MEMRI Special Dispatch – 16. Juni 2006
Gegen Polygamie und für ein gleichberechtigtes
Scheidungsrecht:
Frauendemonstration in Teheran zerschlagen
Übersetzt und zusammengefasst von Wahied Wahdat-Hagh
Am 12. Juni 2006 demonstrierten iranische Frauen und
Männer in Teheran gegen Polygamie und für ein gleichberechtigtes
Scheidungsrecht und gegen geschlechtsspezifische
Menschenrechtsverletzungen in Iran. Mindestens 70 Menschen wurden dabei
verhaftet, obwohl die Organisatoren der Demonstration zuvor betont
hatten, dass es ihnen um eine friedliche Protestaktion geht. Im
Folgenden dokumentieren wir Berichte und Erklärungen von der
Demonstration.
In einem Flugblatt, das auf der Teheraner
Frauendemonstration verteilt wurde, gaben die Demonstranten folgende
Gründe für ihren Protest bekannt:
"Unser Protest richtet sich gegen Polygamie, einseitiges männliches
Scheidungsrecht, einseitiges Erziehungs- und Vormundschaftsrecht des
Vaters, ohne Berücksichtigung der Mutterrolle, ungleiches Heiratsrecht,
ungleiches Zeugenrecht, und die Tatsache, dass Mädchen mit 9 Jahren [1]
gerichtlich verfolgt werden können." [2]
Iran Emrooz berichtet, dass sich am Tage der Demonstration 111
Intellektuelle in Form einer schriftlichen öffentlichen Erklärung in
Teheran mit der Frauendemonstration solidarisiert haben. [3]
Bei Roozonline heißt es, dass die Frauendemonstration vom Montag mit einem
"bisher unbekannten Ausmaß von Gewalt zerschlagen" worden ist. [4] Die
Journalistin Dana Shahsawari schrieb dazu aus Teheran:
"Es gab eine große Präsenz der Ordnungskräfte. Spezialeinheiten warteten
schon auf die Frauen. [...] Die Frauen hatten ihre Parolen [nicht auf
Transparente, sondern nur] kleine Zettel geschrieben. [...] Weibliche
Polizisten besprühten die Frauen mit roten Spray [...] und vertrieben
die einen und verhafteten die anderen. [...] Die Polizistinnen waren
teilweise noch brutaler als die Polizisten. Als ein Polizist allerdings
ein junges Mädchen verhaften wollte und sie an den Haaren schleifte,
riefen ca. 150 Passanten: Lass sie los. Lass sie los. [...] Die
demonstrierenden Frauen erklärten immer wieder, dass sie nur Freiheit
wollten. [...] Die Polizistinnen jedoch schwörten wieder und wieder auf
Fatima und skandierten: 'Im Namen des Blutes der Märtyrer, wir werden
euch mit Füßen zermalmen.'" [5]
Leili Poursand schreibt in einem Kommentar ebenfalls für Roozonline: "Es
ist wahrscheinlich das erste Mal, dass die Ordnungskräfte von der
Polizei ausgebildete Frauen zur Unterdrückung von Straßenprotesten
einsetzen. Schon seit einigen Jahren werden Frauen für Spezialeinheiten
ausgebildet. Man hat versucht, den Einsatz von Polizistinnen als eine
neue positive Entwicklung zur Förderung von Frauen darzustellen. Man
konnte sehr viel staatliche Propaganda dazu hören. Tatsächlich waren wir
aber am Montag Zeugen, wie die Polizistinnen als ein neues
frauenfeindliches Instrument eingesetzt wurden. Iranische Frauen wurden
von Polizistinnen mit Knüppel und Stöcken geschlagen, daraufhin mit
Gewalt in Polizeiautos verschleppt und ins Gefängnis gebracht."
