2. - 16. Juli 2006 :
3rd KlezMORE Festival Vienna
Von Manfred Horak
Was vor zwei Jahren als Versuch startete,
nämlich, ob Wien reif für ein Musikfestival mit jüdischer Musik ist, geht
nunmehr bereits ins dritte Jahr. Ausgangspunkte für das 3rd KlezMORE
Festival Vienna sind auch heuer wieder vornehmlich Spielstätten im 1. und 2.
Bezirk (mit aus guten Gründen wenigen Ausnahmen).
Sollte sich jemand die Frage stellen, warum
ein Klezmer-Festival, noch dazu eines, das sich KlezMORE nennt, so sei
zunächst einmal auf eine Begriffserklärung für diesen Musikstil hingewiesen,
der da lautet: "Klezmer - eine Musik, die eindeutig zu erkennen ist und sich
doch ständig verändert". So viel zum "MORE" im Festivalnamen. Es gilt
nämlich die "Old Routes" und die "New Ways" quasi herauszufiltern, oder, um
den österreichischen Dichter und Publizisten Joseph Roth aus seinem
meisterhaften Essay "Juden auf Wanderschaft" aus dem Jahr 1927 (!) zu
zitieren:
" Es
gibt nämlich gute jüdische Musiker im Osten. Dieser Beruf ist erblich.
Einzelne Musiker bringen es zu hohem Ansehen und zu einem Ruhm, der ein paar
Meilen über ihre Heimatstadt hinausreicht. Einen größeren Ehrgeiz haben die
echten Musiker nicht. Sie komponieren Melodien, die sie, ohne von Noten eine
Ahnung zu haben, ihren Söhnen vererben und manchmal großen Teilen des
ostjüdischen Volkes. Sie sind die Komponisten der Volkslieder. Wenn sie
gestorben sind, erzählt man noch fünfzig Jahre lang Anekdoten aus ihrem
Leben. Bald ist ihr Name verschollen und ihre Melodien werden gesungen und
wandern allmählich durch die Welt."
Viele Bands, die bei KlezMORE
auftreten, nehmen eben diese Volkslieder als Ausgangspunkt, um daraus etwas
Neues zu schaffen. Sei es in der Vermengung divergierender Musikstilen, sei
es unter Hinzufügung neuer Melodien oder Melodielinien. Andere Bands
wiederum, die bei KlezMORE zu hören sein werden, rütteln erst gar nicht an
den alten Originalen, sondern beleben diese möglichst getreu wieder. Man
sollte sich aber nicht täuschen lassen, denn was manchmal nach z.B.
DJ-Clubsound klingt, kann durchaus auf Klezmer aus den 1920er Jahren
basieren. Aber auch umgekehrt im Falle traditionell wirkender Musik. Sie
alle sind Bewahrer und Vorantreiber, die aus einem unermesslich großen
Archiv die jeweils notwendigen Ingredienzien rauspicken, die halt so
gebraucht werden, um ihre Musik alterslos zu machen.
Ein Paradebeispiel dafür ist
die Band The Klezmatics,
die bei der großen Eröffnungsgala am
2. Juli im Porgy & Bess
aufspielen werden. Der klezmatische
Gangsta-Folk der in New York beheimateten Formation kann ohne Übertreibung
zu den besten Live-Acts gezählt werden. Die Fusion jiddish-traditioneller
Lieder und Jazz gelingen ihnen wie kaum anderen, die Bläsersätze mit dem
tanzbeinjuckenden Groove in bester Klezmer-Tradition sind soundso eine
Klasse für sich. "Tradition
muss stets verändert werden", sagte
Ex-Klezmatic-David Krakauer einmal in einem Interview, "sonst
bleiben nur Museen übrig."
Frank London, Matt
Darriau & Co machen es vor wie man KEIN Museumswärter
von Klezmer wird. Am selben Abend – deshalb auch große Eröffnungsgala – wird
auch, dieser Ruf eilt ihnen voraus, die beste deutsche Klezmer-Band erstmals
in Wien zu hören sein:
Aufwind.
