"Präsidentschaftskonvent" von Jean-Marie Le Pen:
Ein Wochenende beim Front National
"Ich
bin ein altes Krokodil, von dem man im Wasser nur das Auge sieht." Diesen
Vergleich, über dessen Schmeichelhaftigkeit sich streiten lässt, zog der
französische rechtsextreme Politiker Jean-Marie Le Pen am Wochenende über
sich selbst. Er wollte damit aussagen, dass er vor den anstehenden Wahlen
wie so oftmals unterschätzt werde. Derzeit werden ihm allerdings bereits
Ergebnisse von 15 Prozent der Stimmen an aufwärts vorhergesagt. Von Freitag
bis Sonntag hielt der französische Front National (FN) seinen
"Präsidentschaftskonvent" in Le Bourget in der Nähe von Paris ab. Vor 4.000
bis 5.000 Anhängern hielt er zum Abschluss eine anderthalbstündige
Kampfrede.
Von Bernard Schmid, Paris
Es ist wie eine Reise zwischen zwei
Welten. Bei der Ankunft am Bahnhof der Pariser Vorstadt Le Bourget fällt
auf, dass man sich in einer jener Trabantenstädte befindet, in denen –
aufgrund der räumlichen Konzentration der Immigrantenbevölkerung ebenso wie
der Armut auf engem Raum – der Einwandereranteil hoch ist. Hier ist er
sichtbar, da es sich im Stadtzentrum von Le Bourget überwiegend um Schwarze
handelt. Neben dem Ausgang des Bahnhofs sammelt sich eine kleine Traube von
Leuten, die sich offenkundig von dieser Umgebung abheben. Sie warten auf den
kostenlosen Bus, der sie auf das Messegelände auf dem stillgelegten
Flughafen von Le Bourget befördern soll. Dort steigt an diesem Wochenende
die Großveranstaltung des Front National (FN). Prompt fallen auch rasch die
ersten abfälligen Bemerkungen über die Einwanderer, und dass man in
Frankreich nicht mehr zu Hause sei, undsoweiter.
Nicht auffallen, denke ich mir. Einerseits will ich sie nicht so wirken, als
ob ich dazu gehören würde, andererseits will ich mich doch unter das
Publikum mischen und Augen und Ohren offenhalten. Bei solchen
Großveranstaltung
der "Lepenisten" halte
ich mich seit Jahren an das eiserne Prinzip : Meinen Eintritt bezahlen wie
Otto Normalfaschist, auf die bequemen und räumlich gut situierten Plätze auf
den Pressebänken verzichten, keinen Journalistenbutton ans Revers heften.
Nur sehen und hören. Also vertiefe ich mich in diesem Moment scheinbar
angestrengt in die Lektüre meiner Zeitung. Erst kommen ein paar ältere
Leute, die diverse Boulevardzeitungen (Le Parisien, Direct Soir...) bei sich
tragen. Einer von ihnen fragt lautstark und ungeniert, ob "hier der Bus vom
Front National" vorbei kommt. Keine Ahnung, antworte ich, zugegebenermaßen
wider besseres Wissen.
Dann kommen noch andere Leute hinzu. Ein elegantes Paar etwa, das
offenkundig eher der Bourgeoisie als dem Proletariat angehört, Monsieur im
Lodenmantel und mit einem bizarren Hut. Dann kommen noch zwei junge Leute im
Studentenalter. "Sie" hat auf ihrer Handtasche überdeutlich das rote "Herz
der Chouans" prangen : jenes stilisierte Herz mit aufgepflanztem senkrechtem
Kreuz, das in den Jahren 1793/94 den Aufständischen der Vendée im Kampf "für
Gott und König" gegen die junge Republik als Erkennungszeichen diente. Auf
der französischen extremen Rechten und in in ihrer Ideologiebildung spielt
diese geschichtliche Episode eine wichtige Rolle, denn historisch entstanden
ihre Vorläufer aus der Ablehnung des Bruchs, der in den Jahren nach 1789
stattgefunden hatte. Das Bürgertum hatte damals im Namen der Vernunft und
der eigenen Interessen die "von Gott gegebene, natürliche Ordnung" des
Ancien Régime umgestürzt. Zudem hatte es noch die Gleichheit aller Menschen
zumindest bei der Geburt proklamiert, wenngleich dieses Bürgertum mit der
wirtschaftlichen Ungleichheit dann später nicht so viele Probleme hatte.
Seitdem ist die Chiffre "1789" für alle Verfechter der "natürlichen
Ungleichheit der Menschen" und die extremen Rechten aller Schattierungen ein
Negativsymbol -- auch wenn die Unterströmungen der extremen Rechten
ansonsten die Monarchie unterschiedlich bewerten. Dieses kreuzbewehrte
Herzsymbol wird mir an diesem Wochenende noch häufig begegnen. Dann fällt
mir auf, dass auch die vorher beobachtete elegante Dame so ein Zeichen bei
sich trägt.
Konzept aus den USA übernommen
Noch immer tue ich relativ teilnahmslos, damit mich nicht wieder jemand
lautstark nach dem Weg zum Front National fragt. An dem Bus, der dann nach 5
Minuten auch kommt, steht auch nicht FN dran, sondern wesentlich diskreter:
"Salon BBR", wie für einen Ausstellungssalon. BBR steht dabei für
Bleu-Blanc-Rouge, also die Nationalfarben der Trikolore. Früher hielt die
rechtsextreme Partei einmal jährlich im September ein Fest unter diesem
Namen ("la Fête BBR") im Pariser Stadtwald Bois de Vincennes ab. Doch seit
dem Wechsel im Pariser Rathaus 2001 vergeben die jetzt dort regierenden
Sozialdemokraten das Gelände nicht mehr an die Rechtsextremen: Leider leider
wird es dann immer für ein Zirkusfestival benötigt, der rechtsextreme Rummel
musste also weichen. Stattdessen ruft der FN jetzt also zum
"Präsidentschaftskonvent", fünf Monate vor den nächsten
Präsidentschaftswahlen in Frankreich.
