
Israel als Lebensversicherung:
"Wer, wenn nicht Juden?"
Der jüdische Historiker Michael
Wolffsohn erklärt, warum der Zentralrat der Juden sich trotz aller
Spannungen lautstark solidarisch mit Israel erklärt.
Interview: Philipp Gessler
taz: Herr Wolffsohn, der Zentralrat der Juden
zeigt (nun auch wieder in den Anzeigen einiger Zeitungen) viel
Verständnis für die derzeitige israelische Politik im Libanon - ist
diese Haltung und zum Teil vehemente Form, in der sie ausgedrückt
wird, im Großen und Ganzen Konsens im Judentum in Deutschland?
Michael Wolffsohn: Mit Sicherheit, und das ist, in
Anführungsstrichen, auch gut so. Wer, wenn nicht vor allem - aber
bitte auch nicht nur - Juden, sollte Solidarität mit Israel
bekunden? Das hat nichts zu tun mit der vom erzreaktionären
Historiker Treitschke Ende des 19. Jahrhunderts unterstellten
"Doppelloyalität" der Juden. Wir Juden sind gute, engagierte Bürger
unseres jeweiligen Staates und zugleich mit Israel, unserer
"Lebensversicherung", verbunden. Was ist an der Anzeige des
Zentralrates "vehement"? Der Zentralrat der Juden drückt in dieser
Anzeige unter anderem sein "tiefstes Bedauern über jedes Opfer der
derzeitigen Eskalation aus".
Finden Sie die Forderung des Zentralrats nach einem Rücktritt der
Bundesministerin Wieczorek-Zeul, die das israelische Bombardement
von Zivilisten im Libanon "völkerrechtlich völlig inakzeptabel"
genannt hatte, angemessen?
Frau Wieczorek-Zeul redet viel über Völkerrecht und internationale
Politik. Sie betreibt beides eher unprofessionell und aus der
Krähwinkel-Perspektive ihrer ins Alter gekommenen 68er Ideologie. In
der Demokratie ist es aber Gott sei Dank erlaubt und möglich, auch
Unsinn zu reden. Über den Rücktritt von Politikern entscheidet in
der Demokratie am besten der Souverän, das Volk. Nebenbei: Wenn Frau
Wieczorek-Zeul "Verhältnismäßigkeit" im Kampf fordert, macht sie
sich die so oft - und zu Unrecht kritisierte - Maxime "Auge für
Auge, Zahn um Zahn" zu eigen. Die bedeutet nämlich nichts anderes
als "Verhältnismäßigkeit".
Ist es nicht inkonsequent vom Zentralrat, einerseits stets zu
betonen, dass er nicht als Sprecher der israelischen Regierung in
Deutschland zu betrachten sei, andererseits nun so vehement die
israelische Politik zu verteidigen?
Das eine schließt das andere doch nicht aus. Der Zentralrat ist
nicht der verlängerte Arm Israels, aber warum soll, kann, darf er
nicht "Solidarität mit Israel" bekunden? Das gehört zur
Meinungsfreiheit. Sollte sie nicht für den Zentralrat der Juden
gelten?
Warum erwähnt der Zentralrat, auch in den Anzeigen, zwar die
UNO-Resolution, die eine Entwaffnung der Hisbollah fordert, aber
nicht die zwei, die seit 1967 den israelischen Abzug aus den
besetzten Gebieten verlangt?
Ganz einfach: Weil Israel alle im Libanon besetzten Gebiete im Jahre
2000 geräumt hat, den Gaza-Streifen im vorigen Jahr, und Israels
Regierung bereit ist, 95 Prozent des Westjordanlandes zu räumen.
Ist die Solidarität mit Israel als identitätsstiftendes Band im
Judentum in Deutschland wichtiger geworden, weil es heute weniger
gibt als früher, was Juden in Deutschland miteinander verbindet -
man denke etwa an die Konflikte zwischen "Liberalen" und
"Orthodoxen", Alteingesessenen und Zugewanderten?
Die von Ihnen angesprochenen Spannungen gibt es, sie sind
dialektisch zu verstehen. An der grundsätzlichen Verbundenheit von
uns Juden ändert das nichts. Wir streiten oft und heftig, wissen
aber, dass wir zusammengehören und zusammenhalten wollen und müssen,
nicht "nur" der Rechtsextremisten wegen.
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22-07-2006 |