Am nächsten Tag, also am
3. Juli
begibt sich das KlezMORE-Festival in das
Jüdische Gemeindezentrum.
Frank London,
der tags zuvor bei The Klezmatics trompetete begibt
sich gemeinsam mit
Sänger Lorin Sklamberg und Pianist Rob
Schwimmer in liturgisch
angehaucht moderne jüdisch-israelisch-amerikanische Musikgefilde, basierend
auf die bei tzadik records veröffentlichte CD "Nigunim". Weiter geht es
hernach am 6. Juli in der
Kirche am Tabor mit zwei
Formationen, die garantiert eine Entdeckung wert sind. Das argentinische
Duo Lerner y
Moguilevsky
wird dem Publikum eine herausragende wie herausfordernde Gratwanderung
zwischen Klezmer, Film- und Bühnenmusik sowie argentinischer Folklore,
verpackt in schlichter, unspektakulärer Schönheit, wie geschaffen zum
Träumen und Wegdriften, serviert und mit der
Pressburger Klezmer Band
kommt eine Band nach Wien, die mit
Vitalität und Vielfalt, mit Eigenständigkeit und Differenziertheit all die
großen Sehnsüchte zu kennen scheint, die in Klezmer
steckt, mehr noch, Klezmer auf den Punkt bringt.
Mit
Konsonans
Retro und dem
Khupe Trio
wiederum spielen am
10. Juli in der Bunkerei im Augarten
zwei Bands, die für
Wiederbelebung traditioneller Klezmermusik sorgen.
Einerseits eine traditionelle Hochzeitsblaskapelle exklusiv aus Kodyma,
einer Provinz aus Odessa, mit einem Groove, der ungemein erdig und
raumgreifend ist, ruhig, gelassen, unverrückbar und unausweichlich stark.
Und andererseits ein Trio, das mit selbstverständlich erscheinender
Leichtigkeit einen künstlerischen Dialog von fast schmerzhafter Intensität
spinnt, der von der ersten bis zur letzten Sekunde fesselt.
Außergewöhnliches kommt auch
am darauf folgenden Doppelkonzertabend des
11. Juli in der Kirche Gaußplatz
zu Gehör wenn
Budowitz und
die Amsterdam Klezmer Band
aufspielen. Erstere bringen
Musikästhetik aus einer versunkenen Zeit auf die Bühne und zwar jenseits
aller Klischees und Post-Mix-Praktiken, dafür mit umso mehr gedämpften,
dissonanten Tönen und leicht asymmetrischen Rhythmen.
Zweitere eine Festivalband wie es sie nicht sehr häufig in dieser
Melangierung von flexibler Tanzblütigkeit und feurigen Melodien gibt. Ein
Cross-Over von Balkan-, Gypsy- und Klezmersounds als
pure Lebenslust, die in elementarer Weise das Wesentliche von Musik
wiedergibt: Gute Unterhaltung.
Am
12. Juli
finden sich zwei in Österreich beheimatete
Bands in der Kirche am
Gaußplatz ein. Beide Bands –
Kohelet 3 und
Nifty’s
- waren bereits bei der ersten Ausgabe von KlezMORE
engagiert. Drehen sich die Lieder im Repertoire von Kohelet 3 wie ein ewig
kreisender Kosmos um das Gleichzeitige und um die Vergänglichkeit der
Menschen, um sich mit lang gezogenen Tönen und Schleunigern jazzig,
folkig, leidenschaftlich der Existenzphilosophie zu nähern,
so bezieht sich Nifty’s auf zwei schillernde Figuren
aus der goldenen Zeit der Klezmermusik aus dem frühen
20. Jahrhundert: Naftule Brandwein und Dave Tarras. Wer nun an einen
möglicherweise geschichtsverklärten (oder –verklärenden) Klarinettenabend
denkt, irrt aber. Jazz, Klassik, Blues, Reggae, mit unumstößlichen
Improvisationen verziert, fließen nämlich in die Arrangements ein, die vor
allem eines zeitigen: dass Nifty’s keine
Brührungsängste kennt.
