Karni:
Grenzübergang ohne Grenzverkehr
Von Ulrich W. Sahm "Palästinenser? Ich
habe noch nie einen gesehen und mit keinem gesprochen", sagt Miri von der
zivilen Flughafengesellschaft. Ihr Arbeitsplatz ist wohl der eigentümlichste
Grenzübergang der Welt: der Warenumschlagplatz Karni. Miri trägt ein weißes
Uniformhemd. Ihr Ausweis hängt um den Hals, ein Funkgerät am Gürtel. Die
Flughafengesellschaft betreibt fast alle Grenzübergänge Israels und hat
entlang der Grenze zum Gazastreifen die Armee abgelöst. Tonnenweise werden
da Waren nach Gaza und zurück transportiert, ohne dass sich Israelis und
Palästinenser je zu sehen bekommen. Eine vier
Stockwerke hohe graue Betonmauer steht exakt auf der Grenzlinie. Sie soll
dutzende in geraden Reihen geparkte, Sattelschlepper, Tanklastwagen und
Transporter von Mehl, Öl und Zement vor direktem Beschuss aus dem
Gazastreifen schützen. Ein Sicherheitsmann mit gelb reflektierender Jacke,
Schiebermütze und modischer Sonnenbrille will den Journalisten erst das
Fotografieren verbieten. Er stellt sich mit seinem Vornamen Schalom vor.
Dann begnügt er sich damit, dass nur Sicherheitsleute in dunkelbraunen
T-Shirts und ebenfalls mit Sonnenbrille getarnt nicht abgebildet werden
dürften. Jede andere Grenze der Welt, selbst zwischen Nord- und Südkorea,
ermöglicht wenigstens Sichtkontakt der verfeindeten Seiten. In Karni endet
die Welt an einer hohen Betonmauer.
Ein Sattelschlepper mit Paletten voller ägyptischer "Doktor Shekos Top
Snacks" parkt vor einem riesigen massiven Stahltor. Zwei flinke Gabelstapler
spießen eine Palette nach der Anderen auf und legen sie jenseits des
Stahltores in einer riesigen dachlosen Halle aus Betonmauern ab. Wenige
Minuten später, schließen die Israelis das Stahltor und öffnen das Tor zur
palästinensischen Seite. Von dort sammeln palästinensische Gabelschlepper
die Paletten wieder ein und laden sie auf ihre Lastwagen. Die Schleuse
verhindert jeglichen physischen Kontakt beider Seiten.
Ein paar "Hallen" weiter stecken Rohre in der Betonmauer. Auf nummerierten
Schildern steht über den Rohren die Beschreibung des flüssigen
Rohstoffstoffs, der zur anderen Seite gepumpt werden kann: Benzin,
Terpentin, Zementzusatz, Speiseöl und CO2. Den Warentransfer erledigen die
Lastwagenfahrer selber. Der Israeli ruft per Handy seinen palästinensischen
Partner an. Sowie auf beiden Seiten die Schläuche an die Rohre angedockt
sind, werden die Ventile geöffnet. Genauso werden über Fließbänder Weizen
und Mehl von Israel nach Gaza transportiert.
Der Verbindungsoffizier Oberst Nir Press erklärt: "Bis zu 350 Lastwagen
werden hier in normalen Zeiten umgeladen." Die Waren von Israel nach Gaza
brauchen nicht geprüft werden, zumal es dank der Osloer Verträge eine
Zollunion gibt und die Waren frei die Grenze passieren können. Aus Gaza,
wenn keine akute Anschlagsdrohungen anstehen, kommen nur 30 Lastwagen pro
Tag: Gemüse für das Westjordanland, Möbel und Textilien, für den
israelischen Markt und sogar Eiscreme. Hinzu kommen noch 70 leere Container,
die nach Israel zurückgeschickt werden. Alles wird durchleuchtet, damit
keine Waffen, Menschen oder Sprengstoff geschmuggelt werden kann.
Täglich werden 450 Tonnen Mehl in Gaza konsumiert. Als es aus
"Sicherheitsgründen" zur Schließung von Karni kam, wurde Mehl über den
Übergang "Kerem Schalom" nach Gaza gebracht, nachdem internationale
Organisationen vor einer "drohenden Hungersnot" warnten. "Mehr als
kurzfristige Engpässe kann es nicht gegeben haben", sagt Oberst Press. "Als
13.500 Tonnen rübergeflossen sind, baten die Palästinenser, die Lieferungen
zu bremsen." Press ist überzeugt: "Das war eine künstliche Krise."
Am Mittwoch morgen war eine laute Explosion bei Karni zu hören. Zunächst
wussten weder Israelis noch Palästinenser, was es war: eine Panzergranate,
eine Kasamrakete oder ein Blindgänger? Sofort wurde der Warenverkehr
unterbrochen. "Warum die Palästinenser immer wieder Karni angreifen verstehe
ich nicht, denn schließlich schaden sie sich doch nur selber, wenn sie weder
Benzin noch Öl oder Zement erhalten", sagt Press. Am 16. April fingen die
Palästinenser auf ihrer Seite zwei verdächtige Fahrzeuge ab. Drei bewaffnete
Männer konnten flüchten. Ein Auto war mit 500 Kilo Sprengstoff beladen und
wurde von den Palästinensern kontrolliert gesprengt. "Wäre dieses Auto in
einer der Umladehallen explodiert, gäbe es hier heute nicht mehr viel zu
besichtigen", meint Oberst Press. Vor einem Jahr gab es den bisher
schlimmsten Zwischenfall, als Palästinenser ein Loch in die Betonmauer
sprengten und dann Feuer auf die israelischen Arbeiter im Terminal
eröffneten. Es gab mehrere Tote. Monatelang blieb Karni weitgehend
geschlossen, weil die Israelis Informationen über den Bau eines Tunnels
hatten, mit dem tonnenweise Sprengstoff unter das Terminal gebracht werden
sollten, um den Grenzübergang zu zerstören.
"Selbst wenn alle Grenzübergänge aus Sicherheitsgründen geschlossen sind,
gibt es immer die Möglichkeit humanitäre Notfälle wie kranke Menschen oder
auch Medikamente durchzulassen. Wenn nicht in Karni, dann eben beim Übergang
Erez, der eigentlich nur für Menschenverkehr vorgesehen ist", sagt Nir
Press, der Verbindungsoffizier. |