Der Begriff ist eine späte Anleihe bei den US-Republikanern: Zu ihnen
unterhielt Le Pen in den achtziger Jahren noch enge Beziehungen, damals
griff er auch auf Imageberater der US-Partei zurück. 1984 und 87 hatte Le
Pen jenseits des Atlantik an zwei "Konvents" der US-Republikaner
teilgenommen, und beim zweiten Mal sogar Ronald Reagan die Hand schütteln
können; das Foto wurde bei den französischen Präsidentschaftswahlen von 1988
viel benutzt. Der seinerzeitige US-Präsident war damals bei den
französischen Rechtsextremen beliebt, im Namen des Antikommunismus, aber
seitdem die Sowjetunion im Eimer ist, ist das endgültig passé. Seit
1989 rücken die französischen Rechtsextremen stattdessen einen
nationalistischen und oft verschwörungstheoretisch aufgeladenen
Antiamerikanismus in den Mittelpunkt, zudem wird in ihrer Presse den USA
heute vorgeworfen, seinerzeit "die Südstaaten zerstört" zu haben.
Prätonianergarde wacht über den Ablauf
Nun kommt der Bus auch in Fahrt. Die Eingänge ebenso wie die Ankunft auf dem
Messe- und früheren Flughafengelände werden vom DPS bewacht, dem
"Département Protection-Sécurité" (Abteilung Schutz und Sicherheit). Das ist
die in blaue Blaizeruniformen gezwängte Prätorianergarde der Partei, manche
Kritiker meinen: ihre Privatmiliz. 1999 gab es sogar einen parlamentarischen
Untersuchungsausschuss über diesen parteieigenen Sicherheitsdienst. Doch
damals war gerade die Spaltung des FN in zwei ungefähr gleich große
Hälften -- die Rumpfpartei unter Jean-Marie Le Pen und ihre Abspaltung unter
dem Ex-Chefideologen Bruno Mégret, die heute MNR (Mouvement
National-Républicain) heibt
und erfolglos blieb -- erfolgt. Viele Parteistrukturen und auch der
Sicherheitsdienst lagen darnieder. Deshalb erschien er den Abgeordneten
damals letztendlich als harmlos, und die im Vorfeld von einigen Politikern
geforderte Auflösung unterblieb. Heute macht der DPS zwar nicht mehr durch
Knüppeleien und Strafexpeditionen auf sich aufmerksam, wie etwa im Oktober
1996 im ostfranzösischen Montceau-les-Mines, sondern er hält sich eher
zurück. Zugleich erscheint mir die Partei-Ordnertruppe an diesem Wochenende
so stark präsent, wie es mir selten in den letzten Jahren auffiel. Einige
seiner Angehörigen sehen mir eher nach Säufer- und Schlägertyper aus, aber
die Mehrheit wirkt eher adrett aufgemacht.
Die riesige ehemalige Luftfahrthalle, die den "Konvent" beherbergt, wirkt im
ersten Moment relativ menschenleer auf mich. An den vielleicht 200 Ständen,
bei denen sich Buchverlage und rechtsextreme Publikationen mit den
verschiedenen Bezirkssektionen des FN –- dort werden vor allem lokale
Essspezialitäten und Getränke verkauft –- abwechseln, halten sich nicht sehr
viele Menschen auf. Schon denke ich mir, dass das angekündigte Riesenfest
eine ziemliche Pleite sein muss, als ich meinen Irrtum bemerke. Obwohl es
noch über eine Stunde bis zum angekündigten Auftritt "des Chefs" dauern
wird, haben schon fast alle Teilnehmer auf den Stühlen im Hauptsaal der
Veranstaltung Platz genommen. Sei es aus Furcht, nachher keinen guten
Sitzplatz finden zu können, oder um der Tombola auf der Bühne zu folgen.
Alle möglichen Geräte, DVD-Rekorder ("damit Sie, wenn Le Pen im Fernsehen
auftritt und Sie nicht zu Hause sind, die Sendung aufzeichnen können") und
ein Auto werden verlost. Unterdessen werden französische Fahnen zum Winken
an das Publikum verteilt. Als eine nicht unattraktive Ordnerin auch mir
solch ein Winkelement in die Hand drücken will, kneife ich und verdünnisiere
mich vorübergehend von meinem Sitzplatz.
Und nutze die Zeit, um die Sitzreihen zu zählen: Ungefähr 3.000 Sitzplätze
sind vorhanden, in Reihen à 120 Stühle. Das erlaubt mir später,
einzuschätzen, dass rund 4.000 Personen –- davon einige stehend –- der Rede
"des Vorsitzenden" oder "von Jean-Marie", wie er hier allgemein genannt
wird, beiwohnen. Optisch vermitteln sie alles im allem den Anschein eines
Querschnitts durch die französische Bevölkerung. Die Jahrgänge über 50 und
anscheinend auch die Mittelschichten sind überdurchschnittlich
repräsentiert, aber es finden sich dennoch zumindest alle Altersklassen.
Familien mit Kindern, Studenten, junge Männer mit Kurzhaarschnitt und
Bomberjacke oder Neonazi-T-Shirt ("Elsass", deutschsprachig) –- sie bleiben
aber im Erscheinungsbild eine Minderheit --, 50jährige Mittelständler, Damen
mit Hundchen.
Holocaust-Relativierer Gollnisch gut platziert
Es ist noch Zeit bis zum Hauptereignis des Tages, also schlendere ich durch
die Reihen mit den Bücherständen. Aus einer Ecke klingt Trommelschlag, und
ich blicke mich um. Einige Laiendarsteller in historischen Kostümen stellen
französische Soldaten aus unterschiedlichen Epochen dar, vom gallischen
Krieger über den Kolonialsoldaten in Nordafrika mit Wüstenuniform bis zum
modernen Berufsmilitär. Solcherlei Historiendarbietungen sind eine geläufige
Sache bei Großveranstaltungen
des FN. Hinter mir, am Stand der katholisch-fundamentalistischen
Tageszeitung Présent –- die einzige Tageszeitung, die den Front National
unterstützt und an manchen Kiosken erhältlich ist, aber mit geringer Auflage
und eher dröger Aufmachung -- kommt die "Nummer Zwei" in der
Parteihierarchie des FN vorbei geschneit. Es handelt sich um Bruno
Gollnisch, den "Generalbeauftragten" (délégué général) der Partei. Er drückt
einige Hände. Darauf habe ich aber keine Lust und gehe ein paar Meter zur
Seite.
