Kurz es geht um Judenmord:
Krieg und Frieden im Nahen Osten
Von Thomas von der Osten-Sacken
Es herrscht Krieg. Ein Krieg, den niemand erwartet hat.
Noch vor ein paar Tagen sprach ich in Tel Aviv mit einer Freundin über die
allgemeine Lage und wir waren uns einig, dass sich das Leben in Israel
entspannt habe, die Menschen viel weniger Angst hätten als noch vor zwei
Jahren. So ist der Nahe Osten, nur vier Tage später schlugen die ersten von
bislang 800 Katjuscha Raketen im Norden des Landes ein.
Je stärker man mit den Menschen in einem Land verbunden
ist, je schwerer fällt es, wenn Freunde in Schutzräumen ausharren oder
morgens vom Einschlag der Raketen aufwachen, aus der Ferne gute Ratschläge
zu erteilen. Wie schon vor drei Jahren im Irak, fällt es deshalb umso
schwerer einen Krieg zu unterstützen, von dem man weiß, er trifft nicht
irgendwen, sondern eben Menschen, die man kennt und deren Wohlergehen einem
deshalb umso mehr am Herzen liegt. So ist die erste spontane Reaktion auf
die Bilder von Verletzten, die in Krankenhäuser eingeliefert werden, von
Familienangehörigen, die um Tote trauern und von zerstörten Häusern ein
sofortiges Ende des Ganzen zu fordern: Hört auf damit, möchte man einfach
schreien, Frieden! Frieden!
Nur: es gibt keinen solchen Frieden im Nahen Osten. Einmal
mehr ist nur ein seit Jahrzehnten währender Kalter Krieg zu einem heißen
geworden: Wir alle wussten, dass die Hizbollah seit Jahren Raketen an
Israels Nordgrenze stationiert und zu jeder Gelegenheit die Vernichtung
Israels fordert. Kürzlich hörte ich in Syrien per Zufall den Radiosender der
Hizbollah. Ein vierstimmiger Männerchor erklärte, dass es das Ziel aller
Muslime seit Mohammed sei, die Juden zu töten. Man solle nicht denken, es
ginge nur im Israel, nein, die Juden seien die Feinde und das
erstrebenswerte Ziel des Muslims ihre Vernichtung. Dann erklärte ein
Kleriker, es ginge nicht um die Befreiung Palästinas alleine, sondern darum
die Juden von der Erdoberfläche zu tilgen. Mein irakisch-kurdischer
Begleiter, der den Text übersetzte war schlicht entsetzt, warum, fragte er,
lasse man so etwas zu, warum verhandele die EU mit einer solchen
Organisation, die doch das selbe wolle wie Hitler, nämlich die Vernichtung
der Juden.
Leider konnte ich ihm keine wirklich überzeugende Antwort
geben, denn auch ich weiß nicht, warum etwa die Friedrich Ebert Stiftung mit
dieser Hizbollah eine gemeinsame Konferenz in Beirut ausrichtete und in
Berlin die Hizbollah offiziell eine Zweigstelle errichten durfte. Denn sie
machen alle kein Hehl aus ihrem Ziel: Der iranische Präsident, dessen Land
gemeinsam mit Syrien jene Raketen lieferte, die nun in Tiberias, Nahariyah
und Dutzenden anderen Orten einschlagen. Und erst vor wenigen Tagen hatte
Ahmed-Nijad erklärt: "Das grundlegende Problem in der islamischen Welt ist
die Existenz des zionistischen Regimes und alle Kräfte dieser Region müssen
mobilisiert werden, um dieses Problem zu beseitigen."
Kurz es geht um Judenmord, anders als all jene
europäischen Appeaser hat dies mein irakisch-kurdischer Begleiter
verstanden. Und Judenmord sollte als politisches Ziel nicht verhandelbar
sein. Er muss einzig nur verhindert werden.
