Planet Bunzl:
Der Libanonkonflikt im Prisma österreichischer Grünen
Von Karl Pfeifer
Planet, die Zeitung der grünen Bildungswerkstatt hat in
ihrer Herbstausgabe 2006 einen Schwerpunkt Libanon gesetzt, der herb
enttäuscht. Zu Wort kommen Ulrike Lunacek, außenpolitische Sprecherin der
Grünen und Martina Neuwirth [1] mit einem Kommentar, der überhaupt nicht
eingeht auf die Tatsache, dass die Hizb Allah seit der Räumung Libanons im
Frühjahr 2000 den Norden Israels sporadisch beschossen und Provokationen
durchführte, die auch von der UNO verurteilt wurden. Sie erwähnen mit keinem
Wort, den eigentlichen Grund der Kämpfe gegen die Hizb Allah, der auch von
einem UNO-Beschluss bestätigt wurde.
Dann schreibt Prof. Eugene Sensenig-Dabbous einen Brief aus Beirut: "...
Schließlich glaube ich, dass man eine Menge von der Leistung der Mukawama
(Hisbollah Miliz) in den vergangenen fünf Wochen lernen könnte. [...] Daher
erscheint mir, die Hisbollah zu entwaffnen und sie in die Libanesische Armee
zu integrieren, würde bedeuten, das Pferd von der falschen Seite aufzuzäumen
– wie wir in Österreich sagen. Würde es nicht viel mehr Sinn machen, die
Libanesischen Streitkräfte entlang der Strukturen der Mukawama zu
organisieren?
Sie werden sich jetzt fragen, warum ich, ein radikal pazifistischer
christlicher, westlicher Ausländer und Neuling im Mittleren Osten, Dinge in
Erwägung ziehe, die so weit entfernt von dem sind, an was ich glaube. Ich
könnte sagen, dass sie ein Produkt meines Berufs als Sozialwissenschaftler
sind, oder vielleicht bin ich ein sündigender Wiedertäufer." [2]
Der planet lässt auch den "Nahostexperten" John Bunzl zu
Wort kommen [3], der die Geschichte und die Realität des Konflikts
umschreibt beziehungsweise verfälscht:
"Für den jüngsten Angriff Israels auf den Libanon verwenden Israels
PolitikerInnen bekannte Rechtfertigungsmuster. Dämonisierung der arabischen
Nachbarn und Anbiederung an westliche Mächte sind die wichtigsten
Bestandteile dieser Strategie.
In den langandauernden Konflikten zwischen Israel und seinen arabischen
Nachbarn lassen sich einige Konstanten dekonstruieren, die man im
psychoanalytischen Sinn als Rationalisierungen bezeichnen kann. Diese
Rationalisierungen mutieren zu Diskursen und Narrativen, die das israelische
Bewusstsein prägen und – aus offensichtlichen Gründen – auch die
Perzeptionen der "Welt" beeinflussen.
Es ist erstaunlich, dass bei jeder Gewaltexplosion Varianten dieser
Grundstruktur unter die Leute gebracht – und geglaubt werden. Scheinbar wird
man eben aus Erfahrung doch nicht klug; im Gegenteil, mit der Dauer der
Konflikte werden die Rationalisierungen immer skurriler, mit der Zeit nimmt
jedoch auch ihre Gefährlichkeit zu."
Nach diesem ganz nach der Art der "neuen Historiker" psychologisierendem
Geschwafel folgen die üblichen Stehsätze der krudesten palästinensischen
Propaganda, vom Zionismus der "nur als koloniales Siedlerprojekt realisiert
werden" konnte und von "der Landnahme vor und nach 1948", all das gewürzt
mit einem dubiosen Ben Gurion Zitat.
Noch 1970 erkannte Bunzl: "Die Gleichsetzung des Zionismus mit dem
klassischen Kolonialismus entspricht nämlich nicht der Realität" und
zitierte Nathan Weinstock, den damaligen Papst aller Antizionisten, der sich
seither von seinem Antizionismus verabschiedet hat, der aber schon damals
doch darauf aufmerksam machte, dass zwischen Algerien/Südafrika auf der
einen und dem Jischuw (die jüdische Gemeinschaft in Erez Israel vor der
Staatsgründung) andererseits markante Unterschiede bestehen, denn während in
den kolonialen Ländern die Wirtschaft "zur Gänze auf der Ausbeutung der
Einheimischen" beruhte. verwandelten "sich die palästinensischen Juden
schrittweise in eine neue hebräische Nation mit eigener Klassenstruktur".
War der Kolonialismus durch Kapitalexport in die Metropolen gekennzeichnet,
so charakterisierte der jüdische Kapitalimport das "zionistische Projekt".