Gollnisch stand am Dienstag und Mittwoch voriger Woche (7./8. November) in
Lyon vor Gericht, weil er im Oktober 2004 auf einer Pressekonferenz die
historische Existenz des Holocaust relativiert und in Frage gestellt hat :
Die Wissenschaftler müssten endlich frei über die Frage forschen können,
und, ja, es habe Tote gegeben, aber er wisse nicht wieviel... . Manche
Beobachter meinen, die offenkundig vorbereitete Äußerung,
die in der Sache lediglich frühere Auslassungen von Le Pen im September 1987
und im Dezember 1997 wiederholte, habe vor allem als Signal an die Hardliner
in der Partei gedient. Denn Gollnisch bewirbt sich um die Nachfolge des
78jährigen Le Pen an der Parteispitze, die in absehbarer Zeit anstehen
wird ; und er steht dabei in Konkurrenz zu dessen Tochter Marine Le Pen, die
eher für eine geschmeidige Kommunikationsstrategie eintritt. Aber Le Pen
(Vater) erklärte dazu bereits, dass letzteres nicht funktioniere, "denn ein
netter FN, das interessiert niemanden". Ohne Provokation und Tabuverletzung
scheint es nicht zu gehen. Gollnisch spielte also den Scharfmacher. Der
56jährige Jurist verlor daraufhin seinen Posten als Jura- und
Japanischprofessor an der (lange Jahre für ihre Rechtslastigkeit bekannten)
Universität Lyon-3, da er für die fünfjährige Periode bis zu seiner
Pensionierung vom Dienst suspendiert wurde, wobei er die Hälfte seiner
Bezüge behält.
Bruno Gollnisch, der auch im Europarparlament und im Lyoner
Regionalparlament sitzt, hatte aber Glück, da am ersten Prozesstag (7.
November) bekannt wurde, dass der Anwalt der jüdischen Studentenunion UEJF
–- die als Nebenklägerin auftritt – anbot, seine Klage zurückzuziehen, falls
der FN-Politiker vor den Richtern die Realität des Holocaust anerkenne. Ein
symbolisches, und zitierbares, Bekenntnis war ihr wichtiger als die
Strafverfolgung. In zunächst ziemlich verklausulierten Worten ("Meine
Antwort ist positiv, hohes Gericht") legte Gollnisch das eingeforderte
Bekenntnis ab. Alles Andere wäre auch dumm von ihm gewesen. Wie angeboten,
wurde die Nebenklage zurückgezogen. Die Staatsanwaltschaft als Hauptklägerin
forderte eine Geldstrafe in Höhe von 10.000 Euro, eine ausgesprochen milde
Strafe. Das Urteil dazu fällt am 18. Januar 2007.
Es scheint, dass Bruno
Gollnisch inzwischen den Parteiapparat fest in der Hand hält und sich als
aussichtsreichsten Bewerber für die Nachfolge des alternden Chefs
qualifizieren konnte. Denn in den Minuten, die unmittelbar der Ankunft des
Chefs auf der groben
Bühne vorausgehen und während derer die Anspannung im Saal steigt, hat
Gollnisch seinen groben
Auftritt. Er darf Jean-Marie Le Pen einführen, und er darf die
internationalen Delegationen der verschiedenen rechtsextremen Parteien aus
dem übrigen Europa namentlich begrüßen.
Seine Rivalin im Ringen um die innerparteiliche Macht dagegen hat keinen
Einzelauftritt und findet auch nur im Zuge der Begrüßung
sämtlicher Mitglieder der Parteiführung namentliche Erwähnung. Allerdings
konzentriert sich in dem Moment die Kamera, die für die Übertragung auf eine
Grobleinwand
filmt, auf die 38jährige. Die junge Frau, die in den letzten Monaten acht
Kilo abgespeckt und ihr Aussehen rundumerneuert hat, steht auch in
politischer Hinsicht für den Versuch, dem FN ein freundlicheres und jüngeres
Image zu verpassen. Vor allem Wirtschaftskreise und Ökonomiestudenten
dienten ihr in den letzten beiden Jahren als Publikum ; um sich erfolgreich
an eine größere
Zahl unter ihnen anzunähern, würde der FN ein ordentliches Lifting
benötigen. Ob Marine Le Pen mit ihren Vorstellungen durchkommt, ist im
Moment noch offen, wenn nicht gar zweifelhaft.
Ideologische Lufthoheit für Ultrakatholiken
Die katholisch-nationalistische und katholisch-fundamentalistische
Parteiströmung scheint die ideologische Lufthoheit im Saal errungen zu
haben, jedenfalls nach den Bücherständen zu schließen.
In jüngerer Vergangenheit hatte es bei der rechtsextremen Partei noch ein
zähes Ringen um die weltanschauliche Ausrichtung gegeben. Denn der FN hat
keine einheitliche Ideologie, sondern stellt eher ein ideologisches
Konglomerat aus unterschiedlichen Strömungen dar: katholische Nationalisten,
Monarchisten, Nationalrevolutionäre, Neonazis, zumindest in der
Vergangenheit auch Anhänger rechter Sekten (Moon-Kirche).... Diese
"ideologischen Familien" sind sich zwar über einige fundamentale Leitsätze
einig: "Die Menschen sind nicht von Geburt auf gleich ; es gilt eine
scharfe Unterscheidung zwischen 'Eigenen' und 'Fremden' zu treffen ;
Frankreich muss zu seiner angestammten 'Identität' zurückfinden und darf
sich nicht länger fremden Interessen unterordnen." Aber ansonsten können
sie, darüber hinaus, keinen gemeinsamen ideologischen Nenner finden. Etwa
wenn es darum geht, was denn diese famose "Identität" überhaupt ausmacht...
