Vor den Wahlen:
Wien bleibt Wien
In vier Wochen wird in Österreich gewählt.
Von Proteststimmung gegen das rechtskonservative Regierungsbündnis ist
inzwischen nichts mehr zu spüren.
Von Jens Kastner, Wien
Jungle World
35 v. 30.08.2006
"Was ist heute normal?" Dieser Frage widmet die
Zeitschrift Malmoe ihre Sommerausgabe. Diskutiert wird darüber, wie sich
Österreich nach sechs Jahren konservativer Regierung verändert hat. Ein
interessantes Thema, denn die konservative Hegemonie ist in Österreich
längst normal geworden. Von den Protesten beim Amtsantritt von Bundeskanzler
Wolfgang Schüssel im Jahr 2000 – in deren Rahmen auch die linke
Kulturzeitschrift Malmoe gegründet wurde – ist heute nichts mehr zu spüren.
Damals hat die konservative Volkspartei als drittstärkste Parlamentsfraktion
den Bundeskanzler gestellt und gemeinsam mit der rechtspopulistischen FPÖ
die Regierung gebildet.
Am 1. Oktober wird in Österreich das Parlament neu gewählt. Für die
Regierenden sind die Aussichten gut. Während sich der Vorsitzende der SPÖ,
Alfred Gusenbauer, bei Wanderungen durch das Land seit Wochen besonders
volksnah gibt, haben die Grünen mit der Forderung, die lebenslange
Haftstrafe aus Kostengründen abzuschaffen, für einigen Gesprächsstoff
gesorgt. Von Aufbruchstimmung jedoch keine Spur. Wenig deutet darauf hin,
dass sich durch diese Wahl die Mehrheitsverhältnisse in Österreich ändern
werden.
Die gegenwärtige Regierung ist jedoch alles andere als stabil. Denn dass das
Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), das sich im Frühjahr 2005 auf Betreiben
Jörg Haiders von der FPÖ abgespalten hat, es erneut ins Parlament schafft,
ist keineswegs sicher. Während Haider (BZÖ) im Hinblick auf ein mögliches
Scheitern an der Vierprozenthürde eine Wiedervereinigung der Rechten nicht
ausschließt, wollen seine Gegner von der FPÖ davon nichts wissen. Schon zu
Beginn des Wahlkampfes präsentiert sich die Rechte zerstritten: Wer
letztlich die Bezeichnung "Die Freiheitlichen" verwenden darf (die "wahren"
Freiheitlichen der FPÖ oder das BZÖ), wird voraussichtlich vor Gericht
entschieden, ebenso wie das Anrecht auf den Listenplatz drei, den beide
Parteien für sich beanspruchen.
Sowohl FPÖ als auch BZÖ versuchen, sich mit dem Thema der Einwanderung zu
profilieren. In seinem Wahlwerbespot droht der Spitzenkandidat des BZÖ,
Peter Westenthaler: "In den nächsten drei Jahren wollen wir 30 Prozent
weniger Ausländer in Österreich haben." Und er lobt seine Partei, weil sie
gemeinsam mit der ÖVP Verschärfungen im Asylgesetz, Aufenthalts- und
Staatsbürgerschaftsrecht bereits durchgesetzt hat. Auch Heinz Christian
Strache, der Parteivorsitzende der FPÖ, fordert einen "Zuwanderungsstopp".
Mit rassistischen Slogans wie "Deutsch statt nix verstehen" und "Wien darf
nicht Istanbul werden" hatte Strache in Wien bereits im vergangenen Herbst
über 15 Prozent der Stimmen bekommen. Das BZÖ kam in der Hauptstadt, die mit
etwa 1,6 Millionen EinwohnerInnen auch das bevölkerungsreichste Bundesland
ist, nur knapp über ein Prozent.
