
Unangenehme Wahrheiten:
Wir sollten den Sieg erklären und Gespräche
beginnen
Von Ze'ev
Sternhell, Haaretz, 28.07.2006
Es ist eine weit verbreitete Annahme,
dass ein Israeli, der nach Hause zurückkehrt – und sei es auch nur nach
kurzer Zeit – das Gefühl hat, er käme in ein anderes Land. Tatsächlich ist
aber das Gegenteil der Fall: Er kehrt zurück zur selben Situation, zu den
gleichen Problemen, den gleichen Denkmustern und im Großen und Ganzen auch
zu den gleichen Lösungen.
Offensichtlich haben wir nicht ein
bisschen aus dem ersten Libanon-Krieg oder aus dem Scheitern der Amerikaner
im Irak gelernt. Wenn die Definition der strategischen Ziele Israels, die
der Chef des Militärgeheimdienstes Anfang dieser Woche bekannt gegeben hat,
so auch die Ziele der Regierung widerspiegeln, dann haben wir eine großes
Problem.
Wenn sich Israel wirklich auf diesen
Krieg eingelassen hat, um die libanesische Regierung dazu zu zwingen, dass
sie ihre Macht im von der Hizbollah
kontrollierten Süden durchsetzt – mit anderen Worten: um die libanesische
Regierung zu einem Bürgerkrieg im Dienste Israels zu drängen – dann heißt
das, dass Israel von einem Denken beherrscht wird, das noch primitiver ist
als jenes Denken, das Ariel Sharon vor knapp einem Vierteljahrhundert nach
Beirut führte.
Aber diesmal haben wir das Problem noch
schlimmer gemacht: Am Beginn der dritten Woche der Kämpfe scheint der Krieg
trotz aller Entschlossenheit und Einsatzbereitschaft der angreifenden
Soldaten gerade erst anzufangen. Deshalb sollten wir einen Waffenstillstand
erreichen bevor der Krieg außer Kontrolle gerät, sinnlose Opfer fordert und
womöglich in einem strategischen Fehlschlag endet. In etwas fernerer Zukunft
muss es eine fundamentale Strukturreform in der israelischen Regierung
geben. Außerdem muss untersucht werden, wie stark die Regierung vom
Generalstab der israelischen Armee abhängig ist. Es ist nicht angenehm,
diese Wahrheiten zum jetzigen Zeitpunkt auszusprechen, aber das ist die
Wahrheit und wir müssen uns ihr stellen.
Wenn man die Mittel betrachtet, die die
Israelische Armee einsetzt, oder das Denken der Truppen im Kampfgebiet, dann
wird klar, dass am Ende der Kämpfe nur eine Zerschlagung der
Hizbollah als militärischer Kraft stehen kann.
Alles geringere würde als Versagen Israels und
als großer Erfolg des Feindes aufgefasst werden. Da es aber unmöglich ist,
die Hizbollah aus der Mitte der schiitischen
Bevölkerung auszuheben, ohne dabei die Bevölkerung selbst zu vernichten,
sollten wir so weise sein und uns keine Ziele setzen, die unerreichbar sind.
Das Großmächte unfähig sind, einen
Guerillakrieg zu beenden, ist kein neues Phänomen: Von Napoleon in Spanien
angefangen, über seine Nachfolger in Algerien bis zu den Amerikanern in
Vietnam und jetzt im Irak haben gut organisierte, mit modernster Technologie
ausgerüstete Armeen immer wieder versagt, wenn es darum ging
Guerillaeinheiten zu bekämpfen. Letztere wissen sich an ihre Umgebung
anzupassen, sie sind ein untrennbarer Teil der Bevölkerung und kümmern sich
um deren materielle, religiöse und emotionale Bedürfnisse.