Eine Hauptauseinandersetzung bildete zum Beispiel lange Jahre hindurch die
Frage, ob das (katholische) Christentum zu ihren wesentlichen Elementen oder
nicht. Unbedingt ja, meinen die katholischen Fundamentalisten und
christlichen Nationalisten, die an eine alte Anti-1789-Traditionslinie
anknüpfen und der "Entchristianisierung" sowie der Präsenz vor allem
moslemischer Einwanderer den Kampf angesagt haben. Unbedingt nein, meinen
dagegen die zum Teil neuheidnisch denkenden "Rassialisten" (racialistes) und
die aus der Denktradition der Nouvelle Droite, der intellektuellen "Neuen
Rechten" kommenden Kader. Ihnen zufolge bildet das Christentum, als Religion
jüdischer Herkunft, einen kulturellen Fremdkörper in der "indo-europäischen
Zivilisation". Von ihren Ursprüngen her seien nun einmal die europäischen
"Waldvölker" und die semitischen "Wüstenvölker", samt ihrer Religionen,
nicht miteinander vereinbar. Zudem sei die "jüdisch-christliche"
Traditionslinie abzulehnen, da in ihrer monotheistischen Vorstellung alle
Menschen gleich vor Gott seien, was aber ein schädliches Egalitätsdenken
darstelle.
Hinter den Kulissen konnten Ultrakatholiken und Neuheiden bzw. Neurechte
sich beim FN früher bis aufs Messer (jedenfalls im übertragenen Sinne)
bekriegen. Doch dieser Streit scheint nun mit einem spürbaren Übergewicht
der katholischen Nationalisten und Fundamentalisten zu enden. Tatsächlich
ist die neurechte und neuheidnische Strömung dadurch geschwächt, dass ein
bedeutender Teil ihrer Kader bei der Spaltung von 1998/99 mit dem ehemaligen
Chefideologen Bruno Mégret –- dessen engste Umgebung aus ihren Vordenkern
zusammengesetzt war – aus der Partei gegangen sind. Ein paar von ihnen sind
inzwischen wiedergekommen, nachdem die Mégret-Gründung nach ein bis zwei
Jahren ihren Misserfolg nicht mehr verbergen konnte. Aber ihre Strömung ist
geschwächt, und nunmehr anscheinend ihren ideologischen Widersachern
zahlenmäßig
deutlich unterlegen.
Erbauliche Literatur
Eine nicht unwesentliche Fraktion innerhalb der katholischen Ultrarechten
sind die Franco-Anhänger, und nicht wenige von ihnen –- aus Frankreich und
aus Spanien –- sind an den Bücherständen dieses Wochenendes vertreten. Es
gibt sogar "Die 70 Tage der Belagerung von Alcazar", eine aus der Sicht der
Franco-Soldaten geschilderte Schlacht im Spanischen Bürgerkrieg (1936-39),
als Comicalbum für Jugendliche zu kaufen. Über dem Stand des
"französisch-hispanischen Freundschaftszirkels" weht die Fahne des
franquistischen Spanien mit dem typischen Wappen. Andernorts gibt es von den
Anhängern des katholisch-fundamentalistischen Bischofs und "Dissidenten" der
Kirche Marcel Lefevbre (1991 verstorben), die nach einer jüngsten
Entscheidung von Papst Benedict XVI. nunmehr in die französische Amtskirche
reintegriert werden sollen, Broschüren abzugreifen. Darin wird, in mehreren
Folgen, "die Revolution in der Kirche" in grauenhaften Farben geschildert.
Da schüttelt es den braven Anhänger vor Grauen: "Ökumenismus",
säkularistische Aufweichung, ja sogar marxistische Subversion haben von der
römisch-katholischen Amtskirche Besitz ergriffen!
Wieder anderswo gibt es erbauliche historische Literatur zu kaufen. An einem
Stand findet man etwa Werke von Robert Brasillach und Jacques Bainville. Der
Erstgenannte, Dichter, Nazikollaborateur und verbal virulenter Antisemit,
wurde nach der Befreiung Frankreichs 1945 erschossen. Der Zweitere war einer
der Chefideologen der nationalistisch-monarchistischen Action française und
hatte in der Anfangsphase hohe Funktionen beim Vichy-Regime inne. Später
wurde er jedoch in der Besatzungszeit an den Rand gedrängt, da sein
Nationalismus sich mit einer anti-deutschen Grundhaltung verband, die in
jenem Moment nicht gern gesehen wurde. Ein rechtsextremer Kleinverlag
wiederum bietet antisemitische Schriften aus den ersten Jahren des 20.
Jahrhunderts. Beispielsweise ein halbes Dutzend Bücher des damaligen
prominenten Agitators Henri Rochefort, oder "20 Jahre Antisemitenbund" von
Raphael Viou. Es gab damals wirklich eine Partei, die offiziell so hieb.
Heute könnte man wohl kaum noch so schreiben wie jene Autoren damals, ohne
im Gefängnis zu landen. Aber bei Schriften, die vor einhundert Jahren
erschienen, kann man sich ja darauf herausreden, dass man nur historische
Dokumente verlege. Im Übrigen können in diesem Fall die Autoren nicht
belangt werden, da sie ausnahmslos unter der Erde liegen.
Dieudonné und Le Pen
Nicht unbrisant ist ein Ereignis am Samstag Nachmittag. Zwischen den Ständen
taucht ein hoch gewachsener Schwarzer auf, den man nicht übersehen kann. Es
handelt sich um den Komiker Dieudonné M’bala M’bala, den fast alle Franzosen
nur unter seinem Künstlernamen kennen, der mit seinem Vornamen identisch
ist. "Dieudonné" war früher einmal eine Ikone des Antirassismus. 1997 hatte
er, als Kandidat bei den Parlamentswahlen, den FN in dessen damaliger
Hochburg herausgefordert: Dreux, einer Industriestadt 80 Kilometer westlich
von Paris, wo die rechtsextreme Partei damals bis zu 40 Prozent der Stimmen
erzielen konnte. Inzwischen ist ihr Anteil dort zurückgegangen. Aber seit
nunmehr drei Jahren ist Dieudonné immer mehr in einen virulenten
Antisemitismus abgedriftet. Er wirft unter anderem den Juden
"Erinnerungspornographie" im Zusammenhang mit der Shoah vor, wobei das
Wachhalten des Gedenkens an den Holocaust (ihm zufolge) verhindere, dass man
an andere Menschheitsverbrechen wie die Sklaverei oder auch an die Opfer des
Kolonialismus denke.
