Drohender Schulverweis wegen Anti-Nazi-Symbolen:
Macht Stuttgarter Skandalurteil Schule?
In Mecklenburg-Vorpommern, wo die
neonazistische NPD vor knapp einem Monat mit 7,3 Prozent der Stimmen den
Einzug in ein zweites Landesparlament schaffte, droht einem Schüler der
Verweis von der Schule – weil er den Aufruf zur Zivilcourage wörtlich nimmt
und mit Ansteckern gegen Nazis das macht, was nicht mehr selbstverständlich
ist in Deutschland: Position gegen Nazis einzunehmen, sichtbar und im
Alltag.
Von Jörg Fischer
Die wohlklingenden Worthülsen vom "Aufstand der
Anständigen", vom "Aufruf zur Zivilcourage" scheinen an der "XXX-Schule"*
unbemerkt vorübergegangen zu sein. Oder vielleicht sind die Vorgänge an
dieser Schule auch nur ein weiteres Beispiel dafür, wie groß der Unterschied
zwischen schöner, aber wirkungsloser Sonntags-Rhetorik und der realen Praxis
ist.
Der Schüler XX macht aus seiner Gegnerschaft zu den Nazis
keinen Hehl. Und deshalb bekommt er Ärger – mit Lehrern und Schulleitung.
Auf Ansteckern und Aufnähern bezieht er sichtbar Position gegen Neonazis und
wurde deshalb bereits einmal vom Unterricht "suspendiert". Er hatte sich
geweigert, einen Anstecker mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz
abzunehmen. Jetzt droht ihm nicht nur der zeitweilige Ausschluss vom
Unterricht, sondern sogar die Entfernung von der Schule.
Berichten zufolge gibt es an der betreffenden Schule auffällige viele
Jugendliche, die sich ganz offen zur neonazistischen Szene bekennen und
entsprechend auftreten. Augenscheinlich sieht aber die Schulleitung weniger
das offene Auftreten von neonazistischen Jugendlichen als Problem an,
sondern fühlt sich eher durch Schüler gestört, die diesen Zustand nicht
widerspruchslos hinnehmen wollen.
Eine solche Reaktion auf das demokratische Engagement eines Schülers gegen
Nazis wäre genau das verkehrte Signal und würde faktisch die Neonazis
bestärken. Statt dessen müssten Schulleitung und Lehrer ihrer Bemühungen zur
demokratischen Wertevermittlung noch verstärken und die offensive
Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen und menschenverachtenden
Ideologien ganz bewusst suchen.
Die Vorgänge an der XXX erinnern an das Skandalurteil des Stuttgarter
Landgerichts vor wenigen Tagen, das den Betreiber eines Versandhandels zu
einer horrenden Geldstrafe verurteilte. Sein "Verbrechen": Er hat Anstecker
mit Anti-Nazi-Symbolen, u.a. mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz, im
Angebot.
Die Freunde des von Rauswurf bedrohten Schülers baten um Protestmails und
–faxe an die Berufsschule, bzw. das städtische Schulamt.
*) Inzwischen scheint man dort wieder
miteinander zu reden. Um einer Klärung dieser Sache nicht im Wege zu stehen,
haben wir die Angaben zu Orten und Personen inzwischen anonymisiert.
Anmerkung:
Der Leiter der betreffenden xxx-Schule, Dr. XXX, hat in einem
telefonischen Gespräch seine Sicht des Vorfalls dargelegt und um deren
Veröffentlichung gebeten. Laut dem Schuldirektor gibt es an der Berufsschule
eine "basisdemokratisch erarbeitete Hausordnung", die das Tragen von
Symbolen von rechts- oder linksextremistischen Organisationen oder
Ideologien untersagt. Auf der Grundlage dieser Hausordnung und nach
Beschwerden von Schülern wurde der Schüler xx zu einem Gespräch gebeten, da
er einen Anstecker trug mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz.
Als Ergebnis des Gespräches habe der Schüler xx von sich aus auf das weitere
tragen des Anti-Nazi-Ansteckers verzichtet. Eine Suspendierung vom
Unterricht oder eine drohende Verweisung von der Schule habe es nicht
gegeben - nur das besagte Gespräch auf der Grundlage des Verbotes von links-
bzw. rechtsextremen Symbolen an der Schule. Der Schulleiter legt weiter
großen Wert auf die Feststellung, dass seine Schule "demokratisch und gegen
Faschismus engagiert" sei und es nur vereinzelt Schüler mit erkennbarer
rechtsextremer Gesinnung gebe.
J.F. |