Am Sonntag verstarb Peter Gingold:
Widerstand – ein Leben lang
Am vergangenen Sonntag ist Peter
Gingold nach langer und schwerer Krankheit in Frankfurt/Main im Alter von 90
Jahren gestorben. Peter Gingold war aktiv im antifaschistischen Widerstand,
kämpfte in der französischen Resistance gegen die deutsche Besatzung. Als
Kommunist aus jüdischem Elternhaus wurde er nach der Machtübernahme durch
die Nazis zur Emigration gezwungen und ging nach Paris, wohin seine Eltern
bereits geflohen waren.
Von Jörg Fischer
Peter Gingold wurde 1916 geboren und erlebte in der
Weimarer Republik den Aufstieg der NSDAP und den immer stärker werdenden
Antisemitismus. Dies führte dazu, daß er sich bereits in sehr jungen Jahren
politisch in der Arbeiterjugendbewegung und in der Antifaschistischen Aktion
organisierte und aktiv wurde.
Auch nach seiner Flucht nach Paris begann er sofort, sich
im Kampf gegen die Nazis zu engagieren und war Mitbegründer einer
Jugendorganisationen deutscher Emigranten, in dieser Zeit trat Gingold auch
der KPD bei, wo er auch seine spätere Ehefrau Etty Stein-Haller
kennenlernte.
1940 heiraten Peter und Etty und werden 60 Jahre
zusammenleben, zusammen politisch wirken und sich gegenseitig in schweren
Zeiten stützen. Als die deutschen Faschisten Frankreich besetzen, beginnen
beide sich aktiv am Kampf der Resistance, der französischen
Widerstandsbewegung, zu beteiligen. 1943 wird Peter Gingold von der Gestapo
verhaftet, kann aber den Nazischergen entkommen. Im August 1944 nahm er am
Aufstand zur Befreiung in Paris teil und ging unmittelbar danach nach
Italien, um weiter gegen die Faschisten zu kämpfen. Den 8. Mai 1945, "das
Morgenrot der Menschheit", erlebter er an der Seite der italienischen
Partisanen.
Zurück in Frankfurt gehörten Peter und Etty Gingold zu den
Gründern des hessischen Landesverbandes der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes (VVN), 1968 gehörte er zu den Mitbegründern der DKP, in der er
bis zu seinem Tod politisch seine Heimat hatte. Während Peter Gingold in
Frankreich und Italien für seine antifaschistische Arbeit auch von
staatlichen Stellen geehrt wurde, wurde ihm in der Bundesrepublik
Deutschland jede Ehrung verweigert, er und seine Frau mußten sogar jahrelang
um die deutsche Staatsbürgerschaft kämpfen. Hier mußte er miterleben, wie
alte Nazis wieder in Amt und Würden kamen, wie sich Neonazis offen
organisierten und wieder ihr braunes Gift und ihren Terror verbreiten. Auch
dazu schwieg er nicht – "Widerstand ein Leben lang!"
Peter Gingold war bis zu seinem Tode aktiv als
Bundessprecher der VVN, im Auschwitz-Komitee der BRD, im Kampf gegen die
Profiteure der Kriegsverbrechen – die IG Farben in Abwicklung, und im
Verband der Deutschen in der Resistance (DRAFD). Peter Gingold war ein oft
geladener Gast bei Gewerkschaften, antifaschistischen Gruppen, in
Jugendzentren und Schulen. Aber Peter Gingold war auch stets da, wenn es
darum ging alten und neuen Nazis den Weg buchstäblich zu versperren. So
stand er am 8. Mai 2005, dem 60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus und
der militärischen Niederlage Nazi-Deutschlands, an der Spitze einer
Demonstration von 15.000 Nazigegnern, die erfolgreich durch Blockaden
verhinderten, das an diesem Tag die Nazis der NPD durch Berlins Straßen
marschieren konnten.
Ein junger Antifaschist schrieb im Internet nachdem er vom
Tod Peter Gingolds erfuhr:
"Danke Peter für Dein Engagement. Danke, dass Du uns, die Deine Zeit
nicht erleben mussten, ernst genommen hast. Danke, dass Du nie resigniert
hast und danke, dass Du immer gekämpft hast.
Ein besonderer Mensch ist gestorben. Besonders, weil er viele von uns
beeindruckt hat und ein Beispiel geben konnte. Besonders auch, weil gerade
er, der persönlich Grund zum Hass gehabt hat, gekämpft hat. Gekämpft für ein
besseres, sozialeres antifaschistisches Deustchland."
Eine Gruppe junger Antifaschisten aus Norddeutschland
schrieb:
"Mit dem Leben von Peter geht für uns auch ein Stück
Geschichtsbewusstsein zu Ende. Wie kaum ein anderer rührte er sich in seinem
hohen Alter gegen Faschisten auf. Durch dieser Verkörperung des
Nichtvergessens, wurde er für viele zum Synonym für Antifa-Widerstand. Wir
vergessen dich niemals Peter und führen den Kampf gegen Faschismus bis zum
Ende!
