Goldenen Mittelweg gesucht:
Im Dienste der Propagandamaschine
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
"Nichts ist besser als der eigene Augenschein." Doch was tun, wenn
Kampfzonen zum "militärischen Sperrgebiet" erklärt werden und man sie nur
"eingebettet" mit Schutzjacke und Helm in einem israelischen Panzer
besichtigen kann? Was tun, wenn das ausgebombte Beiruter Schiitenviertel
Haret Hreik, einst Hauptquartier der Hisbollah, bis heute nur mit
Sondergenehmigung und Begleitung besucht werden darf.
Völlig außer Atem berichtete kürzlich ein CNN Reporter aus Haret Hreik. Der
Hisbollah-Sprecher führte persönlich den Amerikaner. Im Dauerlauf ging es
durch Trümmer. Der Kameramann schwankte hinterher. Die verwackelten Bilder
der Trümmerlandschaft waren beeindruckend. Und während des Rennens erhielt
der Kameramann Anweisungen, jetzt nicht nach links oder rechts zu schwenken.
Die Zuschauer sollten nur das sehen, was sie sehen durften. Was bei dieser
Jogging-Tour zensiert wurde, hat der Reporter nicht verraten.
Drei Wochen lang waren die Kampfzonen Maroun el Ras und Bint Dschbail sogar
für israelische Militärreporter verschlossen. Und als dann Kameraleute
mitfahren durften, gab es nur grünliche Nachtbilder aus dem Innern eines
Panzerfahrzeugs. Erst nach Abschluss der Kämpfe, angeblich mit schweren
Verlusten für beide Seiten, gelang es Journalisten mit Sondergenehmigung der
Hisbollah, beide Dörfer zu besichtigen: zwei frisch zerstörte Geisterstädte
mit betäubendem Verwesungsgestank. Nahaufnahmen von Trümmern, kaputten Autos
und herrenlos streunenden Eseln ermöglichten keine Gesamtübersicht.
Das weltweite Fernsehpublikum lässt sich leicht erschüttern von grausigen
Bildern, die bei arabischen Sendern unzensiert, mit Großaufnahmen von Toten
und blutenden Wunden über die Mattscheibe flimmern. Niemand bezweifelt die
Zahl von 55 bis 67 Toten in Kana, obgleich das internationale Rote Kreuz bis
zur Stunde nur von 28 Toten weiß. Es gibt da noch andere Ungereimtheiten. So
behauptete Israel, dieses Haus um Mitternacht bombardiert zu haben, aber
erst am Morgen gegen 7:30 Uhr gab es die mysteriöse Explosion mit den
fatalen Folgen. Noch ist das "Massaker von Kana" nicht aufgeklärt. Aber die
Hisbollah erreichte die gewünschte Wirkung. Vor allem europäische Politiker
wollen wegen Kana einen sofortigen Waffenstillstand erzwingen. Das
entspräche einem Sieg der Hisbollah und einer Niederlage Israels.
In Kriegszeiten ist es für Berichterstatter schwierig, einen goldenen
Mittelweg zwischen Propaganda und Wahrheit zu finden, zwischen gezielter
Desinformation, Durchhalteparolen der Politiker, Geheimnistuerei der
Militärs und überforderten schweigsamen Sprechern. Zudem kann die
Wirklichkeit unterschiedlich interpretiert werden.
Israel sagte zweimal Pressefahrten zu Zerstörungen durch Katjuscharaketen
der Hisbollah ab. Das Presseamt wollte nicht die 990 zerstörten Häuser
verstecken. Jeder kann auf eigene Faust und eigenes Risiko nach Naharija,
Nazareth, Safed oder Tiberias fahren. Vielmehr entspricht es israelischer
Mentalität, Schäden schnellstmöglich zu beheben oder wegzuräumen. "Wir
lassen und durch die Hisbollah nicht kaputt machen und tanzen weiter", sagte
ein Israeli.
Im Libanon sind Flüchtlingsszenen, Tod und Zerstörung auch eine
propagandistische Botschaft. In Beirut und anderswo im Libanon werden keine
israelischen Bomben befürchtet. Aber das passt nicht ins
"politisch-korrekte" Bild. Und wen interessieren die Toten und Verletzten in
Israel, Zerstörung und eine Million Flüchtlinge, die im Süden Zuflucht
gefunden haben? Denn nirgendwo in Nord-Israel ist man seines Lebens sicher. |