Propagandamittel:
Das Zahlenspiel mit den Toten von Kana
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Erst nachdem die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch die
Tragödie von Kana, in den arabischen Medien auch "Massaker von Kana"
genannt, geprüft hat und feststellte, dass es nur 28 bestätigte und
geborgene Leichen gegeben habe, korrigierten auch die Nachrichtenagenturen
ihre bisher veröffentlichten Zahlen nach unten. Vorher war die Rede von 52,
56 und sogar 67 Toten, die da aus dem von der israelischen Luftwaffe in der
Nacht zum Sonntag bombardierten Rohbau hervorgeholt worden seien.
Israel hat die Verantwortung für den Tod dieser unschuldigen Zivilisten,
darunter auch Kinder, auf sich genommen. Und die Schuld ist nicht gemindert,
wenn es "nur" 28 Tote waren. Es geht nicht darum, Israels Verantwortung zu
mindern.
Das grausige Zahlenspiel mit dem Tod ist offensichtlich ein Propagandamittel
und lässt sich nicht allein durch Schlampigkeit oder Irrtum erklären. Ganz
besonders die Nachrichtenagenturen und in ihrem Gefolge der Reporter im
Libanon müssen sich die Frage gefallen lassen, wieso sie den jeweils höheren
Zahlen eher glauben schenkten, als niedrige Zahlen, wie sie schon am Sonntag
vom Internationalen Roten Kreuz, dem Roten Kreuz im Libanon und der
libanesischen Zivilverteidigung herausgegeben worden sind und in den Tagen
danach bestätigt wurden.
Da jede Nachrichtenagentur eine andere Zahl veröffentlichte, müsste doch
jedem Journalisten aufgefallen sein, dass da etwas nicht stimmt. Trotz der
offenkundigen Widersprüche hielt jeder an seinen Zahlen fest, anstatt neue
Recherchen anzustellen und wenigstens die Quellen offenzulegen. Auch
europäische Politiker wie Benita Ferrero-Waldner nannten Zahlen, die sie
ungeprüft der Presse entnommen haben. Man sollte eigentlich erwarten, dass
Regierungen etwas gewissenhafter vorgehen und über ihre teuren Diplomaten
wenigstens versuchen, "offizielle" Zahlen zu ermitteln.
Die Presse trägt große Verantwortung und sollte sich keinesfalls in eine
Propaganda-Maschine einbinden lassen. "Offizielle libanesische Stellen" als
Quelle anzugeben, ist unzulässig, wenn so viel Verwirrung herrscht bei einem
Ereignis, wo die vielen Toten "eine Wende im Krieg" verursachten, Israel zu
einer Waffenpause gezwungen wurde und vor Allem arabische Politiker den
weltweiten Schock versuchten, durch einen auferzwungenen Waffenstillstand
der Hisbollah einen Sieg zu bescheren.
Recherchen der dpa, die diesem Korrespondenten schriftlich mitgeteilt
wurden, ergaben, dass das Hospital in Tyros ohne jegliche Erklärung die Zahl
der eingelieferten Toten aus Kana über Nacht von 56 auf 28 reduzierte. Über
eine wundersame Auferstehung von den Toten wurde aber nichts berichtet. |