"Gefangenendokument":
Implizite Anerkennung Israels
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Prominente palästinensische Gefangene aller Fraktionen,
von der nationalistischen Fatah bis zur islamistischen Hamas, haben am 26.
Mai ein Dokument veröffentlicht, zu dem Präsident Mahmoud Abbas eine
Volksbefragung veranstalten wollte. Hamas hielt das Referendum für
"illegal". Abbas und Premierminister Ismail Hanija (Hamas) scheiterten
vorläufig bei ihren Verhandlungen über strittige Punkte, mit dem Ziel, eine
"Regierung der Nationalen Einheit" einzurichten um einen Bürgerkrieg
abzuwenden. Abbas wollte die Hamas entmachten, während die Hamas ihre
politische Ideologie umsetzen will, ohne ihren Wahlsieg durch ein Referendum
rückgängig machen zu lassen.
In dem Dokument heißt es: "Das palästinensische Volk im Heimatland und in
der Diaspora streben an, ihr Land zu befreien und ihr Recht auf Freiheit,
Rückkehr (der Flüchtlinge) und Unabhängigkeit und das Recht auf
Selbstbestimmung zu erlangen, mitsamt dem Recht, ihren unabhängigen Staat
mit Al-Quds al-Scharif (Jerusalem) als Hauptstadt in sämtlichen seit 1967
besetzten Gebieten zu errichten, das Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge zu
sichern und alle Gefangene und Verhaftete zu befreien, begründet auf dem
historischen Recht unseres Volkes auf das Land der Väter und Großväter und
begründet auf die UNO-Charter und internationales Recht und internationale
Legitimität."
Aus diesem Paragrafen hat die internationale Presse eine "implizite" oder
"indirekte" Anerkennung Israels konstruiert und zum Hauptanliegen dieses
Dokuments gemacht. Doch der Konflikt mit Israel ist hier eher nebensächlich.
Das Papier entstand unter dem Eindruck eines Machtkampfes und eines
drohenden Bürgerkriegs. Es geht um den Versuch, "nationale Einheit" zu
erlangen, um alle Kräfte für den Kampf gegen die "israelische Aggression" zu
einen.
Was bedeutet eigentlich "implizite" oder "indirekte" Anerkennung? Hat die
Volksrepublik China Taiwan "implizit" anerkannt, weil es
Familienvereinigungen akzeptiert? Hat Syrien den Libanon "indirekt"
anerkannt, als es seine Truppen abzog? Wohl kaum, denn bis heute gibt es
keine syrische Botschaft in Beirut. Syrien hält an der Politik fest, die
einstige osmanische Provinz (Vilajet) Syrien, für sich zu beanspruchen. Dazu
gehören der Süden der Türkei mit Antiochien (Antakya), Libanon und Palästina
mitsamt Jordanien, Israel und den besetzten Gebieten. Zwischen der Macht des
Faktischen und einer Anerkennung liegt eine tiefe Kluft.
Der oben zitierte Paragraf kann eher als Aufruf zur Nicht-Anerkennung
Israels und Zerstörung des jüdischen Staates verstanden werden. Das Recht
auf Rückkehr der Flüchtlinge käme einer Überschwemmung des jüdischen Staates
mit acht Millionen Arabern gleich. Bei nur 5 Millionen israelischen Juden
wäre nicht mehr viel übrig von einem jüdischen Staat.
Wenn in einem palästinensischen Dokument von "historischen Rechten" die Rede
ist, von "Heimatland" oder vom "Land der Väter und Großväter", dann sind
nicht nur der überfüllte Gazastreifen mit seinen Flüchtlingslagern, Nablus
oder Ramallah gemeint. Die Väter und Großväter lebten in Haifa, Jaffo und
Ramleh. Die Palästinenser bezeichnen deren Vertreibung als
völkerrechtswidrig gemäß UNO-Resolutionen und der "internationalen
Legitimität", was immer das bedeuten mag. Eine Erwähnung der Großväter und
historischen Rechte wären in einem solchen Dokument überflüssig, wenn es nur
um die Errichtung eines palästinensischen Staates "in den 1967 besetzten
Gebieten" ginge. Auf Deutschland übertragen würden die genannten Begriffe
Assoziationen mit Königsberg und Schlesien wecken und nicht mit Bayern oder
Ostfriesland.
Die Absicht, einen "unabhängigen Staat mit Al-Quds al-Scharif (Jerusalem)
als Hauptstadt in sämtlichen seit 1967 besetzten Gebieten zu errichten"
bedeutet keineswegs Verzicht auf "historische Rechte" oder auf das
"Heimatland". Solange da keine Anerkennung Israels ausformuliert ist, was
die Voraussetzung für die Osloer Verträge zwischen Israel und der PLO war,
sollte da eine "indirekte Anerkennung" weder herein noch herausgelesen
werden.
Angemerkt sei auch, dass das Gefangenenpapier ausdrücklich von einem "Kampf
für Freiheit" zur "Befreiung von Westbank und Jerusalem", von "Widerstand"
und einer "Neubewertung der besten Methoden, der Besatzung zu widerstehen"
spricht. Das "Recht des palästinensischen Volkes auf Widerstand und das
Festhalten an der Widerstandsoption mit unterschiedlichen Mitteln" bedeutet
"bewaffneter Widerstand" oder "Terror", wie das die Israelis nennen. Dieser
"Widerstand" solle sich auf die "besetzten Gebiete von 1967" konzentrieren,
was Jerusalem einschließt. "Neben" diesem auf bestimmte Gebiete beschränkten
"Widerstand" solle es "politische Aktion, Verhandlungen und diplomatische
Aktivitäten" geben.
Das "Widerstand" weder Politik noch Verhandlungen oder Diplomatie bedeutet
könnte klarer nicht formuliert werden. Den Autoren ging es offenkundig
darum, Terroranschläge im Kernland Israels zu unterbinden, und auf die
besetzten Gebiete zu beschränken. Die Befürwortung von Gewalt, auch "nur" in
Jerusalem und den übrigen besetzten Gebieten, steht in jedem Fall im
Widerspruch zu den Osloer Verträgen und zur Roadmap.
Eine sehr verkürzte deutsche Übersetzung des
Gefangenenpapiers und eine vollständige englische Übersetzung können auf
folgender Homepage eingesehen werden:
http://www.usahm.info/Dokumente/prisoners.htm |