Auch gab es keine "Landnahme vor 1948" solches hätten die Briten nie
gestattet. Das Land wurde von seinen Eigentümern zu vielfach überhöhten
Preis von Juden gekauft. Tom Segev bemerkt dazu über die zwanziger Jahre:
"Und die Araber waren durchaus zum Landverkauf bereit. Im Allgemeinen wurde
mehr Land angeboten, als sich die zionistische Bewegung mit den ihr zur
Verfügung stehenden finanziellen Mitteln leisten konnte. Manche der
arabischen Landbesitzer lebten außerhalb Palästinas; die Verkäufer waren
teils Grundstückmakler, teils Bauern, die ihren Besitz direkt potenziellen
Käufern anboten. Sogar maßgebliche Persönlichkeiten der arabischen
Nationalbewegung verkauften Grund und Boden..." [4] Während der dreißiger
Jahre machte sich der deutsche Generalkonsul in Jerusalem darüber lustig,
als er bemerkte, dass die arabischen Führer tagsüber gegen die Juden hetzen
und in der Nacht ihren Boden an Juden verkauften.
Bunzl schreibt trotzdem von "Landnahme" und führt damit die Leser irre, denn
darunter versteht man nicht den Kauf von Land um viel Geld, sondern
Eroberung, Beschlagnahmung.
Die Zionisten dämonisierten – so Bunzl – die Araber: " Dies geschah mittels
der Projektion von Bildern der antisemitischen Verfolgung auf "die" Araber
oder die Entstellung bzw. Abwertung von deren Motiven.
Schon in den 1920er Jahren ist von Arabern als Pogromisten oder Kossaken
(heute: "Terroristen") die Rede, die von ausländischen Antisemiten oder
inländischen Feudalen zu irrationalem Hass gegen das zionistische Aufbauwerk
angestiftet werden. In dieser Sichtweise manifestiert sich blockierte
Wahrnehmung."
Zitieren wir doch noch mal Tom Segev, der sicher nicht verdächtigt werden
kann, Sympathien für den Zionismus zu empfinden, oder gar zionistische
Propaganda zu machen. Er beschrieb das Abschlachten von Juden 1921[5] und
1929 als Pogrome. Segev widmet in seinem Buch ein ganzes Kapitel (S.
343-358) dem Pogrom im August 1929. Er beschreibt, wie viele arabische
Bauern "mit Messern und Knüppel bewaffnet" nach Jerusalem strömten und der
Mufti dem Jerusalemer Polizeichef versicherte, "die Muslime hätten nur aus
Angst vor einer jüdischen Provokation zu Knüppeln und Messern gegriffen."
Der britische Polizeioffizier Raymond Cafferata schilderte die Ereignisse:
"Ein Araber war dabei, einem Kind mit dem Schwert den Kopf abzuschlagen.
Einmal hatte er bereits zugeschlagen und wollte gerade ein zweites Mal
ausholen. Er befand sich praktisch vor der Mündung meines Gewehrs. [...]
Hinter ihm sah ich eine blutverschmierte jüdische Frau mit einem Mann, den
ich als Polizisten wiedererkannte, Issa Sherif aus Jaffa... er stand mit
einem Dolch in der Hand über die Frau gebeugt. Als er mich sah, flüchtete er
in das nächste Zimmer und rief auf Arabisch: "Ich bin Polizist, Euer Ehren."
Weiter Segev: "In einem Brief an den Hochkommissar beschrieben die Juden von
Hebron weitere Gräueltaten: Der 68-jährige Rabbi Me’ir Kastel war gemeinsam
mit dem 70-jährigen Rabbi Zwi Drabkin und fünf jungen Männern kastriert
worden. Den Bäcker Noah Imerman hatte man verbrannt. Der Mob tötete den
Apotheker Ben-Zion Gerschon, einen Invaliden, der Juden wie Arabern mehr als
vierzig Jahre lang treue Dienste geleistet hatte; seine Tochter wurde
vergewaltigt und ebenfalls getötet. Jizchak Abujzhdid und Dovnikov waren mit
einem Strick erwürgt worden. Die 70-jährige Jizchak Ben Hannah war an eine
Tür gefesselt und zu Tode gequält worden. Den zweijährigen Menachem Segal
hatte man den Kopf abgerissen. Der Brief nannte noch andere Fälle von
Vergewaltigung und Folter. Es gibt Fotos von abgeschnittenen Händen und
Fingern, die vielleicht wegen der Ringe und Armbänder abgetrennt worden
waren. Häuser, Geschäfte und Synagogen waren geplündert und niedergebrannt
worden Manche Menschen hatten nur deshalb überlebt, weil sie inmitten von
Leichen lagen und sich tot stellten."