Eine solche Form von "Opferkonkurrenz" kennt man auch in anderem
Zusammenhang, etwa unter Minderheiten (Schwarzen und Juden) in den USA. Aber
bei Dieudonné hat sich ein solcher Diskurs in kurzer Zeit extrem zugespitzt
und hasserfüllte, absolut irrationale Formen angenommen. So behauptet
Dieudonné, die Juden in Frankreich hätte eine Hauptrolle im Sklavenhandel
eingenommen, was in krassem Widerspruch zur historischen Realität steht: Der
Artikel 1 des französischen Code Noir (des Gesetzbuchs, das den
Sklavenhandel unter der Monarchie regelte) verbot den Juden die Beteiligung
an diesem "Geschäft". Auf diese Vorhaltung reagierte Dieudonné öffentlich
mit Realitätsverweigerung : Man habe einen solchen Paragraphen nur
aufgenommen, weil die Juden es (anders als die christlichen Sklavenhändler)
übertrieben hätten, so hätten sie die Kinder der Sklaven gemeuchelt oder
dieselben kastriert. Im Laufe dieses Jahres hat Dieudonné eine zunehmende
Annäherung an "nationalrevolutionäre" Kreise im oder um den FN vollzogen.
An diesem Samstag Nachmittag nun also tauchte er in Le Bourget auf und
schüttelte Le Pen die Hand. Alsbald tauchten Journalisten der
Nachrichtenagentur AFP auf, woraufhin Dieudonné den vorher an seinem Kragen
angehefteten Anstecker zur Präsidentschaftswahl "Le Pen 2007" eilig abnahm.
Er sei nur "zum Schauen da" meinte Dieudonné mit unschuldiger Miene, und das
bedeute noch nicht, dass er zur Wahl des FN aufrufe. Es protestierten aber
auch anwesende Anhänger der extremen Rechten gegen ihn : Man habe
nicht vergessen, wie Dieudonné in Dreux den FN herausgefordert "und wie
früher auf uns gespuckt hat", erregte sich eine Frau. "Wir brauchen diesen
Neger nicht", kommentierte ein anderer glatt. Le Pen zeigte sich daraufhin
in seinen Kommentaren kurz angebunden. "Ich brauche ihn nicht, aber falls
mir eine Stimme fehlen sollte, dann würde es mich freuen, wenn sie von
Dieudonné kommt" erklärte er gegenüber AFP.
Le
Pens Auftritt
Zurück in die Halle. Nun also endlich der große
Auftritt des Chefs. Anderthalb Stunden lang redet der 78jährige, dessen Rede
dieses mal auch live durch die Infosender des Kabelfernsehers (LCI, LCP)
übertragen wird, weshalb er auch pünktlich um 16 Uhr beginnen muss, so dass
vorher eine Warteminute eingelegt wird. Le Pen, dessen Gesundheit schon
wiederholt zu Spekulationen Anlass gab, wirkt körperlich in Form. Allerdings
wissen Journalisten auch zu berichten, dass er sich davor extra zwei Stunden
in einem Campingbus auf dem Gelände ausgeruht habe. Jean-Marie Le Pen malt
die Grundzüge seines Präsidentschaftsprogramms für die Wahl im April 2007
aus. Aber zuvor muss er noch seine wahrscheinlichen Gegenkandidaten Nicolas
Sarkozy und Ségolène Royal demolieren, was ihm so schwer nicht fällt. Bei
Sarkozy genügt es ihm, auf tatsächliche Widersprüche in seinen Reden an
unterschiedlichem Ort hinzuweisen : "Wirtschaftsliberal, Atlantiker und
Anhänger des Kommunitarismus hier, National-Republikaner dort. Pudel in
Washington (bei seinem Besuch im September 06), gallischer Hahn in Périgueux
(bei seiner jüngsten Rede)". Die etablierten Parteien bezeichnet Le Pen
systematisch als "casseurs", was so viel wie "Kaputtmacher", aber auch
"Chaoten" bedeutet. Die Veränderungen der letzten 30 Jahre –-
Produktionsverlagerungen ins Ausland, Anstieg der Arbeitslosigkeit, soziale
Probleme, Krise der Schule -- interpretiert Le Pen allesamt als
Anzeichen eines bewusst verfolgten Komplotts gegen die Nation.
Seine eigenen Vorschläge vermengen wirtschaftsliberale Rezepte (radikale
Absenkung der Steuern, mit vier Flax Tax-Steuersätzen bei 0, 10 ; 15 und 10
Prozent, "Bürokratieabbau für Unternehmen") mit sozialen Versprechungen und
einer Stärkung des Staates in seiner repressiven Rolle. Le Pen will die
Richtergewerkschaften verbieten und 100.000 zusätzliche Gefängnisplätze
eröffnen, derzeit gibt es in Frankreich insgesamt knapp 60.000. Und
natürlich beschwört Le Pen die Nation, verstanden als eine
Blutsgemeinschaft, in die einige bereits im Lande lebende Personen sich noch
integrieren können, "wenn sie unsere Gesetze und unsere Traditionen
respektieren", die aber auf jeden Fall keine Einwanderer mehr aufnehmen
darf. Und deren gesellschaftliche Probleme, folgt man Le Pen, zum Grobteil
aus der bereits erfolgten Einwanderung resultierten. "Der Franzosen, selbst
der Obdachlose, muss mehr Rechte haben als der Einwanderer, so brillant und
sympathisch er auch sein mag." Denn die Franzosen seien "mehr als Bürger,
wir sind Erben eines intellektuellen, kulturellen (...) Nationalerbes", das
also demnach biologisch vererbbar zu sein scheint.
Oncle Tom beim Front National ?
