Rechtfertigung:
Hassan Nasrallah gesteht Fehler ein
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah gesteht einen schweren Fehler ein: "Hätte
ich gewusst, dass Israel so auf die Entführung von zwei Soldaten reagiert,
hätte ich sie nicht entführt." Sichtlich angeschlagen gab er am Sonntag sein
erstes Interview seit Kriegsende dem unabhängigen libanesischen New-TV. "Wir
werden auf die zionistischen Provokationen nicht reagieren. Es wird keine
weitere Waffenrunde geben", sagte er der schwarz verhüllten Interviewerin.
Nasralla, von seinen Anhängern als "herzensguter und
liebenswürdiger Mann" beschrieben, von Israelis als "einziger arabischer
Politiker, der sein Wort hält" geachtet und von Analytikern als "geschickter
Taktiker, begnadeter Politiker und Stratege" beschrieben, muss sich
gleichwohl für die Fehlentscheidung rechtfertigen. Zwischen 843 und 1300
Tote hat der Krieg dem Libanon gekostet, je nach Quelle. Mutmaßlich 500 von
Israelis getötete Kämpfer der Hisbollah werden verschwiegen. Etwa 15 Brücken
haben die Israelis zerstört. Französische Pioniere wollen sie jetzt flicken.
Außerhalb der Stadt Beirut wurden die Viertel Hrat Hreik und Dahjah, einst
Hisbollah Hochburgen, von bunkerbrechenden Bomben in Schutt und Asche
gelegt. Ein westlicher Journalist bemerkte, dass in Dahjah allein die
Moschee unversehrt stehe. "Die Israelis scheinen ziemlich genau gezielt zu
haben", sagte er zu seiner Hisbollah-Führerin. Die reagierte irritiert und
empfand die Bemerkung als geschmacklos.
Beiderseits scheinen die Waffen ziemlich uneffektiv eingesetzt worden zu
sein, wenn allein die Zahl der Toten Kriterium sind. Mit 3970 Raketen auf
israelische Städte hat die Hisbollah "nur" 39 israelische Zivilisten
getötet, fast 100 Raketen für einen Toten. Mit über 15.000 Luftangriffen
tötete Israel "nur" etwa 1000 Libanesen, also 15 Luftangriffe mit dutzenden
Tonnen Sprengstoff für einen toten Libanesen.
Erhebliche Schäden bereitete die israelische Armee in den schiitischen
Dörfern im Südlibanon. Da lieferten sich Hisbollahkämpfer "mit modernsten
Waffen, bestens trainiert, höchstprofessionell und mit tödlicher Taktik" den
nur noch wenig kriegsgeübten israelischen Soldaten "heldenhafte Kämpfe",
erzählt ein von der Front zurückgekehrter Israeli mit deutlicher
Hochachtung, "auch wenn wir am Ende mehr von ihnen getötet und die Schlacht
gewonnen haben".
Nasrallah muss sich rechtfertigen, auch wenn die meisten Toten Schiiten
waren und an den Märtyrertod glauben. "Immer wieder hörte ich von Müttern
oder Vätern, die stolz auf ihre toten Söhne waren, weil sie doch Schahid
(Märtyrer) geworden sind. Da gibt es offenbar eine für uns Europäer
unnachvollziehbare Mentalität", meint ein Reporter, der gerade aus Libanon
zurückgekehrt ist. Der Spruch: "Wie wir den Tod lieben, so lieben die Juden
das Leben", ist nicht nur bei Palästinensern weiter verbreitet, als man sich
in Europa vorstellen kann.
Nasrallah gesteht, den Krieg provoziert und ausgelöst zu haben. Nur hat er
nicht mit einer derart heftigen Reaktion gerechnet. In den vergangen 6
Jahren seit dem von Premierminister Ehud Barak angekündigten und
panikartigen Rückzug aus Südlibanon Rückzug, hatte die Hisbollah drei
Soldaten gekidnappt und ermordet, mindestens zwölf Israelis bei
Raketenangriffen getötet und regelmäßig Israel beschossen. Doch Israel
reagierte immer "mäßig", mit Bomben auf Hisbollahstellungen und auch mal mit
der Zerstörung von Kraftwerken bei Beirut. Anstelle der berechneten
dreitägigen Bombardements, so Nasrallah, habe Israel die Landebahnen der
Flughäfen mit tiefen Kratern versehen, Brücken und Straßen zerstört, die
ehemalige "Sicherheitszone" zurückerobert und den Libanon "zwanzig Jahre
zurückgebombt".
Knallrote Spruchbänder verkünden zwischen den Trümmern der Schiitenviertel
einen "himmlischen Sieg". Hunderte Millionen hat die Hisbollah in ihre
"Erklärungspropaganda" gesteckt, schreibt Ron Ben Ischai, Veteran unter
Israels Kriegsreportern. Mit seinem deutschen Pass besuchte er Beirut und
sprach mit Hisbollah-Aktivisten. Mitarbeiter der Hisbollah teilen 12.000
Dollar an jeden aus, der seine Wohnung verloren hat. Das Geld wird in bar
ausgehändigt. Es muss in Koffern über die Grenze von Syrien geschmuggelt
worden sein. Libanesische Bankchefs wissen nichts von Millionenbeträgen, die
aus Teheran überwiesen worden wären. Die unbürokratische Wiedergutmachung
der Hisbollah für erlittene Schäden stellt nicht alle Libanesen zufrieden,
obgleich sie schneller kam, als jegliche Hilfe der libanesischen Regierung.
Nasrallah, gleichbedeutend mit "Sieger Allahs", wird in der arabischen Welt
als Nasser oder Saladin gefeiert, weil seine hochgerüstete Organisation der
stärksten Militärmacht des Nahen Ostens einen Monat lang widerstand
leistete, ohne geschlagen zu werden. Doch der horrende Preis, den Libanon
wegen Nasrallahs Fehleinschätzung bezahlen muss, wird sich erst noch
erweisen. Die Tourismusindustrie erhielt einen tödlichen Schlag und auch der
Ruf des Zedernlandes, Investitionsparadies zu sein.
Ministerpräsident Ehud Olmert redet von einem "Wandel der politischen
Verhältnisse". Vor zwei Monaten hätte niemand geträumt, dass Libanons Armee
nach dreißig Jahren wieder zur Grenze vorrücken würde. International wird
eine Entwaffnung der Hisbollah diskutiert.
Und während Nasrallah beklagt, die israelische Reaktion falsch eingeschätzt
zu haben, gehen in Israel die Proteste gegen die Regierung weiter. Weiterhin
glaubt Israels Mehrheit, dass der Krieg "gerecht" war. Er sei nur viel zu
lasch geführt worden. Anstatt die Hisbollah vernichtend zu schlagen, hätten
Regierung und Militärführung gezögert, keine klare Linie gezeigt und mit
"Zick-Zack-Kurs" ein "Unentschieden" herbeigeführt. Im Libanon mag Nasrallah
in Erklärungsnot geraten sein, in Israel geraten führende Politiker und
Militärs unter zunehmenden Beschuss unzufriedener Bürger und Reservisten. |