Der Bahnhof von Haifa wurde gerade bombardiert; es gab
neun Tote. Heute vor zwei Wochen wartete ich dort auf den Zug nach Tel Aviv.
Die Innenstadt von Haifa wird vor allem von Arabern bewohnt, ebenso wie das
nördliche Galiläa. Niemand in den Medien hier erwähnt, dass unzählige
arabische Familien Seite and Seite mit ihren jüdischen Nachbarn in den
Schutzräumen ausharren. Und doch, nichts zeigt deutlicher, wie wenig es bei
diesem neuen Krieg um eine Auseinandersetzung zwischen Israelis und Arabern
geht, wie die Scharfmacher uns gerne zu erklären versuchen.
Dieser Krieg ist keiner um Territorium, er richtet sich
gegen kein arabisches Land, Israel wurde angegriffen von einer Miliz, die
einerseits in der libanesischen Regierung vertreten ist, andererseits aber
im Südlibanon quasi eigenstaatliche Strukturen unterhält. Man mag von all
diesem UN-Gerede halten, was man will, nur: die Existenz einer solchen Miliz
verstößt gegen UN-Resolutionen, seit nunmehr sechs Jahren obliegt es der
libanesischen Regierung ihre Truppen im Süden und an der Grenze zu
stationieren. Dies ist bislang nicht geschehen, vor allem deshalb nicht,
weil Syrien und Iran kein Interesse daran haben. Israel hat also völlig
Recht, wenn es die libanesische Regierung für die Entführung der zwei
Soldaten verantwortlich macht. Und doch sollte man die Tragik des Ganzen
nicht übersehen: einmal mehr wird der Libanon zum Schauplatz eines
regionalen Stellvertreterkrieges.
Fünfzehn Jahre lang bekriegten sich hier Palästinenser,
Israelis, Amerikaner, Iraner und Syrier auf Kosten der Bevölkerung. Ich
kenne weit weniger Libanesen als Israelis, erinnere mich aber an jenen
Journalisten, den ich kürzlich auf einer Konferenz in Qatar getroffen habe.
Er berichtete von der Zedernrevolution und wie es einer kleinen Gruppe von
Aktivisten gelungen ist, mit gewaltfreien Mitteln so viel Druck auszuüben,
dass am Ende Hunderdtausende auf die Straße gingen, um die syrische
Besatzungsmacht zu vertreiben. Ich erinnere mich, wie wir 2004 im Irak die
Bilder aus Beirut im Fernsehen sahen, von all den Menschen, die für Freiheit
und Demokratie demonstrierten. Ein Fest war das und ein Zeichen, dass die
arabische Strasse auch ganz anders aussehen kann, als jene uniformierten
antiamerikanischen und antiisraelischen Aufläufe, die die herrschenden
Regimes so gerne inszenieren.
Alle Anwesenden, syrische und iranische Oppositionelle
ebenso wie Vertreter von irakischen Menschenrechtsorganisationen, wünschten
dem libanesischen Journalisten damals viel Glück, denn er hatte eindringlich
berichtet, dass der Kampf noch lange nicht beendet sei, der Einfluss Syriens
und des Iran weiter die Geschicke des Libanon bestimme und eine Entwaffnung
der Hizbollah weiter unmöglich scheine. Gerade für die Syrer und Iraner war
der Libanon leuchtendes Beispiel, wie ohne Krieg und Gewalt Veränderungen
erreicht werden können.