Fehlen noch die zwei
Abschlusskonzerte im
Porgy & Bess am 15. und 16. Juli.
Am vorletzten KlezMORE-Abend gastiert das
World Quintet
(die Band hieß früher einmal Kol Simcha)
in der Riemergasse, deren aktueller Tonträger "Selma
– in Sehnsucht eingehüllt" schlichtweg sensationell ist. "Die Welt"
verlieh der Band ob dieser Veröffentlichung das Prädikat "Eine Band der
Superlative". Was das Besondere ist? Es ist eine berührende Gedichtesammlung
von der mit 18 Jahren im KZ ermordeten Selma Meerbaum-Eisinger, gesungen und
rezitiert von u.a. Xavier Naidoo, Reinhard Mey, Ute Lemper, umgesetzt in
unvergesslichen Liedern mit jiddischen Melodien über markanten
Jazz-Harmonien. Im Anschluss daran gibt es noch zum Ausklang eine DJ-Line.
[dunkelbunt]
präsentiert dabei ein
breites Spektrum an traditioneller und reinterpretierter Musik vom Balkan.
Und auch der letzte KlezMORE-Abend bürgt für
ungewöhnlich hohe Qualität. Die österreichische Formation
Classic Jazzmer
z.B. ist der wahr gewordene musikalische
Mythos zwischen Walzer, James Bond, Jazz-Funk und Klezmertraditionen. Die
Bobe Maises Band
aus Israel hingegen variiert mit
köstlichen Jazz-Fusion-Spielflüssen im Klezmer-Tempo, dass es nur so eine
Freude ist. Zu hören gibt es letztendlich ordentlich
durchwachsene G’schichtln, freie Anekdoten, bei denen man nicht satt wird,
sie immer und wieder zu hören. Die hochdekorative Abschlussgala endet
übrigens stilvoll mit dem ungewöhnlichen Duo Samuel Alexander (E-Bass) und
Martin Oros (Schlagzeug) alias
3mravce feat. virtual klezmer stars,
das Klezmer-Tanzmusik vom Feinsten unter virtueller Teilnahme von bekannten
Klezmermusikern garantiert. Quasi frisch aus der Konserve.
Und um das Ganze abzurunden sei natürlich
auch noch auf das erfreuliche
Rahmenprogramm
hingewiesen. Nicht nur, dass es
drei sonntägliche
Klezmer-Brunche
im Gastgarten
Bunkerei/Awawa gibt – beim
ersten (am Tag der großen Galaeröffnung, nur halt zur Brunchzeit zu Mittag!)
spielt der Vollblutklezmerentertainer
Roman Grinberg
auf, beim zweiten am 9. Juli das hervorragende
Ensemble Klesmer Wien
und beim dritten am 16. Juli die
Unplugged-Version von Nifty’s, also
Nifty’s Light,
nein, es gibt noch viel mehr Rahmen im Programm. Zum Beispiel eine
Sonderführung durch die
Ausstellung "Die verlorene Insel. Als Schulen zu Gefängnissen wurden"
in der Gedenkstätte Karajangasse.
Alle weiteren Rahmenprogrammpunkte finden in
weiterer Folge im Zentrum im Werd statt: zum Beispiel die
Ausstellung "klezmer – hejmisch und hip",
sowie ein Tanzworkshop
mit Leon Plank,
des weiteren Geschichten von
Rabbi Nachman, erzählt und
gesungen von Aron
Saltiel und, last but not
least, eine Lesung mit
Topsy Küppers aus
ihrem Buch "Wolf Messing – Hellseher und Magier - zum Rabbiner bestimmt, zum
Hellseher berufen".
Seien Sie also auf der Hut beim KlezMORE
Festival. Es gibt verdammt viel zu entdecken. Sie werden staunen.
Programm und weitere Informationen:
www.klezmore-vienna.at
hagalil.com 27-06-2006 |