Nach Le Pens Kampfrede strömen die Parteigänger und Sympathisanten an die
Gastronomiestände der lokalen Parteisektionen. Ich begebe mich auf einen größeren
Rundgang. Ungefähr in der Mitte des weitläufigen Hallenareals schart sich
eine Gruppe von Leuten um ein Spektakel. Mehrere offenkundig afrikanische
Personen führen einen nicht wirklich traditionell wirkenden Tanz auf, wobei
die Hauptdarstellerin eine Rotweinflasche auf dem Kopf balanciert und
ständig mit dem Hinterteil wackelt. Die Leute staunen. Wie kommen diese
Musiker nur hierher ?, frage ich mich. Am dazu gehörigen Stand gibt es eine
CD zu kaufen, auf dem Cover sieht man einen Afrikaner, der in ein Flugzeug
("Air Immigrés International ") steigt, offenkundig um Frankreich zu
verlassen. Titel der CD von Patrice Mouma : "Wenn Du Frankreich nicht
liebst, gehe aus Frankreich raus."
Ich verzichte dankend
auf den Kauf, nicht ohne erfahren zu haben, dass die Verkäuferin
ursprünglich aus Kamerun stammt. Ein übler Nachgeschmack bleibt mir auf der
Zunge. Bisher kannte man schon einzelne Araber (etwa den Pariser
Regionalparlamentarier Farid Smahi) und einzelne Juden (wie den verstorbenen
Regionalabgeordneten Robert Hemmerdinger) beim Front National. Wobei beide
Gruppen jeweils als Alibi-Repräsentanten dazu dienten, darauf hinweisen zu
können, nein nein, man sei doch nicht rassistisch oder antisemitisch. Bei
den Ersteren handelte es sich meist um Nachfahren von "Harkis", das sind
solche Algerier, die im französischen Kolonialkrieg in Nordafrika in der
französischen Armee kämpften und deshalb nach der Unabhängigkeit Algeriens
1962 ihr Land eilig verließen.
Da sie in der Folgezeit vom französischen Staat ihrem Schicksal überlassen
wurden, legen viele ihrer Nachfahren einen Überanpassungskomplex an den Tag:
Gerade sie seien doch besonders französisch, da ihre Harki-Kollegen oder
Väter mit der Waffen in der Hand für Frankreich ihr Leben riskiert hätten.
Deshalb äußert
sich ihr Protest gegen, real vorhandene, Diskriminierungen oftmals politisch
ziemlich weit rechts. Auch weil es für "Harkis" (die auch in Algerien nicht
geschätzt und von offizieller Seite mitunter geschmäht werden) nicht in
Frage kommt, sich "als Einwanderer" oder "Nordafrikaner" gegen rassistische
Herabstufen zu wehren, obwohl sie doch als solch von bestimmten Franzosen
rassistisch diskriminiert werden. Also als "Araber", die sie doch gar nicht
sein mögen. Der FN als Partei, die viele ehemalige Kolonialkämpfer in ihren
Reihen hat, steht deshalb diesen ehemaligen Soldaten oder ihren Nachfahren
offen und erlaubt es ihnen, ihren Protest als den von "besonders guten
Franzosen", die zu Unrecht für etwas Anderes gehalten würden, zu äußern.
Bei zweiterer Gruppen, den Alibi-Juden des FN, handelt es sich oft um
rechtsstehende französische Juden, die im Zuge des Algerienkriegs oder
späterer israelisch-arabischer Konflikte ihre Sympathien für Positionen der
extremen Rechten in Frankreich entdeckten.
Neu ist, dass es nunmehr auch (einzelne) Schwarze gibt, die beim FN
andocken. Bisher gab es bereits ein paar dunkelhäutige Parteimitglieder,
aber diese waren Überseefranzosen von den Antillen, keine Einwanderer. Mir
kommt der Verdacht auf, dass es sich auch hier um eine Art
Überassimilationskomplex oder um ein modernes Oncle Tom-Phänomen handelt.
Fest steht gleichzeitig, dass die Vorstellung von Afrikanern, die sie dem
Publikum beim FN anbieten –- trommelnd und mit dem Hintern rollend –- bei
dieser aus kolonialistischer Tradition kommenden Partei auf einige
Gegenliebe stoßen
kann. Solange der Afrikaner trommelt und nicht einen Job an der Universität
antritt, soll er ruhig geduldet werden...
Internationale Gäste
In der Nähe des Ausgangs treffe ich auf drei jüngere Kader der deutschen
NPD, die gerade mit ihrem abgebauten Stand und ihrem "Infomaterial" unter
dem Arm die Halle verlassen. Vorher hatte ich ihren Stand gar nicht
erblicken können, da sie etwas abseits stand : Nicht beim riesigen Stand der
"Koordination der europäischen Rechten", sondern unter einem improvisierten
Stand unter einem einfachen Sonnenschirm. Die drei Krawattenträger befinden
sich gerade im angeregten Gespräch mit einem (sprachlich sofort als solchem
zu identifizierenden) Österreicher, der offenkundig zu der größeren
Delegation gehört, welche die FPÖ mit gebracht hat. Zumindest einer der
NPD'ler und der Österreicher können auch gut Französisch, wie sich
herausstellt. Die drei NPD-Kader ziehen scheinbar frustriert von dannen,
während der Österreicher zwei französisch sprechenden Begleitern erklärt :
"Die hatten kein Akkreditierungspapier dabei, deswegen hat man ihnen keinen
guten Platz gegeben." Anscheinend ist die deutsche NPD (obwohl sie sich doch
offenkundig mit Repräsentanten der FPÖ, die sich üblicherweise etwas
moderater gibt, prächtig versteht) noch nicht ganz so wohlgelitten.
Zumindest nach auben
hin erscheint sie vielleicht noch nicht so "präsentabel".
Dabei hatte die Partei sich sogar scheinbar Mühe gegeben und ein
Propagandamaterial mitgebracht, das auf die Riots in den französischen
Banlieues von 2005 Bezug nimmt : Links sieht man eine im Bau befindliche
Moschee, rechts brennende Autos in einer Banlieue, und das Ganze soll die
Präsenz von zu vielen "Muslimen und Fremdländischen" illustrieren.
Allerdings hatte sie nur Material auf Deutsch, wie überhaupt alle
vertretenen Parteien stets nur muttersprachliches Propagandamaterial zu
bieten hatten. Nicht viele FN-Anhänger dürften so die ebenfalls verteilte
österreichische Zur Zeit und die Schriften von des einzigen FPÖ-Abgeordneten
im Europaparlament Andreas Mölzer, der persönlich zugegen war, lesen können.
