Identitätsdilemma:
Wenn der Vater Jude ist und die Mutter nicht
Von Ruth Zeifert
Erschienen in: Jüdische Allgemeine v. 17.08.2006
Jüdisch ist, wer Kind einer jüdischen Mutter ist. Das
Religionsgesetz, die Halacha ist da eindeutig. Allein auf die Mutter kommt
es an. Herkunft und Glauben des Vaters sind irrelevant. Deshalb gelten
Menschen mit jüdischem Vater und nichtjüdischer Mutter - "Vater-Juden", nach
einem 1995 von Andreas Burnier geprägten Begriff - nicht als
ihresgleichen. Selbst das Reformjudentum hält sich an diese Regel.
Zwar hat das "Committee for Patrilinear Descent" der
amerikanischen Reformgemeinden 1983 einen ersten Beschluß gefaßt, der den
jüdischen Status von Kindern mit nur einem jüdischen Elternteil - gleich ob
Vater oder Mutter - im Prinzip akzeptiert. Um aber offiziell in eine
Gemeinde aufgenommen zu werden, bedarf es auch dort zusätzlicher religiöser
Unterweisung und eines formellen Beitrittsakts.
Dabei steht die Matrilinearität im Widerspruch zum
biblischen Recht, das entschieden patrilinear ist, sagt der niederländische
Forscher Piet van der Horst. Angehöriger des Priesterstammes Cohen
beispielsweise ist man bis heute nicht durch seine Mutter, sondern durch
seinen Vater. Noch im babylonischen Talmud (Traktat Baba Batra 109b) heißt
es klar: "Die Familie des Vaters wird als die Familie des Kindes angesehen,
die Familie der Mutter nicht." Zwar tauche, so van der Horst, das
matrilineare Prinzip bereits im Tanach, bei Ezra, auf. Doch danach sei rund
600 Jahre nicht mehr davon die Rede gewesen.
Die Matrilinearität ist nicht biblisch, sondern rabbinisch
begründet und taucht in verbindlicher Form erstmals in der Mischna auf, den
ersten von Rabbinen niedergeschriebenen Dokumenten. Nicht-rabbini-sche
Abspaltungen des Judentums, etwa die Samaritaner, kennen bis heute nur das
patrilineare Prinzip. Warum die Rabbinen die biblische Patrilinearität durch
das Prinzip der mütterlichen Herkunft ersetzt haben, darüber, so van der
Horst, gibt es zwar vielfältige Vermutungen, doch nur eine wissenschaftlich
gesicherte Antwort: "Wir wissen es nicht!"
Van der Horst machte seine Ausführungen bei einem
Amsterdamer Seminar in diesem Frühjahr, auf dem Wissenschaftler, jüdische
Organisationen und Betroffene sich erstmals in Europa mit dem Phänomen der
"Vater-Juden" auseinandersetzten. Die niederländische Metropole war ein
geeigneter Ort für dieses Thema. Nirgendwo sonst außerhalb Nordamerikas ist
das Thema "Vater-Juden" bisher so intensiv erforscht worden wie in Holland.
Marlene de Vries beziffert in in ihrer Studie "De Joden in Nederland Anno
2000" ihren Anteil unter den insgesamt rund 43.000 niederländischen Juden
auf etwa 29 Prozent. Deren innere Verbundenheit mit dem Judentum als
Religion oder Volk ist, so de Vries, schwach ausgeprägt. Nur 18 Prozent
sehen sich als Juden. Die übergroße Mehrheit, 61 Prozent, definiert sich
"nicht so sehr als jüdisch, sondern als Person mit jüdischem Hintergrund".
14 Prozent machen ihre jüdische Identität "abhängig von der jeweiligen
Situation" und 7 Prozent definieren sich als Nichtjuden.
Die mangelnde kulturelle und religiöse Verbundenheit
erklärt de Vries damit, daß unter jüdischen Männern, die außerhalb ihres
Glaubens heiraten, also den Vätern, der Anteil der Säkularen naturgemäß
besonders groß ist. Ihre sozial-kulturelle und religiöse Beziehung zum
Judentum ist nur noch schwach ausgeprägt; die ihrer Kinder noch schwächer.
So sei denn auch das Problem nicht so sehr, daß diese "vaterjüdischen"
Kinder von den jüdischen Gemeinden ausgegrenzt würden, sondern daß sie
selten jüdisch erzogen wurden und kaum Kontakt zu anderen Juden haben.
Eigene Möglichkeiten jüdischen Lebens auch außerhalb fester
Gemeindestrukturen - etwa die, jüdische Festtage im privaten Rahmen zu
feiern oder sich Hebräischkenntnisse anzueignen - würden nicht wahrgenommen.
Eine starke Identifizierung mit dem Judentum findet in
dieser Gruppe dennoch statt - über den Antisemitismus und die Schoa. Bei
"Vater-Juden" sei die Betroffenheit gerade wegen ihrer "unsicheren Position"
besonders groß, sagt de Vries. Das allerdings sei kein "vater-jüdisches"
Spezifikum: Ein Vergleich mit Kindern aus anderen ethnisch oder kulturell
gemischten Elterhäusern, bei denen die Gruppenidentität ebenfalls unsicher
ist, habe ergeben, daß auch sie besonders sensibel auf Rassismus und
Diskriminierung reagieren.
"Vater-Juden", so de Vries, litten darunter, weder zur
jüdischen noch zur nichtjüdischen Seite zu gehören. Um ihre Position im
Judentum zu stärken, müsse das Band auf sozial-kultureller Ebene ausgebaut
werden. Für die angehende Rabbinerin Tamarah Benima gibt es für Vater-Juden,
die als "richtige" Juden anerkannt werden wollen, nur einen Weg: den
religiösen. Der allerdings verlangt gravierende innere und äußere
Auseinandersetzungen, wie eine Reihe von Seminarteilnehmern aus eigener
Erfahrung berichteten. Im kommenden Jahr soll die Diskussion bei einem
weiteren Seminar fortgesetzt werden.
Ruth Zeifert arbeitet an einem Promotionsvorhaben zu
deutschen Kindern jüdischer Väter.
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