Poursand stellt daraufhin die Frage, ob denn diese Polizistinnen
tatsächlich der Meinung seien, dass die herrschenden Gesetze gerecht
seien. Sie fragt, warum Frauen brutal und blutig gegen Frauen vorgehen,
die sich für mehr Frauenrechte einsetzen:
"Wahrscheinlich haben diese Polizistinnen den Geschmack der Gewalt in
ihren Familien kennen gelernt. Sie wissen auch nicht, was sie gegen die
ungerechten Scheidungsgesetze machen sollen und das herrschende
Arbeitsgesetz unterdrückt in der Tat alle Frauen. Wie könnten wir denn
wirklich davon ausgehen, dass es unter den iranischen Polizistinnen
keine gibt, die sich wegen des Scheidungsgesetzes nicht von ihrem Mann
trennen kann. Wie könnten wir glauben, dass wenn eines Tages die Tochter
einer dieser Damen getötet wird, diese zufrieden sein würde, wenn das
Blutgesetz ihrer Tochter nur als halb so viel Wert gilt. Und wie könnte
sie damit zufrieden sein, dass wenn sie den Mörder bestrafen wollte, das
Gesetz sie zwingt, das zweifache Blutgeld zu zahlen [...]. Wie kann eine
Polizistin nur damit zufrieden sein, dass sie nach dem Tod ihres Mannes
nur 1/8 seines Erbes bekommt? [...] Es ist sehr traurig, dass die
Polizistinnen kraft ihrer männlichen Gewalt gegen Frauen vorgehen, die
sich friedlich für die Freiheit einsetzen." [6]
Die Organisation "Adware Tahkime Daneshamukhtegan" [Arbeitslose
Akademiker] veröffentlichte nach der gewalttätigen Zerschlagung der
Frauenprotesten eine Erklärung, die wir teilweise dokumentieren:
"In den letzten Wochen hat Iran eine der schwersten
Unterdrückungsmaßnahmen des Staates gegen zivilgesellschaftliche Kräfte,
die für Demokratie und Menschenrechte eintreten, erlebt. Wir alle
konnten miterleben, wie die Sicherheitskräfte und die juristischen
Instanzen des Herrschaftssystems zusammenwirkten, um die Freiheitsrufe
der Studenten, der Professoren, der Frauen, der Arbeiter und der anderen
zivilgesellschaftlichen Aktivisten zum Schweigen zu bringen. Dabei
forderten diese lediglich ihre legalen Rechte. Zwar behaupten die
staatlichen Ordnungskräfte, die Rechte der Bürger verteidigen zu wollen,
sie haben jedoch gezeigt, dass sie im Gegenteil die Ursache von sozialer
Unsicherheit und Unruhe im Iran sind.
Wir erinnern uns noch bitter an die Aktivitäten der Arbeiter, die ihre
verbrieften gewerkschaftlichen Rechte forderten. Wir haben auch noch
nicht vergessen, dass Dr. Ramin Jahanboqlu [7] unter falschen Vorwürfen
der Zusammenarbeit mit Fremden verhaftet worden ist. Nun wurden auch
weitere Studenten und Professoren verhaftet und man versucht die
islamischen Studentenorganisationen dadurch aufzulösen, indem die
studentischen Wahlen verboten werden.
Das Ergebnis des zivilgesellschaftlichen Widerstandes der Studenten endete
mit Verhaftungen, die eher Entführungen gleichkamen. [...]
Das letzte Beispiel solch repressiver Maßnahmen war die Zerschlagung der
friedlichen Protestversammlung der Frauen. Sie wandten sich gegen die
diskriminierenden Gesetzte gegen Frauen und forderten Menschenrechte für
Frauen. Man ging in einer bisher unbekannten Härte gegen diese Proteste
vor. [...]
Staatliche Ordnungskräfte und zivil gekleidete Sicherheitsbeamte schlugen
mit Knüppel auf die Demonstranten ein und setzten dabei Tränengas ein.
[...]
Tatsächlich müssen wir dieses Land beweinen, das seine Frauen, Mütter und
Töchter der Gesellschaft schlägt, ins Gefängnis wirft, nur weil sie mehr
Rechte für die Frauen fordern.
Wir müssen dieses Land beweinen, das sogar einen ehemaliges
Majlessmitglied schamlos verhaftet.
Wir müssen dieses Land beweinen, das eher das Schweigen zulässt, das all
seine Kräfte des Fortschritts, seien es Studenten, Professoren, Anwälte,
Schriftsteller oder Arbeiter als Handlanger der Fremden bezeichnet. [8]"
Iran Emroooz meldete, dass unabhängig von der Verhaftung der Demonstranten
inzwischen mindestens fünf Mitglieder der studentischen Organisation der
Daftare Tahkim und zwei Mitglieder der ebenfalls studentischen
Organisation der Adware Tahkime Daneshamukhtegan verhaftet worden seien.
[9]
Der iranische Justizminister, Haj Aqa Karimirad, warf den Demonstranten
vor "im Vorfeld der Sitzung der Menschrechtskommission der Vereinigten
Nationen ein falsches Bild der Menschenrechtslage im Iran zu liefern."
[10]
Dr. Wahied Wahdat-Hagh ist Politikwissenschaftler und
Mitarbeiter von MEMRI.
Anmerkungen:
[1] Die jungen Männer sind erst ab 15 Jahren strafmündig.
[2] Peyke Iran, 13.6.2006.
[3] Iran Emrooz, 12.6.2006.
[4] Photos der Demonstration, Siehe:
http://web.peykeiran.com/new/women/women_news_body.aspx?ID=1706
[5] Roozonline, 15.6.2006.
[6] Roozonline, 14.6.2006.
[7] Vgl. dazu auch :
http://www.memri.de/uebersetzungen_analysen/2006_02_AMJ/
iran_jahanboqlu_17_05_06.html
[8] Akhbare Rooz, 13.6.2006.
[9] Iran Emrooz, 13.6.2006.
[10] Sharq, 14.6.2006.
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