"Mache niemals eine Vorhersage über den Nahen Osten":
Krieg zwischen Israel und Libanon
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
"Innerhalb von ein oder zwei Jahren werden wir einen völlig neuen Nahen
Osten erleben", prophezeit Ehud Jaari, Journalist und einer der besten
Arabienexperten Israels. 1971 verfasste er die erste Arafat-Biographie. Am
Mittwoch stellte er sich der Auslandspresse.
Im Irak, so Jaari, bahne sich ein ethnischer Bürgerkrieg an. Erstmals greift
eine militante schiitische Gruppe auch Amerikaner und Briten an. Jaari
zweifelt an der Fähigkeit der Amerikaner, angesichts dieser Entwicklung,
noch den Irak in den Griff zu bekommen.
Jaaris Handy klingelt. Israel sei mit Katjuscharaketen vom Libanon aus
angegriffen worden. Es gebe Verletzte. Jaari fährt fort.
Jordanien sei vom Irak wirtschaftlich abhängig. Bis zu 600.000 Iraker leben
in Jordanien. Gleichzeitig ist Jordanien Verbündeter der USA. In jüngster
Zeit gehe das Regime unter König Abdullah gegen die Moslembrüder im
Königreich vor, ähnlich wie Israel im Westjordanland gegen deren
palästinensischen Ableger, die Hamas, durchgreift. Ein Scheitern der
Amerikaner in Irak werde fatale Auswirkungen auf die Stabilität Jordaniens
haben, sagt Jaari. Wieder ruft seine Redaktion an.
"Zwei israelische Soldaten wurden in den Libanon entführt." Jaari beruft
sich auf den Hibollah-Fernsehsender Al Manar.
"Die Blumenrevolution im Libanon ist nicht gelungen", sagt Jaari. "Erst in
einem Jahr wissen wir, wer der neue Präsident Libanons sein wird." Alles
deute darauf hin, dass die Hisbollah erstarke und damit auch der
iranisch-syrische Einfluss. Die Hisbollah nutze ihre militärische Präsenz im
Südlibanon entlang der Grenze zu Israel, um auch Iran und Syrien mit
Radarbildern von Israel zu beliefern. Wieder klingelt es.
"Israel bombardiert Brücken und Kraftwerke im Libanon", vermeldet Jaari aus
seinen Quellen und verschwindet kurz, um per Handy live seinem Fernsehsender
seine Einschätzung zu übermitteln. Wieder zurück erzählt er über den alt
gewordenen Hosni Mubarak an der Spitze "des Ankers der Stabilität im Nahen
Osten: Ägypten". Der Machtwechsel zu seinem Sohn Gamal "wird wohl nicht
reibungslos geschehen, auch wegen der Erstarkung der Moslembrüder in
Ägypten", glaubt Jaari. Vor dem nächsten Anruf geht er im Telegrammstil auf
Syrien ein, wo nicht nur die Opposition im Ausland, sondern auch innerhalb
Syriens erstarkt sei. Die Moslembrüder, 1982 noch von Hafes el Assad in Hama
zu zehntausenden massakriert, rütteln am Stuhl von Bashar Assad. Die
Moslembrüder in Syrien seien sogar bereit, in Israel einen Verbündeten zu
suchen, um den erfolglosen Assad zu stürzen.
Wieder klingeln die Telefone. Angeblich sind zwei israelische Soldaten beim
Zwischenfall an Grenze zu Libanon tot. Jaari wechselt zu Saudi Arabien, dem
Sammelbecken für Moslembrüder vor allem aus Ägypten. Die palästinensische
Hamas sei von den Saudis abhängig. Doch erstmals, nachdem Chaled Maschal
infolge der Entführung eines israelischen Soldaten nach Gaza die Zügel in
die Hand genommen habe, veröffentlichte das saudische Kabinett scharfe
Kritik an der Hamas: Die Palästinenser sollten gemäß ihren echten Interessen
handeln und Leute "mit egoistischen Motiven" stoppen. Jaaris Interpretation:
"Die Saudis sagen Nein zu Iran und Nein zu Chaled Maschal in Damaskus."
Die Ereignisse im Libanon überschlagen sich. Die israelische Armee sei
einmarschiert, bombardiere Brücken und Kraftwerke. Unter Zeitdruck kommt
Jaari auf die Hamas zu sprechen. Die Organisation "spricht inzwischen
mehrere Sprachen": Chaled Maschal in Syrien, Extremisten in Gaza, Gemäßigte
im Westjordanland und die Hamasführung in den israelischen Gefängnissen.
Jeder verfolge andere Interessen, obgleich eine Spaltung nicht anstehe. Die
Palästinenser, so Jaari, kämen zum Schluss, dass ein Palästinenserstaat "in
den Grenzen von 1967" kein würdiges Ziel sei, auf grundsätzliche Forderungen
wie das Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge nach Israel zu verzichten. "Der
palästinensische Ministaat schwindet im Nebel", meint Jaari. Er ist auch vor
Fatah-Leuten respektierte Redner und Analytiker der Lage. Stattdessen
streben die Palästinenser an, die Besatzer zwar Stück für Stück zu
vertreiben, aber den Status Israels als Besatzungsmacht aufrecht zu
erhalten. So werde Israel weiter für alles verantwortlich gemacht und müsse
sich um die palästinensische Bevölkerung kümmern. "Sie bestehen darauf, ihre
Produkte über Israel und nicht über Ägypten zu exportieren." Der Beschuss
Israels mit Kasamraketen bezwecke, eine von Israel beschlossene "Abtrennung"
zu verhindern. Hinter vorgehaltener Hand sagten ihm Fatah-Leute: "Das Ziel
ist ein Land mit zwei Regierungen, heute mit Israel als stärkerem Part, bis
dann die Demographie das Kräfteverhältnis umkehrt."
Nach einem weiteren Anruf schließt sich Jaari mit einem "klugen Spruch"
eines arabischen Professors: "Mache niemals eine Vorhersage über den Nahen
Osten und ganz besonders nicht über die Zukunft." Ministerpräsident Ehud
Olmert redet derweil von einem "Kriegsakt des souveränen Staates Libanon
gegen Israel". Militärreporter berichten, dass "Krieg" herrsche. Israel
erwäge, Reservisten einzuberufen. Arabische Medien wissen von sieben
getöteten israelischen Soldaten bei "schweren" Kämpfen im Libanon. Der
israelische Militärsprecher verweist auf die Zensur, ohne die jetzt nichts
veröffentlicht werden dürfe. |