Zur Entführung von Soldaten:
Ein Fall von kollidierenden Prinzipien
Kommentar von Eitan Ben-Eliyahu, Ha'aretz,
12.07.2006
Übersetzung Daniela Marcus
Die Frage, die nun gestellt wird, ist nicht, ob
ein Preis gezahlt wird, um den entführten Soldaten der israelischen
Armee (IDF), Gilad Schalit, zu befreien, sondern eher, wie man eine
Realität herstellt, in welcher ein Preis gezahlt werden kann. Als
souveräner, aufgeklärter und demokratischer Staat führt Israel seine
Angelegenheiten gemäß bestimmter Prinzipien durch, die es immer
wieder betont. Der Staat bildet auch seine Armee auf der Basis
dieser Prinzipien aus.
Was soll man jedoch tun, wenn eines dieser Prinzipien mit einem
anderen kollidiert? In solch einem Fall gibt es keine andere
Möglichkeit als beide Prinzipien zu prüfen und zu entscheiden,
welches der beiden sich über das andere hinwegsetzen muss. Israel
hat den Grundsatz, nicht mit Terroristen zu verhandeln und sich
gewiss nicht von ihnen erpressen zu lassen. Wann immer israelische
Regierungen diesen Grundsatz aufrechterhielten, wurden sie von der
israelischen Öffentlichkeit unterstützt. Dieser Grundsatz hielt dem
Test mehrere Male stand. Als z. B. Terroristen Kinder als Geiseln
gefangen hielten, zeigte die israelische Öffentlichkeit Verständnis
für den Versuch der Regierung, die Geiseln mit Gewalt zu befreien.
Es bewahrheitete sich auch im Versuch, die Geiseln zu befreien, die
im März 1975 im Hotel Savoy in Tel Aviv gefangen gehalten waren, und
außerdem im Fall des im Oktober 1994 entführten Soldaten Nahshon
Wachsman. Trotz der Misserfolge und obwohl es Fälle gab, in denen
palästinensische Gefangene entlassen wurden, weil es keine andere
Wahl gab, hielt Israel weiterhin an diesen Grundsatz fest und bekam
die Unterstützung der Öffentlichkeit.
Ein anderer Grundsatz Israels lautet, keine Soldaten und Zivilisten
aufzugeben. Schließlich wurde genau aus diesem Grund der Staat
Israel gegründet. Im Juli 1993 fuhr ein Vergnügungsschiff vor der
sudanesischen Küste auf Grund. Es waren Israelis und Juden an Bord.
Israel zögerte nicht, Rettungsmannschaften an den Ort des Geschehens
zu schicken. Und in einer komplizierten Mission gelang es, alle nach
Hause zu bringen. Als ein Handelsschiff mit israelischen Seeleuten
im Pazifik sank, entschied der damalige israelische Premierminister,
israelische Taucher loszuschicken, um in den Tiefen des Ozeans nach
den Leichen zu suchen.
Israel steht einer permanenten Sicherheitsbedrohung gegenüber.
Zahlreiche Militäroperationen schließen mit ein, dass sich die Armee
auf feindlichem Gebiet aufhält –auf dem Land, in der Luft und im
Wasser- und entlang Israels Küste. "Wir sind mit euch; wir werden
euch niemals aufgeben; wir suchen jederzeit, an jedem Ort und ohne
Einschränkungen nach euch; und wir werden euch nach Hause bringen."
Diese Worte werden während eines Briefings vor und nach jeder
Mission gesagt und wann immer sich Soldaten auf eine Operation
vorbereiten. Dies ist der akzeptierte und verstandene Code nach dem
Generationen von Kämpfern ausgebildet wurden.
Aus der Sicht von jemandem, der Entscheidungen trifft, ist es in der
Tat hart, diese beiden Grundsätze einander gegenüber zu stellen.
Doch so sieht nun einmal die Realität aus, in der wir uns befinden
und mit der wir umgehen müssen. Manchmal gibt es keine andere Wahl
als eine Entscheidung zu treffen. Es scheint mir, dass bei einer
erforderlichen Entscheidung die Mehrheit dafür spräche, eher dem
Grundsatz, einen Soldaten heimzubringen, nachzukommen, jedenfalls
solange wie eine Aktion oder ein Zugeständnis die Bürger Israels
nicht direkt und ausdrücklich in Gefahr bringen würde. So würde die
Mehrheit wohl auch dieses Mal entscheiden.
Jedoch sollte man sich mit einer engen Sicht der Dinge nicht
zufrieden geben und nicht Faktoren ignorieren, die jederzeit einen
Einfluss haben können. Es gibt Faktoren, die sowohl das Innenleben
eines Israelis wie die palästinensische politische Szene
beeinflussen. Wir dürfen auch nicht die Notwendigkeit, die
abschreckende Stärke der IDF zu zeigen, ignorieren.
Wenn man all diese Punkte berücksichtigt, so gibt es einen Weg, der
aus der Sackgasse herausführt: Man platziert die Entscheidung
entlang einer Zeitlinie, mit anderen Worten: Man beendet einen
Schritt und dann den nächsten, und schafft dadurch schrittweise eine
Realität, in der es kein Problem ist, Verhandlungen zu führen und
auch palästinensische Gefangene zu entlassen. Wenn z. B. die
gegenwärtige militärische Operation im Gazastreifen beendet ist und
ihrem Zweck gedient hat, können die Palästinenser unter dem
entstandenen Druck eine Koalition herstellen, die das Abfeuern von
Kassamraketen stoppt. All dies muss in dem Gedanken getan werden,
dass Israel zustimmen wird, auf lange Sicht palästinensische
Gefangene zu entlassen.
Heute ist es mehr als in der Vergangenheit klar, dass das Ziel der
Militäroperation ist, eine politische Entscheidung auf der
palästinensischen Seite zu erlangen, die dazu führt, dass das
Abfeuern von Kassamraketen auf Israel gestoppt wird. Eine
Feuerpause, die schwierige Zugeständnisse erfordert, wird dazu
führen, die lebensnotwendigen Interessen beider Seiten zufrieden zu
stellen. Dadurch wird auch die Chance verstärkt, auf lange Sicht
Stabilität in den Prozess zwischen uns und den Palästinensern
zurückzubringen. Und darüber hinaus sind wir unserer Zusage an die
Jungs und ihre Eltern treu geblieben.
Der Autor war Befehlshaber der israelischen Luftwaffe.
hagalil.com 12-07-2006 |