Ich muss viel an diesen Libanesen denken. Deshalb lese ich
in den letzten Tagen auch wie manisch abwechselnd israelische Zeitungen und
libanesische Weblogs. Wie ist die Stimmung in Beirut? Solidarisiert man sich
mit den Gotteskriegern? Resignieren jetzt jene, die vor zwei Jahren zu
Zentausenden dem syrischen Sicherheitsapparat getrotzt haben? Bislang lese
ich viele traurige Nachrichten, aber auch Erfreuliches: Neben heftiger
Kritik an den israelischen Militärschlägen, machen unzählige Autoren an
erster Stelle Syrien und den Iran verantwortlich für die Eskalation. "Bomb
Syria" heißt es etwa auf dem Log "Beiruthbetway". Ähnliche Stimmen finden
sich auch in der englischsprachigen Tageszeitung "Daily Star". Und unzählige
arabische Blogger schließen sich dieser Haltung an. Nur: dass im Libanon die
Menschen Israel kritisieren, weil es ein Land angreift, dessen Bewohner für
Demokratie demonstriert haben, die es geschafft haben mit ihrer
"Zedernrevolution" anderen Menschen im Nahen Osten Mut zu machen, ist die
wahre Tragödie dieses Krieges. Auch wenn Israel "nur" gegen die Hizbollah
Krieg führt, trifft es unzählige Zivilisten und mit der Zerstörung der
Infrastruktur wird der Libanon um Jahre zurückgeworfen. Wir alle wissen:
diejenigen, die an einer Eskalation des Konfliktes Interesse haben sitzen in
Damaskus und Teheran.
Hizbollah und Hamas dagegen, die koordiniert vorgehen und
denen das Leben der Menschen in Gaza und im Libanon völlig egal ist,
versuchen einmal mehr jene "arabisch-islamische Einheit" zu mobilisieren,
die seit Jahrzehnten nichts als Rückschritt und Zerstörung für die Region
gebracht hat. Während sich schiitische und sunnitische Milizen im Irak einen
barbarischen Kleinkrieg liefern und drohen, das Land in ein blutiges Chaos
zu stürzen, setzen die Parteien Gottes auf die Dummheit der arabischen
Strasse und glauben einmal mehr mit apokalyptischen Heilsversprechen über
ihren kompletten Bankrott hinwegtäuschen zu können. Nur: dies scheint immer
weniger zu funktionieren. Lediglich ein paar Tausend Demonstranten ließen
sich am Freitag mobilisieren, bei 220 Millionen Arabern eine wenig
beeindruckende Zahl. Fast alle arabischen Länder, darunter auch die
schiitisch regierten Länder Irak und Bahrain, verurteilten die Hizbollah auf
einem Krisentreffen der Arabischen Liga. Und der irakische Blogger "Iraq the
Model" schriebt sogar: "Ich glaube, dass ein schwerer Schlag gegen die
Hizbollah aus irakischer Perspektive in unserem nationalen Interesse liegt.
Die Hizbollah destabilisiert im Interesse Syriens und des Irans den Irak (…)
und hat mehrmals offen ihre Unterstützung für den "Widerstand" bekundet und
Treffen von Baathisten und radikalen Islamisten gesponsert".
Und der ägyptische Blogger "Sandmonkey", sicher nicht
repräsentativ, aber doch genauer Beobachter der Stimmung in seinem Land
schreibt: "Ich denke es ist interessant, welchen Stimmungswechsel meine
Freunde angesichts der Angriffe auf die Hizbollah vollzogen haben – die
meisten von ihnen sind anti-israelisch eingestellt: Viele denken, Israel hat
recht zu tun, was es tut. Und einige, die libanesischer Herkunft sind,
hoffen sogar, dass die Hizbollah nun völlig zerschlagen wird. Es ist
surrealistisch."
Solche Meldungen und Reaktionen lassen hoffen. Es gibt
ihrer viele. Wenn auch eben so viele, die den glorreichen Kampf gegen den
Zionismus lobpreisen und vom Schreibtisch aus ihre Brüder und Schwestern
auffordern, zu Märtyrern zu werden. Aber es gibt inzwischen auch
unüberhörbar die anderen. Etwa der ägyptisch-amerikanische Journalist
Youssef Ibrahim, der kürzlich in einem offenen Brief an die Palästinenser
schrieb: "Was für ein Kampf ist das? Ist er es wert, dass er geführt wird?
