Gaza:
Schwierige Untersuchung des "Massakers"
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Die Untersuchung des "Massakers" am Strand von Gaza,
bei dem am Freitag sieben Mitglieder einer Familie getötet wurden, gestaltet
sich schwierig. Die der Fatah nahestehende palästinensische
"Präventivsicherheit" gelangte kurz nach dem Vorfall zum Strand. Aber bis
dahin hatten schon Hamasleute fast alle Spuren der Explosion entfernt,
darunter Splitter und Reste des Sprengstoffs.
Obgleich die Rede von mehreren Explosionen war, befindet
sich am Strand nur ein einziger Krater, so palästinensische Angaben. Dieser
Krater sei aber nicht tief und groß genug, um von einer Panzergranate zu
stammen, meinten israelische Experten, aufgrund der palästinensischen
Erkenntnisse. Die palästinensische Polizei verweigerte zunächst eine
Kooperation mit Israel, ist inzwischen aber doch bereit, bei den
Ermittlungen mitzuhelfen.
Während Premierminister Ehud Olmert bei der
Kabinettssitzung am Sonntag erneut von einem "innerpalästinensischen
Ereignis" redete, womit ein palästinensischer Sprengsatz oder eine
fehlgeleitete Kassamrakete gemeint sein könnte, erwähnten israelische
Militärs eine im Meer schwimmende Mine, die an den Strand gespült worden
sein könnte und explodiert sei, als Kinder mit ihr spielten.
Inzwischen haben die Palästinenser den zunächst
verschwiegenen Zeitpunkt der Explosion am Strand übermittelt. Gemäß
israelischen Angaben habe die Artillerie zu dem Zeitpunkt nicht mehr den
Norden des Gazastreifens beschossen, wie das fast täglich geschieht, um
radikale Palästinenser aus dem Gebiet fernzuhalten, damit keine
Kassamraketen auf strategisch wichtige Ziele wie das Kraftwerk bei Aschkelon
geschossen werden können. Das Kraftwerk steht nur wenige Kilometer von der
Nordgrenze des Gazastreifens entfernt und wurde schon mehrmals von Raketen
getroffen. Die Israelis hatten zuvor schon einen Beschuss des Strandes vom
Meer oder aus der Luft ausgeschlossen.
Israels Regierungssprecher Raanan Gissin warnte davor, vorschnell die
Verantwortung für den Vorfall zu übernehmen, wie am zweiten Tag der
Intifada, als vor laufender Kamera Muhammad al Dura bei der
Netzarim-Kreuzung in den Armen seines Vaters seinen Schussverletzungen
erlag. Al Dura ist zur Ikone der Intifada geworden. Das Bild seine Todes
wurde sogar als Motiv für Briefmarken in der arabischen Welt verwendet.
Mehrere Untersuchungen der Schießerei bei Netzarim Ende September 2000
ergaben, dass al Dura vermutlich von palästinensischem Maschinengewehrfeuer
und nicht von israelischen Kugeln getroffen wurde.
Völlig aufgeklärt ist der Todesfall dieses 12-jährigen
Jungen jedoch bis heute nicht, zumal die palästinensische Polizei eine
eingehende Untersuchung für "überflüssig" hielten, "weil doch klar ist, wer
der Schuldigen ist". Kein anderer Vorfall während der ganzen Intifada hat
dem Ansehen Israels so geschadet wie der Tod von Muhammad al Dura. "Deshalb
sollten wir jetzt das Untersuchungsergebnis abwarten und nicht wieder
vorzeitig ein Schuldbekenntnis abgeben", sagte Gissin nach der
Kabinettssitzung.
Israel hat angeboten, die schwerverletzten Opfer des Vorfalls am Strand von
Gaza in seinen Krankenhäusern zu behandeln. Huda Ralia, das zwölfjährige
Mädchen, das gefilmt wurde, wie es am Strand seine Familienangehörigen sucht
und "Papa ist tot, er ist tot" ruft, wurde inzwischen vom
Hamas-Premierminister Ismail Hanije adoptiert. Palästinenserpräsident
Mahmoud Abbas nutzte am Samstag bei einer weltweit im Fernsehen
ausgestrahlten Rede die Gelegenheit, Israel eines Kriegsverbrechens und des
vorsätzlichen Mordes an unschuldigen Zivilisten zu bezichtigen. |