaten aus der Zuwanderung"
bezeichnet, obwohl er im Pariser Nobelvorort Neuilly-sur-Seine geboren,
aufgewachsen und am Wahltag noch immer wohnhaft ist.
(2) Vgl. dazu das Pressekommuniqué:
http://www.frontnational.com/communique_detail.php?id=1397
(3) Vgl. dazu
http://www.lemonde.fr/web/article/0,1-0@2-823448,36-908682@51-908574,0.html. |