In der "Narrative" von Dr. John Bunzl werden solche brutale Massaker an
Juden implizit zum legitimen Widerstand stilisiert und Selbstmordattentate
gegen israelische Zivilisten verharmlost, durch das Setzen des Wortes Terror
unter Anführungszeichen.
Wer wird in Schulbüchern und Medien im Nahen Osten dämonisiert?
Das sind doch nicht die Palästinenser, sondern die Juden, denen die
offiziellen arabischen Medien Ritualmorde und ärgeres unterstellen. Wer
wirklich interessiert ist zu erfahren, was das offizielle Fernsehen der
Palästinenser an krudester Judenhetze zeigt, der werfe ein Blick in
Palestinian Media Watch
http://www.pmw.org.il/tv.html. Davon möchte Bunzl ablenken, indem er
die Haltung der Palästinenser auf den demokratischen Staat Israel
projiziert. Für ihn – wie für die meisten "neuen Historiker" gibt es keine
Realität, sondern nur Narrativen und er bemüht sich durch Dekonstruktion
diejenigen der Palästinenser zu propagieren.
Bunzl Originalton:
"Gleichzeitig galt es auch den Anschein zu erwecken, das Projekt der
jüdischen Nationalstaatsbildung diene jenen Großmächten, welche strategische
Interessen in der Region des Nahen Ostens verfolgten. Schon Theodor Herzl
(1860 -1904) bot Russland die Abwanderung revolutionärer Juden, England
einen Vorposten der Kultur gegen die Barbarei und Kaiser Wilhelm II. die
Verbreitung deutscher Kultur im Orient an. Linke Zionisten schwärmten
1947/48 in Moskau von der sozialistischen Avantgarde im Nahen Osten; dem
Westen präsentierte man sich als "strategic asset" gegen die kommunistische
Subversion und anti-imperialistischen arabischen Nationalismus.
Zuletzt will man sich als Trumpfkarte gegen Terrorismus, Islamismus, wenn
nicht sogar gegen den Islam selbst, verstanden wissen."
Hier werden verschiedene Geschehnisse verschiedener Perioden von diesem
"Nahostsachverständigen", der auch Dozent am Institut für
Politikwissenschaft der Universität Wien ist, aus dem historischen Kontext
gerissen, um die nationale Befreiungsbewegung der Juden zu verteufeln.
Bunzls selektiver Diskurs soll nur davon ablenken, dass der Jerusalemer
Mufti, der Führer der Palästinaaraber Hadj Amin el Husseini während des
Zweiten Weltkrieges aktiv wurde, um seinen Beitrag zur "Endlösung" zu
leisten und dass die Araber sich genauso wie die Zionisten an die Großmächte
wandten und ihre Bedeutung im Kampf gegen, später für den Kommunismus
hervorhoben. Die arabischen Politiker hausierten bis Ende der vierziger
Jahre bei den Westmächten mit der Verteufelung des Zionismus als Pioniere
des Bolschewismus.
1947-48 waren linke Zionisten tatsächlich überzeugt, dass die
realsozialistischen Staaten "die Welt von morgen" wären, sie erhielten ja
auch die diplomatische Unterstützung der Sowjetunion und konnten Waffen
kaufen in der Tschechoslowakei.
Kurz, der Politikwissenschaftler Bunzl wirft den Zionisten tatsächlich vor,
Realpolitik betrieben zu haben anstatt auf Antizionisten zu hören und die
Flinte ins Korn zu werfen. Realpolitik dürfen alle anderen betreiben, doch
nicht die Juden, denn verschroben und komplexbeladenen wie er ist, erwartet
er von diesen eine perfekte Moral.
Antizionistische Narrative und Dekonstruktion in Österreich ist nicht nur
absolut gefahrlos, sie wird auch vielfach belohnt. Mancher Linker klopft ihm
auf die Schulter und sieht in ihm und seinesgleichen einen "guten Juden",
auf den man sich beim propagieren eines sekundären Antisemitismus berufen
kann.
Bunzl O-Ton:
"Die israelische Öffentlichkeit hat, bis auf wenige Ausnahmen, den
Libanonkrieg unterstützt, weil sie dem offiziellen Diskurs gefolgt ist.
Jede/r beklagt sich über die Katjuscha Raketen und behauptet sogar, die
Hisbollah hätte damit begonnen; ebenso wie die Hamas Militäroperation Ende
Juli (bei der Gilad Shalit gefangengenommen wurde) mit dem kindischen
Argument "sie haben angefangen" kommentiert wurde, wenn es darum ging, die
Zerstörung des Gazastreifens zu begründen."