Was für eine elende Zukunft bringt er euren Kindern, der vierten und fünften
Generation der Habenichtse unter den Arabern?"
Denn die Menschen in der arabischen Welt sind lange nicht
so fanatisch und dumm, wie gerne im Namen des Antirassismus in deutschen
Medien dargestellt. Die meisten sind der Ideologien müde, wollen nicht mehr
für irgendwelche Slogans sterben oder in Unterentwicklung gehalten werden.
So paradox dies klingen mag: Der Krieg Israels gegen die Hizbollah ist
diesmal ein Krieg, der durchaus all den Menschen langfristig helfen kann,
die sich nichts sehnlicher als einen "neuen Nahen Osten" wünschen.
Ich hoffe, nur an meinem Schreibtisch sitzend, die
israelische Regierung versteht dies und handelt entsprechend. Ich hoffe, es
gelingt ihr, ohne allzu große Verluste auf beiden Seiten die militärische
Infrastruktur der Hizbollah zu zerschlagen. Ich hoffe dabei sterben so wenig
libanesische Zivilisten, wie irgend möglich (vergessen wir nicht: sowohl
Hizbollah wie Hamas verstecken ihre Raketenabschusseinrichtungen in
Wohnhäusern und zivilen Komplexen).
Es kann keinen Frieden im Nahen Osten geben, solange
Regierungen und von ihnen finanzierte Bewegungen Israel zerstören wollen und
"heilige Kriege" gegen Demokratie, Gleichberechtigung, Säkularismus und
ähnliche westliche "Zumuten" führen. Es ist leider so: manche Kriege sind
nötig und müssen unterstützt werden. Dies war 2003 im Irak so, dies ist
heute wieder so. Frieden ist etwas anderes als Waffen, die schweigen.
Deshalb sollen die Europäer endlich aufhören, von Frieden zu reden, wenn sie
Appeasement mit totalitären, antisemitischen Regierungen und Bewegungen
meinen.
Wenn die Waffen sprechen ist es nötiger denn je, über
politische Ziele zu sprechen. Krieg ist Politik mit anderen Mitteln, oder
sollte es doch sein. Sagen wir also deutlich, was wir uns wünschen: Einen
Nahen Osten mit offenen Grenzen, in dessen Mitte Israel liegt, ohne von
seinen Nachbarn bedroht zu werden. Einen Nahen Osten, in dem man ohne Visa
von Tel Aviv nach Teheran reisen kann. Eine Region, in der die Menschen von
dem Reichtum leben, den die Natur ihnen geschenkt hat. Und nicht zuletzt:
eine Region, in der gewählte Regierungen so gut oder schlecht für das Wohl
oder Wehe ihrer Bürger sorgen, wie in anderen Teilen der Welt auch. Eine
Region, in der Religion Privatsache ist und niemand um sein Leben fürchten
muss, nur weil er als Jude, Christ, Kurde, Araber oder Schiit geboren wurde.
In der Zwischenzeit sind meine Gedanken bei all jenen in
den Schutzräumen ausharrenden Israelis, Juden und Araber, die auf eine neue
Nacht voller Raketenangriffe warten. Und bei all jenen, die im Libanon
jahrelang gegen den Einfluss der Hizbollah mit gewaltfreien Methoden
gekämpft haben und nun mit ansehen müssen, wie in Beirut die Bomben fallen.
Aus der Ferne lässt es sich leicht sagen: Es herrscht
Krieg und er möge schnell und kurz sein, aber gewonnen, das soll er werden.
Auf das Risiko hin von den Menschen in den Schutzräumen oder in Beirut als
Schreibtischstratege kritisiert zu werden (sollten sie je diese Zeilen
lesen): Einen faulen Frieden, wie ihn die Europäer wünschen, einen Frieden,
der keiner ist, weil er keine Probleme löst, den wünsche ich niemandem. Möge
man mich deshalb einen Bellizisten nennen.
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