Auch Flämisch können vielleicht nicht allzu viele Franzosen, wohingegen der
belgisch-separatistische Vlaams Belang natürlich keinerlei Lust hat, sein
Propagandamaterial auf Französisch zu drucken... Dies belegt vielleicht die
Grenzen des Internationalismus der Nationalisten.
Die meisten internationalen Delegationen finden sich unter dem Dach der
"Koordination der europäischen Rechten", die von dem FN-Europaparlamentarier
Carl Lang (selbst ein Angehöriger des neuheidnischen Flügels und
ausgewiesener Sozialdemagoge) angeleitet wird. Auf dieser Ebene tut sich
anscheinend gewaltig etwas, denn mit viel Aufwand wird nicht nur die Präsenz
der internationalen Delegationen unterstrichen, sondern auch der in Bälde
ins Haus stehende Vereinigungsversuch herausgestellt. Im Europaparlament
soll demnächst eine neue gemeinsame Fraktion entstehen.
Neue Fraktion im Europaparlament
Ein solcher Versuch ist nicht völlig neu. Zum ersten Mal versuchten die
rechtsextremen Parteien sich auf der Ebene der damaligen EG zusammenzutun,
nachdem im Juni 1989 das Europaparlament neu gewählt worden war. Neben dem
französischen Front National (FN), der schon seit 1984 dort saß,
waren auch die deutschen Republikaner (REPs) und die der italienische
neofaschistische MSI dort eingezogen. Die drei Parteien gründeten, zusammen
mit einem griechischen Obristenfan, eine gemeinsame Fraktion. Doch nach
wenigen Monaten flogen die Fetzen. Die REPs unter Franz Schönhuber beharrten
auf dem deutschen Charakter Südtirols, die MSI-Vertreter auf dem
italienischen des Alto Adige (oder Bezirks Bolzano). 1994 fielen die REPs
dann bei der Neuwahl des Parlaments in Strasbourg raus. Aus und vorbei war
es mit der Fraktionsbildung.
Jetzt hat die Stunde für einen neuen Zusammenschluss im Namen des "Europas
der Vaterländer" geschlagen. Am 1. Januar 2007 ziehen nunmehr auch die
Vertreter Rumäniens und Bulgariens als voll gleichberechtigte Abgeordnete in
das Europäische Parlament (EP) ein. Unter ihnen sind auch relativ starke
rechtsextreme Fraktionen, vor allem nach dem jüngsten Wahltriumph der
brutalnationalistischen Partei Atakia in Bulgarien. Die bisher im EP
sitzenden rechtsextremen Parteien wollen nicht nur die Radaunationalisten,
deren Kandidat Volen Siderov im Oktober rund 22 Prozent erhielt und laut
einer öffentlichen Erklärung die Roma "zu Seife verarbeiten" möchte, und die
Großrumänienpartei
(PRM) zu den Ihren zählen. Sie wollen ihre Integration nutzen, um einen
neuen gemeinsamen Club zu lancieren, die "Koordination der europäischen
Rechten".
Am Wochenende waren sie denn auch aus mehreren Ländern beim Spektakel des FN
in Le Bourget vertreten: die Franco-Anhänger der Alternativa Espanola, die
österreichische FPÖ, der Vlaams Belang aus Belgien, die British National
Party (BNP), und aus Italien die Fiamma Tricolore – eine
Mussolini-nostalgische Abspaltung von den offiziellen Postfaschisten des
Gianfranco Fini. Aber auch rumänische und bulgarische Ultranationalisten
oder eine Delegation serbischer Parlamentsabgeordneter der Serbischen
Radikalen Partei (SRS). Bruno Gollnisch klagte auf der Bühne bitterlich an,
dass deren letzterer langjähriger Chef, Vojslav Seselj, seit nunmehr vier
Jahren in Den Haag hinter Gittern sitzt. Aufgrund von Verbrechen, an denen
seine Partei im jugoslawischen Bürgerkrieg beteiligt war. Im Laufe der
neunziger Jahre war es aber innerhalb des FN noch umstritten gewesen, ob man
Partei zugunsten des katholischen Kroatien und "gegen den Serbolschewismus"
(so der katholisch-fundamentalistische Parteiflügel) oder, umgekehrt, "gegen
Serbien als Hort des Widerstands gegen die Neue Weltordnung" (so u.a. die
Nationalrevolutionäre) ergreifen solle. Beim Parteitag am Osterwochenende
1997 in Strasbourg, der auf dem bisherigen historischen Höhepunkt des
Einflusses des FN stattfand, hatte Jean-Marie Le Pen das Problem auf seine
Art gelöst. Er lud damals einfach beide Seiten, die serbischen und die
kroatischen Ultranationalisten, also die Parteien von Vojslav Seselj und
Doboslav Paraga, dorthin ein. "Bei Familientreffen ist es üblich, dass am
Tisch nicht über Politik diskutiert wird. In unserer Familie dagegen wird
bei Tisch politisch debattiert, und die Familienangelegenheit werden
(stattdessen) draußen
vor der Tür geregelt" erklärte Le Pen dazu. Ausgeschossen, unter
Umständen...
Ein Querschnitt durch die Sympathisanten
Die Rückfahrt am Abend bietet mir die treffliche Gelegenheit, einen Eindruck
von der Zusammensetzung der Sympathisanten zu bekommen. Da der kostenlose
Bus bis zum Bahnhof von Le Bourget jetzt nur noch alle halben Stunden
verkehr und die Leute zu plaudern beginnen, lässt sich erfahren, woher die
Leute zumindest geographisch kommen. Fast alle, die auf den Bus warten,
wollen entweder ins Zentrum von Paris oder in dessen westliche Stadtteile
oder Vororte. Das sind ausnahmslos wohlhabende Wohngegenden, ich höre
niemanden, den es in ärmlichen Trabantenstadt zöge. Oder sollten die
Banlieue-Bewohner alle mit dem Auto da sein ?
