Deja Vue:
Israels Reaktion auf Kana Von
Ulrich W. Sahm, Jerusalem Schon seit drei
Tagen greift Israel das Dorf Kana im Südlibanon an. Insgesamt 110
Luftangriffe auf Kana wurden seit Kriegsausbruch vor fast drei Wochen
gezählt. Der israelische Militärsprecher behauptet, dass die Luftwaffe zehn
Raketenwerfer mitten in Kana angegriffen habe und dutzende weitere rund um
das Dorf.
Zahlreiche natürliche Höhlen in der hügeligen Landschaft von Kana bieten
den Kämpfern der Hisbollah und ihren Raketenwerfern guten Schutz. Die
Raketenwerfer seien teilweise in oder auf Wohnhäusern aufgestellt worden.
Von Kana aus seien Raketen auf Kirjat Schmone und Städte im Westen Galiläas
abgeschossen worden. Weiter sagte der Militärsprecher, dass die
Zivilbevölkerung schon vor Tagen mehrfach aufgefordert worden sei, das Dorf
zu verlassen.
Am Sonntag Morgen um 7:30 Uhr habe die Luftwaffe den Abschuss von
Raketensalven auf Israel ausgemacht. Tatsächlich explodierten über vierzig
Katjuscharaketen im Norden Israels. In der Kreuzfahrerstadt Akko erhielten
mehrere Wohnhäuser Volltreffer. Es entstand erheblicher Sachschaden aber nur
ein leicht Verletzter. Nach Angaben israelischer Militärs hätten die Piloten
den Raketenwerfer in Kana unmittelbar nach dem Abschuss von Katjuschas
ausgemacht und gesehen, wie Männer von der Abschussrampe in eines der Häuser
rannten, um Schutz vor dem erwarteten israelischen Luftangriff zu suchen.
Gemäß israelischer Einschätzung glaubten sie wohl, dass den Piloten die
Anwesenheit der Flüchtlinge in jenem dreistöckigen Haus bekannt gewesen sei
und dass sie davor zurückschrecken würden, es zu bombardieren.
Doch angeblich wussten die Piloten nichts von den Flüchtlingen und jagten
eine Rakete in das unverputzte Haus. Unter den Trümmern starben mindestens
60 Menschen. Arabische Fernsehsender wie Al-Jesira zeigten am Morgen
live-Bilder aus dem Haus. Besonders die toten Kinder wurden in Nahaufnahme
in alle Welt ausgestrahlt. "Israel verfolgt keine Politik, Zivilisten
gezielt zu treffen. Die Bevölkerung wurde mehrfach aufgerufen, diese Region
zu verlassen und sich von Kämpfern und Stellungen der Hisbollah
fernzuhalten", sagte Premierminister Ehud Olmert zu Beginn der wöchentlichen
Kabinettssitzung.
In der offiziellen schriftlichen Erklärung des Militärsprechers heißt es
weiter: "Die Verantwortung für jegliche zivile Opfer trägt allein die
Hisbollah. Sie hat die bewohnten Gegenden des Libanon in eine Kriegsfront
verwandelt, indem sie aus zivilen Wohngebieten heraus Raketen abschießt."
Der linke Abgeordnete Avschalom Sivan bedauerte "das Unglück von Kana",
sagte aber: "Mir sind Tote im Libanon lieber als Tote in Israel. Die
libanesische Bevölkerung war rechtzeitig gewarnt. Mir ist unverständlich,
warum die Flüchtlinge geblieben sind, obgleich sie von der Gefahr wussten."
Ein arabischer Knessetabgeordneter redete von einem erneuten
"Kana-Massaker". "Israel ist der fremde Eroberer im Libanon, genauso wie im
Gazastreifen. Israel hat da nichts zu suchen und deshalb trägt allein Israel
die Verantwortung für diesen Massenmord."
Tourismusminister Isaak Herzog beschuldigte die Hisbollah, die
Zivilbevölkerung als Geisel in den angegriffenen Dörfern festzuhalten. "Wir
haben geheimdienstliche Informationen, wonach ein Raketenwerfer in dem Haus
stand, in dessen Keller die Flüchtlinge Schutz gesucht hatten." Herzog
dränge darauf, die "Beweise" dafür so schnell wie möglich zu
veröffentlichen.
In Israel wurde an das "Massaker von Kana" im April 1996 erinnert, während
der Operation "Früchte des Zorns", von Premierminister Schimon Peres
befohlen, nachdem Raketen der Hisbollah in der nordisraelischen Stadt Kirjat
Schmone mehrere Menschen getötet hatten. An einem Tag mit sehr schlechtem
Wetter war angeblich eine israelische Kommandoeinheit im Südlibanon entdeckt
worden. Die Hisbollah schoss mit ihrer Artillerie in Richtung des Kommandos,
woraufhin die israelische Artillerie den Befehl erhielt, die Kanone in Kana
zum Schweigen zu bringen.
Die Hisbollah hatte die Kanone auf einem Friedhof nur 300 Meter entfernt vom
UNIFIL Hauptquartier in Kana aufgestellt. Die Israelis verfehlten ihr Ziel
und trafen stattdessen den Innenhof und die Mannschaftsbaracken der
UNO-Stellung. Dort hatten sich tausende libanesische Flüchtlinge versammelt,
in der Annahme, unter dem Schirm der Vereinten Nationen sicher zu sein.
Mindestens 102 Menschen starben bei diesem Angriff. Kritiker Israels
behaupteten, dass die Flüchtlinge absichtlich beschossen hätte, ohne jedoch
erklären zu können, welchen Profit sich Israel mit dem Tod so vieler
Unschuldiger erhoffte.
Peres bedauerte damals den Tod der Zivilisten. Die Welt war so schockiert,
dass Israel seine Kampagne gegen die Hisbollah fast augenblicklich abbrechen
musste. Wenig später verlor der gemäßigte Schimon Peres die
Parlamentswahlen, weil die israelisch-arabische Bevölkerung wegen dem
"Massaker von Kana" die Wahlen boykottierte. Mit nur wenigen Stimmen
Vorsprung gewann Benjamin Netanjahu die Wahlen, letztlich mit dem Mandat
seiner rechtsgerichteten Wähler, dem Osloer Friedensprozess mit den
Palästinensern einen Todesstoß zu verpassen. |