Die Israelis, die den Libanon 2000 verlassen haben, benehmen sich laut
diesem Wiener Experten für antizionistische Agitation nicht comme il faut,
sie beklagen sich noch anstatt die auf sie abgefeuerten Raketen der
Katjuschas als Zeichen des Widerstands zu sehen. Wer einen bewaffneten
Konflikt beginnt spielt bei diesem Politikwissenschaftler nur dann eine
Rolle, wenn der erste Schuss von Israelis getätigt wird. Wenn das Hamas oder
Hizb Allah machen, dann hat er dafür Verständnis, sind das doch in seinen
Augen "Widerstandskämpfer".
Ein Teil der Linken verbreitet die Mär, die Ereignisse des 11. September
gingen auf das Konto des Mossad und der CIA um einen Vorwand für einen Krieg
gegen "den Islam" zu erhalten. Bunzl haut in die gleiche Kerbe, wenn er
unterstellt, dass Israel nicht auf das ständige Beschießen des Nordnegev
auch nach der Räumung von Gaza und auf die Provokationen der Hizb Allah
reagiert hat und diese jahrelangen Provokationen nur als Vorwand benützt
habe. Bunzl versucht auch die israelische Bevölkerung – die gründlich und
vielseitig informiert wird – als dumm darzustellen, da sie dem "offiziellen
Diskurs" folgt.
Ulrike Lunacek, außenpolitische Sprecherin der Grünen im Nationalrat und die
Zeitschrift planet
gehen davon aus, dass es nicht darauf ankommt, die komplexe Realität eines
der vielen Konflikte zu zeigen, denn den Standpunkt der israelischen
Öffentlichkeit lassen sie nicht zu Wort kommen. Lernfähigkeit ist nicht ihre
Stärke.
Anmerkungen:
1)
http://www.archiv.gruene.at/planet/planet46/index.php?seite=themen&tid=43491
2)
http://www.archiv.gruene.at/planet/planet46/index.php?seite=themen&tid=43488
3)
http://www.archiv.gruene.at/planet/planet46/index.php?seite=themen&ti
4) Tom Segev: "Es war einmal ein Palästina/Juden und Araber vor der
Staatsgründung Israels" S.296
5) Segev beschreibt, wie in der Folge von einer nicht genehmigten
Demonstration der jüdischen kommunistischen Partei am 1. Mai 1921 Araber in
Jaffa ein Pogrom veranstalteten. Die Kommunisten riefen auf zum Sturz der
britischen Regierung und zur Errichtung einer sowjetischen Union Palästinas.
Die genehmigte Demonstration der zionistischen Arbeiterpartei Achduth
ha-Avoda in Tel Aviv wurde von den Kommunisten gestört und es kam zu einer
Schlägerei. Die Polizei jagte die Kommunisten zurück in Richtung Jaffa, "wo
die Kommunisten bereits in eine Auseinandersetzung mit Arabern verwickelt
waren, die einer sowjetischen Union Palästinas ebenfalls keine Sympathie
entgegenbrachten." Segev weiter: "Eine Untersuchungskommission, die später
eingesetzt wurde, um die Ursachen der Unruhen aufzuklären, kam zu dem
Ergebnis, dass der Kampf zwischen den Kommunisten und Achduth ha-Avoda der
Funke gewesen sei, der das Pulverfass zur Explosion gebracht habe. [...] Was
auch immer der Auslöser gewesen sein mag, Dutzende von jüdischen, arabischen
und britischen Zeugen berichteten dasselbe. Arabische Männer drangen in
jüdische Häuser ein und ermordeten die Bewohner; die Frauen kamen hinterher
und plünderten. Bewaffnet mit Knüppeln, Messern, Schwertern und manchmal
sogar Pistolen, griffen die Araber jüdische Fußgänger an und demolierten
jüdische Geschäfte. Sie verprügelten und töteten die Juden in ihren
Wohnungen, darunter auch Kinder; manchmal spalteten sie ihren Opfern den
Schädel."
Am antijüdischen Pogrom waren übrigens auch arabische Polizisten beteiligt.
Segev berichtet über einen britischen Polizisten, der auf die Frage der
Untersuchungskommission, "ob er daran gedacht habe, auf die Straße zu gehen,
um zu sehen, ob er etwas ausrichten könne", die Antwort gab: "Als wir
feststellten, dass es sich um eine Angelegenheit zwischen den Juden und den
Arabern handelte, hielten wir es für besser, uns nicht einzumischen. [...]
Wem hätten wir Einhalt gebieten sollen?"
Tom Segev: "Es war einmal ein Palästina/Juden und Araber vor der
Staatsgründung Israels" S.191 ff
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