"Geschützter Gefangener":
Rotes Kreuz sucht Kontakt zu den Entführern
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Das Internationale Rote Kreuz hat noch keine Pressemitteilung zu der
Entführung des israelischen Soldaten am Sonntag vor zwei Wochen und zu der
israelischen Offensive im Gazastreifen veröffentlicht. "Noch sind wir an
Bemühungen beteiligt, Kontakt zu den Entführern aufzunehmen, um den Soldaten
Gilad Schalit entsprechend der internationalen Konventionen zu besuchen.
Deshalb wenden wir uns noch nicht an die Öffentlichkeit", erklärte eine
Sprecherin des IKRK auf Anfrage. Sie sagte, dass
gemäß den international akzeptierten Regeln der Soldat ein "geschützter
Gefangener" sei und deshalb Anspruch auf Besuche von Vertretern des IKRK
habe. Die Sprecherin sagte, dass das IKRK in regelmäßigen Abständen
Presseerklärungen über Menschenrechtsverletzungen beider Seiten
veröffentliche, wenn Zivilisten durch Gewalt zu Schaden kämen. Sie betonte,
dass aus Sicht des IKRK auch israelische Siedler in den besetzten Gebieten
"geschützte Personen" seien und nicht angegriffen oder getötet werden
dürften.
Weiter sagte sie, dass Israel "de facto" die Genfer Konventionen in den
besetzten Gebieten einhalte, obgleich es diese Territorien formal nicht als
"besetzt" betrachte, weil keinem "Souverän" gehörten. Das IKRK teile jedoch
die Ansicht der internationalen Gemeinschaft, wonach das Westjordanland und
Gaza auch formal "besetzte Gebiete" seien. Es gebe jedoch ein Abkommen
zwischen Israel und dem IKRK, das der Schweizer humanitären Organisation
vollen Zugang zu allen palästinensischen Gefangenen ermögliche. Die
Zusammenarbeit sei "verzüglich". Vertreter des IKRK könnten Gefangene nicht
nur nach ihrer Verurteilung in den Gefängnissen besuchen sondern auch in den
militärischen Internierungslagern und sogar in den Verhörzentren des
Geheimdienstes. "Üblich ist, dass wir spätestens nach zwei Wochen Zugang zu
den Gefangenen erhalten", sagte die Sprecherin. Grundsätzlich sei es einem
Besatzer verboten, Gefangene aus besetzten Gebieten in sein eigenes Land zu
bringen. An diese Regel halte sich Israel nicht, aber das sei ein "längst
akzeptierter Usus", meinte die Sprecherin.
Seit Ausbruch der Gazakrise vor zwei Wochen seien die Familienbesuche
ausgesetzt worden. Normalerweise haben Angehörige ersten Grades ein Recht
auf Visiten in den Gefängnissen. Damit ist jedoch gerade in letzter Zeit
Missbrauch betrieben worden. Die Sprecherin erwähnte die selber den Fall der
Tochter des Hamas-Ministerpräsidenten Ismail Hanija, die sich anhand eines
fremden Ausweises als die Schwester eines Gefangenen ausgeben hatte, den sie
besuchen wollte. Gemäß Presseberichten war dieser Gefangene angeblich ihr
Verlobter.
Mit der Autonomiebehörde habe das IKRK ein ähnliches Abkommen ausgehandelt,
obgleich es sich nicht um einen Staat handle. Das IKRK habe dort ebenfalls
Zugang zu den Gefängnissen.
Mehrere Arabische Knessetabgeordnete hatten am Sonntag die Entführung des
Soldaten als "gerechtfertigte Waffe der Palästinenser gegen die Besatzer
gemäß dem internationalen Recht" bezeichnet. Das Völkerrecht genehmige
jegliche Methode des Widerstandes gegen den Besatzer, sagte Wasil Taha von
der National-Demokratischen Vereinigung. Ibrahim Sarsur von Raam-Tal
behauptete gar, dass es dem Soldaten besser ginge als den palästinensischen
Gefangenen in Israel, "weil er gemäß den Regeln des Islam behütet wird,
während unsere Gefangene in Israel nicht einmal in den Genuss von Besuchen
des Internationalen Roten Kreuzes kommen".
Rechtsgerichtete jüdische Abgeordnete kündigten eine Gesetzesvorlage an, die
es solchen Abgeordneten "verbieten sollte, Verrat am Staat Israel in der
Knesset zu verkünden". |