David Grossman:
"Am Grab meines Sohnes"
David Grossmann, einer der bedeutendsten israelischen Schriftsteller der
Gegenwart, hat zwei Tage vor dem Ende des Krieges gegen die Hisbollah seinen
20-jährigen Sohn verloren. Die Wochenzeitung "Die Zeit" dokumentiert in
ihrer neuesten Ausgabe eine leicht gekürzte Fassung der Trauerrede, die der
Schriftsteller am Grab seines Sohnes hielt.
Am 12. August wurde sein Sohn Uri im Südlibanon getötet, als sein Panzer von
einer Panzerabwehrrakete getroffen wurde und die Drei-Mann-Besatzung
verbrannte. Zwei Wochen später wäre Uri 21 geworden. Nur drei Tage zuvor
hatte David Grossmann öffentlich ein Ende der
Kämpfe zwischen Israel und der Hisbollah gefordert. Am 15. August
wurde Uri auf dem Militärfriedhof auf dem Herzl-Berg in Jerusalem beerdigt.
Am selben Tag wurden sieben weitere israelische Soldaten zu Grabe getragen.
"Mein lieber Uri, schon drei Tage lang beginnen fast alle meine Gedanken mit
Nein. Nein, er wird nicht kommen, wir werden nicht reden, werden nicht
lachen." So beginnt die Rede Grossmanns. Er beschreibt seinen Sohn als
"Jungen mit einem ironischen Blick" und einem "irren Humor", der "weit über
seine Jahre gereift" sei. "Nein, sie sind nicht mehr, Uris unendliche
Zärtlichkeit und die Ruhe, mit der er jeden Sturm ausglich. Und nein, wir
werden nicht mehr gemeinsam die 'Simpsons' und 'Seinfield' mit Dir gucken,
nicht mehr Johnny Cash mit dir hören."
Alle hätten von Uri sein "ganzes kurzes Leben lang" gelernt, "von deiner
Kraft und Entschlossenheit, deinen eigenen Weg zu gehen". Uri sei "der
Linke" in seinem Bataillon gewesen, der seine Meinung vertrat, "ohne seine
militärischen Aufgaben im Geringsten zu vernachlässigen".
Uri habe eine spezielle "Kontrollpostenpolitik" gehabt, erzählt sein Vater:
"Du sagtest, wenn in dem Wagen, den du stopptest, ein Kind sitzt, versuchst
du immer erst, es zu beruhigen und zum Lachen zu bringen. Und du denkst
immer daran, dass dieses Kind ungefähr in Ruthis (seiner Schwester d.R.)
Alter ist."
Grossmann betonte, dass er an dieser Stelle nichts zu dem Krieg sagen
wollte. "Wir, unsere Familie, haben diesen Krieg schon verloren. Der Staat
Israel wird nun seine eigene Bilanz halten." Die Liebe, die die Familie nach
dem Tod Uris erfahre, sei "vielleicht unsere ureigenste nationale Ressource.
Das ist unser großer menschlicher Naturschatz. Möge es uns gelingen, etwas
sanfter miteinander umzugehen. Mögen wir es fertig bringen, uns jetzt,
wahrlich in letzter Minute, zu retten, denn es stehen uns noch schwere
Zeiten bevor."
"Uri war ein sehr israelisches Kind. Sogar sein Name ist so israelisch
und so hebräisch. Er war die Quintessenz des Israeliseins, wie ich es gern
sehen würde. Das beinah vergessen ist. Das manchmal fast als Kuriosum gilt.
Oft habe ich ihn mir angeschaut und gedacht, er ist eigentlich ein etwas
anachronistisches Kind. Er und auch Jonathan und auch Ruthi. Solche
Fünfziger-Jahre-Kinder.
Uri mit seiner absoluten Redlichkeit und seinem Verantwortungsbewusstsein
für alles, was um ihn her vorging. Uri, der immer zur Stelle war. Auf den
man sich in allem verlassen konnte. Uri mit seiner tiefen Empfindsamkeit für
alles Leid, alles Unrecht. Und mit seiner Barmherzigkeit. Ein Wort, bei dem
ich – wann immer ich es dachte – an ihn dachte.
Und er war ein idealistischer Mensch. Dieses Wort ist in den letzten Jahren
abgewertet, sogar lächerlich gemacht worden. In unserer zerrissenen und
grausamen und zynischen Welt ist es nicht »cool«, idealistisch zu sein. Oder
ein Humanist. Oder wirklich sensibel zu sein für die Not des Anderen, auch
wenn der Andere ein Feind auf dem Schlachtfeld ist.
Grossman habe von seinem Sohn gelernt: "Wir müssen tatsächlich 'für unser
Leben eintreten', aber in der zweifachen Bedeutung des hebräischen Wortes -
für Leben und Seele eintreten: Wir müssen unser Leben verteidigen, aber auch
unsere lebendige Seele bewahren, sie hartnäckig gegen die Verlockung der
Macht und des einseitigen Denkens schützen, gegen den schädlichen Einfluss
des Zynismus. Gegen die Grobheit des Herzens und die Geringschätzung des
Menschen. Denn diese sind der wahre Fluch derer, die ihr ganzes Leben in
einer Katastrophenregion wie unserer verbringen."
..."in der Nacht von Samstag auf Sonntag, um zwanzig vor drei, klingelte
es an unserer Haustür. An der Sprechanlage sagten sie: »Wir kommen vom
Standortältesten«, und ich ging aufmachen und dachte mir: Das war’s, das
Leben ist zu Ende"...
Quelle JERUSALEM (inn) - Die Rede finden Sie unter der Überschrift "Am
Grab meines Sohnes" in der "Zeit" vom 24. August (Nr. 35), auf Seite
7.
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