Wenn es zum Kampf kommt, ziehen die
Guerillagruppen die gesamte Bevölkerung mit hinein. Wenn jeder ein Opfer
ist, dann richtet sich der Hass sehr viel stärker auf den Feind. Deshalb ist
es kurzsichtig, Wohnviertel, Kraftwerke, Brücken und Straßen zu
bombardieren, denn damit spielt man der Hizbollah
in die Hände und arbeitet für ihre strategischen Ziele: Ein Angriff auf alle
Bereiche des Lebens schafft ein gemeinsames Schicksal von Kämpfern und
Bevölkerung. Hinzu kommt, dass die Bevölkerung sich je mehr sie leidet immer
weiter von den eigentlichen staatlichen Institutionen entfernt – von der
Regierung, vom Parlament und von der verschiedenen Sicherheitskräften – weil
diese den Menschen nicht helfen können.
Es ist eine Illusion, dass 700 000
libanesische Flüchtlinge ihren Zorn gegen ihre Regierung richten könnten
oder dass diejenigen, die in den umkämpften Gebieten geblieben sind, die
Hizbollah aus ihrer Mitte vertreiben würden. In
den Augen der Bevölkerung trägt allein Israel die Verantwortung für die
Katastrophe und es wäre Landesverrat, nicht mit jedem zu kooperieren, der
gegen Israel kämpft. Es war blauäugig anzunehmen, dass die politische Elite
des Libanon die Hizbollah konfrontieren oder mit
Gewalt gegen sie vorgehen würde. Überhaupt, wer hätte denn die Macht dazu
gehabt? Die libanesische Armee, deren Stationen auch bombardiert werden?
Israels Interesse muss deshalb in einer
Isolation der Hizbollah liegen, mit einem
möglichst harten Schlag gegen ihre Lager und Stützpunkte, aber ohne die
Infrastruktur oder das Leben der Bevölkerung zu zerstören, selbst wenn die
Kämpfer in der Bevölkerung Schutz finden. Das hat nichts mit militärischer
Ethik zu tun, sondern mit kühlen, praktischen Überlegungen.
Das Ziel des Krieges ist es, die
Hizbollah zurückzudrängen, keiner macht sich
mehr Illusionen darüber, dass man sie zerschlagen könnte. Momentan sie es so
aus als könnte es Israel im besten Fall gelingen, die
Hizbollah hinter die Grenze zurückzudrängen. Dort, hinter dem Rücken
einer internationalen Sicherheitstruppe, die in der arabischen Welt mit
Sicherheit als Beschützer Israels angesehen werden würde, könnte sich die
Hizbollah neu organisieren, trainieren, neue,
modernere Waffen kaufen und sich auf die nächste runde vorbereiten.
Es gibt keine militärische Lösung für
diese Situation. Der Generalstabschef der israelischen Armee, Dan
Halutz, hat bereits angedeutet, dass eine
politische Lösung gefunden werden muss. Der Premierminister, der
letztendlich für alles die Verantwortung trägt und auch einmal Rechenschaft
wird ablegen müssen, sollte sich lieber nicht hinter demjenigen verkriechen,
der ihn im Zweifelsfall mit seinen Problemen im Regen stehen lassen wird.
Noch eine Anmerkung zum Preis der
amerikanischen Unterstützung: Mitunter scheint es als ob George W. Bush es
gern sähe, wenn Israel einerseits den Libanon zerstören und andererseits
selbst schmerzliche Verluste erleiden würde. Dadurch würde ihm Israel ein
wunderbares Alibi für seinen Krieg im Irak geben: Der Kampf gegen den Terror
ist global, der Blutzoll ist überall der gleiche, Mittel und Methoden sind
identisch und bis zum Sieg braucht man einen langen Atem. Der israelische
Diener unterstützt seinen Herrn hier mit nicht weniger als dem, was ihm von
seinem Herrn zurückgegeben wird.
Zeev Sternhell ist emeritierter Professor für
Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem und lebt in
Tel Aviv. Er veröffentlichte unter anderem: "Maurice Barrès et le
nationalisme français" (1972) "Ni droite, ni gauche. L´idéologie
fasciste en France" (1983), "Naissance de l'idéologie fasciste"
(1989, deutsch: "Die
Entstehung der faschistischen Ideologie", Hamburg 1999). Im
Verbrecher Verlag erschien "Faschistische
Ideologie - Eine Einführung".
hagalil.com 02-08-2006 |