Während beide rechte Parteien im Wahlkampf die Parole "Österreich zuerst"
benutzen, heißt es bei den Sozialdemokraten (SPÖ): "Österreich verdient eine
bessere Zukunft." Es besteht wenig Hoffnung, dass damit auch die Zukunft von
Migrantinnen und Migranten gemeint ist. Die SPÖ, die die
Fremdenrechtsnovelle 2005 mit beschlossen hat, versucht, mit Themen wie
Wirtschaft, Rente, Gesundheit und Bildung Sympathien zu gewinnen. Seit dem
Skandal um die geheim gehaltenen Milliardenverluste der Bank Bawag im
Frühling liegt die Partei erstmals seit zwei Jahren in den Umfragen wieder
hinter den Konservativen. Die Bank, die nun verkauft werden soll, gehört
noch dem der SPÖ nahe stehenden Österreichischen Gewerkschaftsbund.
Die Grünen verfügen zwar mit Alexander van der Bellen über den Kandidaten,
der Umfragen zufolge das größte Vertrauen in der Bevölkerung genießt. Worauf
es sich allerdings gründet, ist fraglich. Denn zu einer klaren
Koalitionsaussage lassen sich grüne Spitzenpolitiker nicht hinreißen. Wie
die SPÖ schließen die Grünen eine Koalition mit der ÖVP nicht aus. Und auch
in Sachen Migration haben die Grünen mit ihrer Idee eines "Punktesystems zur
Steuerung der Erwerbsmigration" nicht gerade linke Akzente gesetzt. Die
Grünalternative Jugend Wien kritisierte die Pläne der Partei daher als
"unmenschlich" und mit Grundwerten wie Solidarität und Selbstbestimmung
unvereinbar.
Die Orte, an denen MigrantInnen und andere Minderheiten nicht nur als
Objekte behandelt werden, sind rar. In Wien demonstriert beispielsweise die
Initiative "Ehe ohne Grenzen" wöchentlich gegen die Auswirkungen des im
Januar 2006 in Kraft getretenen Ausländergesetzes und gegen die
Kriminalisierung von binationalen Ehen. In Organisationen wie diesen sind
auch die Überreste jener zivilgesellschaftlichen Proteste des Jahres 2000 zu
suchen, denen der Soziologe Pierre Bourdieu es damals zutraute, sie könnten
die "Vorhut" einer "europäischen Sozialbewegung" werden.
Zu denen, die noch aktiv sind, gehört auch der Kulturrat Österreich. Der
Zusammenschluss von Kunst-, Kultur- und Medienschaffenden warnt vor einer
Zerstörung der "demokratischen Grundlagen Österreichs" nach sechs Jahren
Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel. Mit einer Veranstaltungsoffensive
zu kulturellen und migrationspolitischen Themen will der Kulturrat eine
"Repolitisierung der Politik" bewirken und damit zu "einem Ende dieser Ära"
beitragen, heißt es in der Vorankündigung im Internet.
Zu einem "Linksruck in Österreich", vor dem das BZÖ warnt, wird es jedoch
nach aller Wahrscheinlichkeit nicht kommen. In der Diskussion um die rund 40
000 Menschen aus osteuropäischen Ländern, die Pflegearbeit leisten und sich
meist "illegal" in Österreich aufhalten, konnten zwar auch die Rechten im
Wahlkampf nicht direkt deren Ausweisung fordern. Die Forderung nach
"genereller Legalisierung" der Pflegekräfte, die selbst von den Grünen
aufgestellt wurde, ging allerdings nahezu völlig unter. Auch die KPÖ war bei
diesem Thema mit ihrem Slogan "Helfen statt Strafen" nicht erfolgreich.
Die KPÖ, die seit den fünfziger Jahren nicht mehr im Nationalrat ist, hat
mit Kurt Palm einen bekannten Intellektuellen auf ihrer Liste und mit Ernest
Kaltenegger in Graz einen erfolgreichen Lokalpolitiker. Allerdings geriet
sie im Jahr 2004 durch den Verkauf des ehemals besetzten
Ernst-Kirchweger-Hauses an einen Neonazi in der radikalen Linken in
Misskredit. Mit 39 Prozent der Stimmen, die den Konservativen vorausgesagt
werden, scheinen sie schon jetzt als Gewinner der sechsjährigen
Regierungszeit mit den Rechten festzustehen. Die Kommunistische Partei
taucht in den Umfragen gar nicht erst auf.
hagalil.com 31-08-2006 |