Landtagswahlen in
Deutschland:
Braune Überraschungen im Herbst?
Am 17. September
finden in Deutschland zwei Landtagswahlen statt – in Mecklenburg-Vorpommern
und in der Bundeshauptstadt Berlin. Die Urnengänge gelten als wichtiger
Stimmungstest für die Bundesregierung. Aber mit größter Spannung dürfte das
Abschneiden der neonazistischen NPD erwartet werden.
Von
Jörg Fischer
Die Strategen im Hauptquartier der Nazi-Partei konzentrieren einen
Großteil der logistischen, organisatorischen und vor allem finanziellen
Kräfte der NPD auf den Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern. Und das hat
Gründe: Zwischen Elbe und Ostseestrand ist die rechtsextreme Partei
verankert, hier sitzt sie vor allem im Ostteil des Bundeslandes in
zahlreichen Kommunalparlamenten, arbeitet in örtlichen Bürgerinitiativen
mit, verfügt über eine nahezu flächendeckend funktionierende Infrastruktur.
Viele NPD-Kandidaten sind in ihren Gemeinden fest im öffentlichen Leben
integriert, werden von ihren Nachbarn geachtet. Mit Freizeitangeboten und
Beratungshilfen etwa im Umgang mit Arbeits- und Sozialämtern präsentieren
sich die NPD-Kader als "nette Nazis von nebenan", die sich vermeintlich "um
die Sorgen und Nöte ihrer Mitbürger", natürlich nur der "deutschen",
"kümmern".
Insbesondere die Jugendarbeit der NPD ist in Mecklenburg-Vorpommern ein
mittel- und langfristig angelegtes Projekt, das die Partei schon seit Jahren
mit hoher Intensität betreibt. Nicht ohne Folgen. Die 14-, 15-, 16-jährigen,
die die Partei vor Jahren schon zu bearbeiten begann, sind heute
Wahlberechtigte. Glaubt man den Beobachtern, so herrscht heute in
Mecklenburg-Vorpommern eine ähnliche Situation wie 2004 in Sachsen, wo die
NPD mit 9,2 Prozent erstmals seit 1968 wieder in ein Landesparlament einzog,
vor: Die Neonazis sind fest im "Wurzelgrund der Gesellschaft" verankert.
Daneben droht dem nordöstlichen Bundesland eine Materialschlacht der braunen
Partei. Experten rechnen damit, das die NPD etwa 1 Million Euro in ihren
Wahlkampf stecken wird.
Die Rechnung der Neonazis könnte gut aufgehen. Seit Monaten sehen
Meinungsforscher die NPD in Umfragen konstant bei 4 Prozent. Dazu ist
freilich anzumerken: Viele NPD-Wähler offenbaren bei Meinungsumfragen den
Demoskopen ihre Absicht nicht, und der Wahlkampf der NPD wird wieder darauf
abzielen, gerade in der letzten Woche des Wahlkampfes, "Proteststimmen" für
sich zu mobilisieren. Tatsächlich halten Verfassungsschützer,
Meinungsforscher und Politologen einen Einzug der NPD in den Landtag für
"nicht unwahrscheinlich". Am Wahlabend dürfte sich dann – wieder einmal –
rächen, dass man der Bekämpfung von Rechtsextremismus zu oft erst dann
Aufmerksamkeit schenkt, wenn das Kind in den Brunnen gefallen, also die
Nazis im Parlament gelandet sind.
Besorgnis erregend sind auch die Meldungen aus Berlin. Zwar verzeichneten
hier die Meinungsforscher in der letzten Umfrage einen Rückgang des Wertes
für NPD und "Republikaner" von bislang zusammen 4 Prozent auf 2 Prozent.
Allerdings sind gerade in Ballungszentren Umfragen immer sehr ungenau und
Wahlverhalten noch schwerer voraus zu sagen, als etwa in Flächenländern.
Nahe zu alle Meinungsforscher sahen in den letzten Monaten NPD und
"Republikaner" stabil bei insgesamt 4 Prozent, wobei die "Republikaner" mit
"deutlich unter 1 Prozent" eingestuft wurden. Selbst wenn es eher
unwahrscheinlich ist, das die NPD in das Abgeordnetenhaus, dem Berliner
Landesparlament, einzieht, so wäre eine 3 vor dem Komma in einer Großstadt
für die NPD zumindest ein durchaus nennenswerter Achtungserfolg. Vor allem
weil in Berlin zeitgleich die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen
(BVV) stattfinden, hier gilt eine 3-Prozent-Hürde und ein auf 16 Jahre
gesenktes Wahlalter. Prognosen folgend hat die NPD in Berlin durchaus
Chancen in zwei Ost- und in eine Westberliner BVV einzuziehen.
In Berlin hat sich die NPD in ihrem Wahlkampf auch schon auf den seit der
Fußball-WM herrschenden Deutschland-Hype eingestellt. Verschwunden sind
schwarz-weiß-rote Symbole von ihren Plakaten, statt dessen hat sie wieder
das in schwarz-rot-gold gehaltene "Herz für Deutschland" aus den 80er Jahren
aus ihrer Parteirumpelkammer herausgekramt. Daneben bemühen sich NPD-Kader
im Berliner Stadtteil Pankow-Heimersdorf, den rassistisch motivierten
Protest der dortigen "deutschen Volksgemeinschaft" gegen den geplanten Bau
einer Moschee für sich zu nutzen, wobei ihnen allerdings die dortige
örtliche CDU bei diesem Unterfangen massive Konkurrenz macht und faktisch in
das gleiche Horn zum Zwecke der Wählermobilisierung bläst.
Einen weiteren Anknüpfungspunkt, neben der sozialen Demagogie, sehen die
NPD-Strategen im Berliner Wahlkampf im anknüpfen an die sogenannten
"Friedensdemonstrationen", die tatsächlich in Ausrichtung und Stil eher
antisemitische und antiisraelische Manifestationen sind. Dieser Umstand, und
das ist auch den NPD-Strategen klar, führt dazu, das sie immer stärker aus
ihrer gesellschaftlichen Isolation herauskommen und auch die Hemmschwelle,
NPD zu wählen, sinkt. Das auch vermeintlich "linke" Gruppen sich an solchen
Demonstrationen beteiligen und Inhalte verbreiten, die zumindest
anschlußfähig sind und Antisemitismen bedienen, verstärken solche
Entwicklungen und lösen bei den strategischen Denkern der Rechtsextremisten
unverhohlene Begeisterung aus. Gleiches gilt, wenn sogenannte "Politiker der
Mitte" mit mehr oder minder eindeutigen Zweideutigkeiten im Themenfeld
Einwanderung versuchen, im Trüben zu fischen.
Denn eines ist klar: Wer versucht, mit Kampagnen gegen Minderheiten
Mehrheiten zu organisieren, stärkt die Rechtsextremen. Deshalb wird es in
beiden Bundesländern, in denen die Wahltermine vor der Tür stehen, auch
kurzfristig wichtig sein, nicht nur die Organisationen der Nazis zu
isolieren, sondern auch deren Propaganda und Ideologiefragmente. |