Tod von Zivilisten:
"Propagandaoffensive" und Kindesmissbrauch
Von Ulrich W. Sahm, Sderot
Eine "Propagandaoffensive" kündigte der "gemäßigte"
Verteidigungsminister Amir Peretz (Arbeitspartei) an, nachdem
Ministerpräsident Ehud Olmert bestätigt hat, dass Israel die "moralischste
Armee der Welt" habe. Die Offensive solle die Welt überzeugen, dass Israel
keinerlei Schuld am Tod der Rhalia Familie am Freitag in Gaza trage.
Zeitgleich führte eine gezielte Liquidierung erneut zu
einem peinlichen Ergebnis: Ein gelber VW Transporter mit Katjuscha-Raketen
im Laderaum fährt auf der Salah A Din Straße im Zentrum von Gaza. Israels
Spionagekameras von Drohnen und Zeppelin sehen keine Passanten. Eine Rakete
trifft den Wagen. Drei "Terroristen" des Dschihad Islami werden verletzt.
Doch die Katjuscharaketen bleiben heil. Zwei weitere Raketen werden auf das
gelbe Ziel gejagt. Plötzlich sehen die Israelis, wie Passanten auf den Wagen
zulaufen, um den Verletzten zu helfen. "Wir hätten die Raketen auf
Wohnhäuser umlenken können. Dann war es zu spät", kommentiert
Generalstabschef Dan Halutz. Die Katjuscharaketen mit einer Reichweite von
20 Kilometern werden vor laufenden Kameras unversehrt weggebracht, um später
auf israelische Städte abgeschossen zu werden. Insgesamt gibt es elf Tote.
Drei Kleinkinder sterben im Operationssaal vor laufenden palästinensischen
Kameras. Israelische "Moral" ist schwer erkennbar, eher schon
palästinensische Pietätlosigkeit. Die "Propagandaoffensive" erleidet noch
vor ihrem Start einen tödlichen Schlag.
Am Freitag tötete eine mysteriöse Explosion sieben Mitglieder der Rhalia
Familie aus Beth Lahia bei Gaza. Sie machten Picknick am Strand nahe der
ehemaligen Siedlung Dugit. Die 12-jährige Huda rannte umher und suchte ihren
Vater, bis sie sich heulend neben seiner Leiche in den Sand warf. Ein
palästinensischer Kameramann war "zufällig" mit seiner Kamera dort, filmte
die Szene, anstatt dem Mädchen zu helfen. Er schuf eine neue Ikone
palästinensischen Leids und israelischer Brutalität.
Diesmal waren sich die Israelis sicher, keine Schuld zu tragen. "Die
Palästinenser wissen immer sofort, ohne Prüfung, dass Israel alle Schuld
trägt. Wir gehen sorgfältig vor, prüfen ganz genau. Willst du etwa von uns
ungeprüfte Propaganda erhalten", fragte Mark Regev, Sprecher des Jerusalemer
Außenministeriums während einer Pressetour nach Sderot, wo es täglich
Kasamraketen aus Gaza "regnet".
Am Abend eröffnete Amir Peretz feierlich seine angekündigte
"Propagandaoffensive" im Tel Aviver Verteidigungsministerium. General Meir
Chalifi präsentierte nach "nur" vier Tagen seine Erkenntnisse. Mit
unscharfen Schwarzweißfilmchen von Drohnen und mit Laserstrahlen auf einer
Luftaufnahme des "Tatorts" erklärte der General, wie Marine, Luftwaffe und
Artillerie morgens um 11:00 Uhr und Nachmittags um 16:48 Uhr punktgenau die
eingezeichneten Zielkreuze auf der Luftaufnahme mit 155mm Granaten und 74 mm
Kanonen trafen. "Abweichungen von 500 Metern vom Ziel sind ausgeschlossen".
Um 17:00 Uhr scanten die Spionagekameras den Strand. "Man sieht da Menschen
normal wandeln", sagt der General. Sein per Laptop abgespulter Film zeigt
schwarze Punkte und Konturen des Strandes. Erst gegen 17:17 Uhr versammeln
sich ganz viele Punkte um eine Stelle. "Das ist ein Menschenauflauf",
erklärt der General. "Wir haben da nicht mehr geschossen. Es ist klar, dass
wir keine Schuld tragen", jubelt der Militär, ohne zu sagen, wer oder was
die sieben Angehörigen der Huda Rhalia ausgelöscht haben könnte. Letzter
Beweis, ohne Beweismittel zu produzieren: Ein Metallsplitter in einer der
vier Verletzten stamme "einwandfrei" nicht von israelischer Munition. Ob es
sich um Blei, Messing, Kupfer oder Aluminium handelt, verrät er nicht. Vier
Verletzte wurden zur Behandlung ins Soroka-Hospital nach Beer Schewa
gebracht, nachdem im palästinensischen Krankenhaus zuvor fast alle
Kriminalspuren, also Splitter, entfernt worden seien.
"Es bleibt kein Schatten eines Zweifels, dass die palästinensische Familie
unter keinen Umständen von uns getötet wurde", sagte der General voller
Überzeugung. Alle drei israelischen Fernsehkanäle stoppten die Übertragung:
"Die Details ermüden wohl unsere Zuschauer."
Der amerikanische Fernsehsender CNN präsentierte zeitgleich mit der
"Propagandaoffensive" andere "Beweise". Ein amerikanischer "Experte für
Schlachtfelder" will aufgrund von "Interviews mit den Verletzten" und
Splittern einwandfrei eine israelische 155mm Artilleriegranate als
Todesursache festgestellt haben. Die Splitter hätten ihm die Palästinenser
gebracht. Ob sie wirklich vom Tatort stammten?
Derweil leidet die zwölfjährige Huda Rhalia unter ihrer neuen Rolle als
Fernsehstar. Erst herzt sie Präsident Mahmoud Abbas, dann adoptiert sie
Premierminister Ismail Hanija und zwischendurch absolviert sie unzählige
Pressekonferenzen. Unmittelbar vor der "Propagandaoffensive" von Amir Peretz
ist sie Stargast einer Talkshow beim arabischen Sender Al Jezeera. Ein
palästinensisches Informationszentrum informiert per SMS über die laufende
Show. Unter Tränen erzählt das Mädchen, dass "die Juden" ihren Vater und
ihre Geschwister ermordet hätten. Der Westen akzeptiert die Zeugenaussage
einer Zwölfjährigen, während die arabische Welt noch nichts von
Kindesmissbrauch gehört hat. Die Palästinenser erweisen sich als PR-Meister,
während die Israelis glauben, mit einer "Propagandaoffensive" die Welt
erobern zu können. |