Kampf dem Faschismus in all seiner Ausprägung! Kein Vergeben - kein
Vergessen!
Viel Kraft allen um ihn Trauernden!"
Ich habe Peter Gingold vor über 10 Jahren in Nürnberg
kennen- und schätzengelernt. Wir waren damals zusammen auf dem Podium einer
Informationsveranstaltung über die Gefahren des Neonazismus. Damals lebte
ich noch in Nürnberg und immer, wenn Peter zu Veranstaltungen in Nürnberg
war, hat er bei uns übernachtet - weil: Ein Hotelzimmer wollte er nicht, da
das "unnötig Geld kostet, das viel besser in der Aufklärungsarbeit
aufgehoben ist." Als ich ihn dann das erste Mal am nächsten Morgen zum
Bahnhof brachte, erlebte ich einen typischen Peter. Ich war auf der
Rolltreppe zum U-Bahnsteig und schaute neben mir – Peter war nicht da. Da
sah ich dann nur auf der anderen Seite der Brüstung das weiße Haar von ihm
vorbeihuschen auf der normalen Treppe. Als ich mit der Rolltreppe unten
ankam, stand er schon da und lachte mich an. Ich habe sehr selten einen
Menschen erleben dürfen, der wie Peter Lebensfreude, Entschlossenheit und
Kampfgeist ausstrahlte, der offen und immer lächelnd gerade auf junge
Menschen zuging und sie zu begeistern verstand. Zuletzt saßen wir im Mai
2005 in Berlin gemeinsam auf dem Podium. Es war eine Veranstaltung in
Vorbereitung zu den antifaschistischen Gegenaktionen anläßlich des geplanten
NPD-Aufmarsches am 8. Mai 2005. Das "Nie wieder!" bestimmte nicht nur sein
Denken, sondern auch sein Handeln. Sein Vorbild, sein unermeßlicher
Erfahrungsschatz, sein Elan und Tatendrang, seine Entschlossenheit, seine
menschliche Wärme werden fehlen und unvergeßlich bleiben. Mit Peter Gingold
verlieren wir alle ein Vorbild und ich jemanden, für dessen Rat und vor
allem für dessen Freundschaft immer dankbar sein werde.
Ich bedauere es sehr, nicht zur Feier seines 90. Geburtstages im DGB-Haus in
Frankfurt/Main gewesen sein zu können. Am Telefon erzählte er, wie sehr sich
gefreut hat, vor allem über die vielen Glückwünsche junger Menschen. Bei
dieser Feier wurden ihm Ehrungen nicht nur aus Frankreich und Italien zu
Teil, Ehrungen, die ihn die Bundesrepublik vorenthalten hat, wie den vielen
anderen auch, die wie er, beispielsweise in der Resistance gekämpft oder aus
der Nazi-Wehrmacht desertiert sind, um nur einige Beispiele zu nennen.
Und das, während die Täter und ihre Helfer auch noch
Pensionsansprüche erhielten. So ist es nur konsequent, das Peter neben
seiner Frau Etty im Familiengrab in Paris beigesetzt wird und nicht in
diesem Land.
"Wie kann man da nicht Kommunist sein?":
Ein Gespräch mit Peter
Gingold über Antisemitismus und Befreiung
"Mein politisches Leben begann sehr früh: als ich mit 14 Jahren in die
Gewerkschaftsjugend eintrat. Das war mein erster Schritt zur politischen
Organisierung in der Arbeiterbewegung. Bis dahin war ich sehr religiös
erzogen worden, ging immer mit meinen Eltern in die Synagoge und war selbst
sehr gläubig"...
Zur
Erinnerung:
Grußadresse von Peter Gingold:
Es beginnt mit Worten, es endet
mit Totschlag und Massenmord
Die Worte aus dem Munde dieses
Mannes, die nur durch Zufall und das Engagement einer kleinen Initiative
in die
Öffentlichkeit geraten sind, war die wesentliche Grundlage der
Naziideologie, die eigentliche Begründung für Massenmord und
Vernichtungskrieg des Nazireiches: die
jüdisch-bolschewistische
Weltverschwörung...
Auf dem Münchner Marienplatz:
Peter
Gingold, Bundessprecher VVN/BdA
In der letzten Zeit werde ich öfters gefragt, was überlebende
Opfer des Naziregimes, des Widerstandes und des Holocaust, zu denen ich
gehöre, empfinden, welche Gefühle ich habe angesichts der erschreckenden
Welle von rassistischer Gewalt, Antisemitismus und Neofaschismus. Da sage
ich: Überlebt haben wir mit der einzigen Aufgabe: Nie wieder Faschismus, nie
wieder Krieg! Niemand unter uns hätte sich 1945 es vorstellen können, nicht
einmal der schlimmste Pessimist...
Gebirgsjäger:
Unbelehrbare gedenken noch heute auch der Massenmörder
Alle Jahre wieder, in Mittenwald trifft sich
der Kameradenkreis der Gebirgsjäger zum gedenken. Inzwischen ist bekannt,
auch die Elitetruppe der Gebirgsjäger hat im zweiten Weltkrieg Verbrechen
begangen...
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