Eine 40jährige Dame
mit zwei Töchtern zeigt schon vom Stil, vor allem von der Kleidung und
Haartracht der Mädchen her ihre Zugehörigkeit zur rechtskatholischen
Bourgeoisie an. Sie will an die westliche Pariser Stadtgrenze, wo das großbürgerliche
16. Arrondissement an die besser situierten Vororte stößt.
Ein älteres Ehepaar erklärt zu seiner Nachbarin, dass es bei der
Madeleine-Kirche aus der Métro aussteigen wird. Diese liegt im 8. Pariser
Bezirk und gehört zu den teuersten Wohngegenden in Paris. Eine Dame mir
gegenüber verwickelt mich in ein Gespräch, ich achte darauf, unverfängliche
Antworten zu geben. Sie hat "einen sehr guten Dank verbracht, vor allem dank
der Rede von Jean-Marie". Es stellt sich heraus, dass sie schon in 4.
Generation gebürtige Pariserin ist, und ihre Großeltern
sind im 16. Pariser Bezirk geboren. Das deutet auf eine Zugehörigkeit zu
gehoberen Kreisen hin. Ihr Mann, so erfahre ich einige Minuten später, hat
einen höheren Posten beim Luftfahrt- und Rüstungsunternehmen Dassault, steht
allerdings vor der Pensionierung, da er mit 60 zu teuer sei. Sie erzählt mir
von einem Landhaus in der Nähe von Paris. Kurz: alteingesessen Bourgeoisie,
offenkundig.
Dieser zufällige Querschnitt aus dem Besucherpublikum des Konvents von
"Jean-Marie" lässt sich nicht auf die Wählerschaft übertragen. Denn
betrachtet man die Wahlergebnisse des FN und ihre Auswertung durch die
Sozialwissenschaftler, so fällt auf, dass das Wählerpublikum der
rechtsextremen Partei in soziologischer Hinsicht ungefähr aussieht wie eine
Pyramide : Je "tiefer" der soziale Stand, desto breiter wird die Wählerbasis
der Le Pen-Partei. Das war nicht immer so : In den Jahren seiner ersten
Wahlerfolge, 1984 bis 86, hatte der FN vor allem eine Stammwählerschaft aus
sich in ihrer Existenz bedroht fühlenden Mittelständlern und enttäuschen
Konservativen. Die katholische Komponente war damals auch in der
Wählerschaft sehr stark. Doch ab circa 1989 setzte eine Verschiebung ein,
und der FN konnte bei Wahlen von der sozialen Krise und dem Bindungsverlust
der Linksparteien gegenüber den sozialen Unterschichten profitieren.
Offenkundig klaffen dabei aber die Zusammensetzung der Parteigänger auf der
einen Seite, der "bloßen"
Wähler auf der anderen Seite nach wie vor stark auseinander. Einige Jahre
lang, vor allem in den 90ern, hat der FN diese Kluft durch den Aufbau
eigener rechtsextremer Pseudo-Gewerkschaften (denen ab 1998 durch die Justiz
verboten wurde, sich als Gewerkschaften zu bezeichnen) u.ä. zu überbrücken
.Doch dies scheiterte, aus unterschiedlichen Gründen, u.a. der
Parteispaltung von 1998/99 und ihrer Folgen. Seitdem steht der FN
weitaus weniger stark als im Alltag verankerte Mitgliederpartei, und vor
allem über das Fernsehen im Kontakt mit seinen potenziellen Wählern. Dabei
steht er in Abhängigkeit von aktuellen Ereignissen, die in den Medien ihren
Niederschlag finden und die sich durch die extreme Rechte in passender Weise
deuten lassen. Musterbeispiel ist der Sicherheitsdiskurs. Auch wenn diesen
Probleme in Wirklichkeit weitaus eher soziale Ängste zugrunde liegen: Wenn
eine wachsende Zahl von Menschen sich "verunsichert" fühlt, Furcht um ihre
Zukunft hat, sich vom Staat allein gelassen fühlt (da sich die Politik
offenkundig nicht um ihr Wohlergehen fühlt) und ihr Leben als ständigen
Kampf empfindet, dann lässt sich dies ideologisch auch als
"Sicherheitsbedürfnis" übersetzen. Nun muss man nur noch autoritäre Konzepte
als mögliche Antwort darauf erscheinen lassen, und schon hat die extreme
Rechte wieder ordentlich Punkte gewonnen.
Zur Zeit deutet sich an, dass dem FN nochmals der Einbruch in ein neues
Wählermilieu gelingen könnte, nämlich im ländlichen Raum. Dort sind seine
Zuwachsraten in den Vorwahlumfragen der letzten Monate am höchsten. Dieser
Raum war bisher von den Wahlerfolgen der Le Pen-Partei nur in relativ
geringem Maße
betroffen. Der FN hatte seine erste Phase von Wahlerfolgen in den
bürgerlichen Kernstädten (Mitte der 80er Jahre). Danach war er vor allem
eine Partei der urbanen Krise, die in den 90er Jahren dort Erfolge hatte, wo
traditionelle Industriebranchen wegbrachen, die Leute verarmten, das soziale
Netz zerriss. Nunmehr zeichnet sich seit circa 2002 eine dritte Phase ab, in
welcher dem FN auch der Einbruch in eine ländliche Wählerschaft gelingt.
Diese wird bisher von den Krisenphänomen der Gesellschaft noch in relativ
geringem Maße
erfasst. Allerdings ziehen in den letzten Jahren zunehmend ehemalige
Einwohner aus städtischen Zonen in eher ländliche Kommune, da sie sich das
Leben in den Ballungsräumen kaum noch leisten können oder da sie den
sozialen Probleme den Rücken kehren wollen. Der Hauptfaktor bei der
Ausbreitung der Sympathien für Le Pen aber ist das Fernsehen, das aus den
städtischen Ballungszentren und namentlich ihren Banlieues auf das Land –-
dorthin, wo vergleichbare Probleme noch unbekannt sind -- den Eindruck
vermittelt, dass Krieg herrscht und "die Front immer näher rückt". Den
daraufhin abrufbaren Schutzreflex beutet Le Pen, mit dem Ruf nach dem
starken Staat, möglicherweise erfolgreich politisch aus. |