Medien-Krieg:
Tote Zivilisten als Waffe Von
Ulrich W. Sahm, Jerusalem Eine Explosion
neben einem Rohbau verwandelte die ganze Ausrichtung des namenlosen
Libanonkrieges, den israelischen Militärs zynisch "Operation
Richtungswechsel" bezeichnet. Die israelischen Piloten wussten wohl nicht,
dass sich da Flüchtlinge in den unfertigen Keller des Hauses gerettet
hatten, um vor israelischen Bomben sicher zu sein.
57 Menschen starben, darunter 33 Kinder. Angesichts der rund
800 bis tausend Toten im Libanon und 100 Toten in Israel, entspricht das dem
grausigen Tagesdurchschnitt bei diesem 19-tägigen Krieg. Doch so viele tote
Zivilisten auf einen Schlag und live-Bilder von jeder unter den Trümmern
hervorgezogenen Kinderleiche in allen arabischen Fernsehsendern verfehlen
nicht ihre Wirkung. Die Welt ist zurecht empört und Israel kann nur da nur
ein verwirrtes Bedauern stammeln. Wie schon 1996 wird das Dorf Kana wegen
getöteter Zivilisten zum Symbol eines Richtungswechsels.
Die Tragödie von Kana wirft aber auch Fragen auf. Für die Hisbollah bedeutet
der Tod so vieler Libanesen ein Sieg, für die Israelis jedoch eine schwere
politische Niederlage. Denn bei diesem asymmetrischen Krieg geht es nicht um
klassischen Landgewinn oder um die Anzahl abgeschossener feindlicher
Flugzeuge. Das Hauptziel beider Seiten ist es, dem Ansehen des Gegners
größtmöglichen Schaden beizufügen.
Damit es im Südlibanon nicht wieder zu solch einer menschlichen Katastrophe
kommen kann, hat Israel auf amerikanischen Druck hin einer begrenzten
Feuerpause zugestimmt. Doch die Regierung in Beirut fordert die Dorfbewohner
im Süden nicht zu fliehen, sondern stand zu halten. Vor laufenden Kameras
werden von den Israelis abgeworfene Flugblätter die der Aufforderung zum
Verlassen des Kriegsgebiets verächtlich zerrissen. Was soll dieser
unverantwortliche Wahnsinn? Ist der libanesischen Regierung oder auch der
Hisbollah das Leben der eigenen Kinder und Frauen wirklich so gleichgültig?
Die Zivilbevölkerung zu schützen und in Sicherheit zu bringen sollte doch
eigentlich das höchste Gebot einer jeden Regierung oder auch Konfliktpartei
sein.
Die Hisbollah ist eine typische Guerilla, verwoben mit der Bevölkerung,
weshalb "Kolateralschaden" durch Israel nur schwer zu vermeiden ist. Doch es
entsteht fast der Eindruck, dass Libanon nicht an einer Flucht der Menchen
interessiert ist, um sich hinter der Bevölkerung verstecken zu können.
Umgekehrt bedeuten bis zu 150 tägliche Raketen der Hisbollah auf Haifa,
Nazareth, Tiberias und Saffed vorsätzliche Angriffe auf Zivilisten.
Hisbollahchef Scheich Nasrallah macht keinen Hehl aus der Absicht, sogar Tel
Aviv treffen zu wollen.
Es entsteht der Eindruck, als sei vorsätzliches Töten von Zivilisten durch
Selbstmordattentäter oder durch Raketen auf israelische Städte weniger
empörend und verurteilenswert als ein offenkundiges Versehen israelischer
Piloten. Denn weltweit, sogar in Tel Aviv und Jerusalem wurde gegen das
"Massaker von Kana" demonstriert. Warum ist eigentlich eine Demonstration in
Beirut gegen den willkürlichen Beschuss von Haifa, Nazareth und Tiberias
durch die Hisbollah unvorstellbar? |