Picknick in der Todeszone:
Weiter Fragen zu dem Tod der Familie am Strand
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Der Tod von sieben Angehörigen der Rhalia Familie beim
Picknick sorgt weiterhin für Schlagzeilen, anderthalb Wochen nach dem
weiterhin ungeklärten Vorfall. Am Freitag vor einer Woche hatte sich eine
Familie aus Beth Lahija am Strand wenige hundert Meter südlich der
ehemaligen Siedlung Dugit aufgehalten. Durch eine Explosion, deren Ursache
weiterhin umstritten ist, wurden sieben Menschen getötet und weitere
verletzt.
"Die palästinensische Version hat sich weiterentwickelt",
bestätigt Barbara Doherty von Human Rights Watch (HRW) im Gespräch mit
diesem Korrespondenten. Erst hieß es, die Israelis hätten vom Meer her
geschossen. Als "Beweis" zeigte das palästinensische Fernsehen Filmaufnahmen
der Marine. Doch als sich herausstellte, dass diese Aufnahmen viele Stunden
vor dem Vorfall freigegeben worden waren, hieß es, dass eine Flugzeugrakete
die Familie getroffen habe. Jetzt gilt es bei den Palästinensern als
"nachgewiesen", dass es eine israelische 155 mm Artilleriegranate gewesen
sein muss.
General Meir Klifi hat eine israelische Untersuchung geleitet und bei einer
Pressekonferenz am Mittwoch einen zweiten Splitter vorgeführt, den Ärzte des
Ichilov-Hospitals aus einem der vier Verletzten herausoperiert haben.
"Einwandfrei und über jeden Zweifel erhaben stammen die Splitter nicht von
israelischer Artilleriemunition", behauptete der General. Der Präsident der
Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, reagierte umgehend: "Ich glaube keiner
israelischen Erkenntnis. Nur eine internationale Untersuchung kann mich
überzeugen." Auch HRW besteht auf einer internationalen Ermittlung, zumal
die Israelis palästinensische "Erkenntnisse" nicht berücksichtigt hätten.
Am Mittwoch Morgen teilte das Ichilov-Krankenhaus mit, dass die
Schwerverletzten "viele lebensgefährdende Wunden aufwiesen, die nicht von
Splittern stammen". Es handelte sich um "Wunden infolge chirurgischer
Eingriffe", offenbar um Splitter zu entfernen.
Neben dem Ursprung der Splitter ist auch der Zeitablauf der Ereignisse
umstritten. HRW hat gemäß seiner neuesten Pressemitteilung herausgefunden,
dass die ersten Verletzten um 17:05 Uhr ins Krankenhaus eingeliefert wurden.
Unbestritten ist wohl die israelische Angabe, den Strand bis 16:50 Uhr
beschossen zu haben. Wie und wann der Kameramann, der die schreiende Huda
Rhalia bei der Entdeckung ihres schon mit einer Decke verhüllten Vaters
gefilmt hat, zum Strand gelangte, ist unklar. "Wahrscheinlich mit der ersten
Ambulanz", meint Doherty. Sollten die Angaben von HRW stimmen, dann müssten
Kameramann und Ambulanzen schon am Strand gewesen seien, als die Israelis
immer noch das Gelände beschossen. Irritiert und verärgert fragte Doherty:
"Wollen Sie etwa behaupten, dass die Familie sich am Strand aufhielt,
während das Gebiet bombardiert wurde?"
Da stellt sich die Frage, warum der Kameramann das nicht gefilmt hat und
kein palästinensischer Sanitäter Zeuge des Beschusses geworden war. "Wir
haben die Zeugen nicht danach befragt", gestand Doherty, obgleich gerade der
von HRW veröffentlichte Zeitablauf diese Frage umso dringlicher macht. Ein
israelischer Militärsprecher bestätigte: "Unsere letzte Granate schlug um
16:48 Uhr etwa 200 Meter von der Stelle entfernt ein, wo die Familie
getroffen wurde. Wir können nachweisen, dass von diesem Gebiet aus immer
wieder Kasamraketen abgeschossen werden. Wir haben die Bevölkerung mit
Flugblättern gewarnt, sich nicht in dieses Gebiet zu begeben."
Auch Doherty von HRW bestätigte, dass von diesem Strand aus Kasamraketen
abgeschossen würden. "Aber die Israelis bombardieren den mit vielen alten
Kratern übersäten Strand meistens nachts. Deswegen fühlte sich die Familie
wohl sicher, dort Picknick zu machen."
So bleibt weiter offen, was die Familie getötet hat, wann sich die Explosion
ereignete und warum sich die Familie in eine Zone begab, die offenbar von
Palästinensern wie Israelis für den gegenseitigen Beschuss missbraucht wird.
Noch unklarer ist, wieso Israel nur in diesem Fall eine Eigenverantwortung
abstreitet, während es allein in den zehn Tagen seit diesem Vorfall den Tod
von über einem Dutzend Zivilisten, darunter Kindern, als "Kolateralschaden"
oder peinlichem Versehen eingestanden. Umgekehrt fragt sich, wieso die
Palästinenser ausgerechnet wegen dem Tod dieser sieben Angehörigen einer
Familie, Israel wegen "Kriegsverbrechens" vor dem internationalen
Gerichtshof verklagen wollen, nicht aber wegen hunderter anderer Zivilisten,
deren Tod Israel verursacht und offen eingestanden hat. |