Boykott aus England:
Vom Platz gestellt
Die britische Gewerkschaft der
Hochschullehrer fordert ihre Mitglieder zum Boykott israelischer Akademiker
auf, die sich nicht offiziell von der Politik ihres Landes distanzieren.
Von Arie Moscovici
Jungle World 23 v.
07.06.2006
Die Vorwürfe ähneln sich meist. Israel sei ein
"kolonialistischer Staat", der eine "brutale Expansionspolitik" betreibe.
Das gehört im Weltbild mancher Zeitgenossen zu dem, was unter "berechtigter
Israelkritik" verstanden wird.
Von diesem Recht, den israelischen Staat zu "kritisieren", machten am Montag
vergangener Woche auch die organisierten britischen Akademiker Gebrauch. Die
National Association of Teachers in Further and Higher Education (NATFHE),
mit 67 000 Mitgliedern die größere der beiden Interessenvertretungen von
Hochschullehrern, verabschiedete eine Boykottresolution gegen Israel.
Beschlossen wurde, die Zusammenarbeit mit israelischen Akademikern
aufzugeben, die sich nicht öffentlich von Israels "Apartheid-Politik"
distanzierten. "Dazu gehören der Bau der Ausgrenzungsmauer und die
diskriminierenden Praktiken in der Ausbildung", heißt es in der Erklärung.
Bereits im April vorigen Jahres hatte die zweite britische
Akademikergewerkschaft Association of University Teachers (AUT), die rund
40 000 Mitglieder vertritt, eine ähnliche Resolution verabschiedet, die zum
Boykott der Universitäten Bar Ilan und Haifa aufrief. Den beiden Hochschulen
wurde vorgeworfen, die "akademische Freiheit" zu unterdrücken. Dabei stellte
sich schon bald heraus, dass die konkreten Anschuldigungen gegen die
Hochschulen in keinem einzigen Fall korrekt waren. Die Resolution wurde
damals nach einem Monat zurückgenommen.
Anders als im vergangenen Jahr, als es um zwei spezielle Institutionen ging,
bezieht sich der neue Boykott, der trotz Protesten und
Unterschriftenpetitionen seitens amerikanischer, israelischer und jüdischer
Organisationen beschlossen wurde, auf alle Dozenten und akademischen
Einrichtungen in Israel.
Die Resolution der NATFHE fordert ihre Mitglieder zum "persönlichen Boykott"
israelischer Akademiker und Institutionen auf. Damit wird die bereits
bestehende Praxis des "individuellen Boykotts", die in den vergangenen
Jahren immer wieder für Skandale gesorgt hat, von der Gewerkschaft
legitimiert. Bewusst wurde dabei vermieden, die NATFHE selbst zum
Protagonisten des Boykotts zu machen, um juristische Probleme zu umgehen.
Nach der Resolution vom vorigen Jahr hatte die Universität Haifa der AUT mit
einer Klage gedroht. Deshalb äußerte sich der Generalsekretär der NATFHE,
Paul Mackney, vorsichtig zum Ergebnis der Abstimmung: "Die meisten von uns
sind über die Besatzung Palästinas verärgert, aber das ist nicht der
richtige Antrag, und es ist nicht der richtige Weg." Kritik am Boykott wurde
vor allem aus formalen Gründen geübt: Der Antrag sei von den einzelnen
Gewerkschaftsbezirken bislang nicht genügend diskutiert worden. Auch der
Sprecher der NATFHE, Trevor Phillips, versuchte, die Bedeutung der
Abstimmung klein zu reden. Die Resolution habe eher "beratenden" als
verbindlichen Charakter, sagte er.
Dennoch lässt sich nicht leugnen: Israel ist das einzige Land, gegen welches
in der NATFHE im vergangenen Jahrzehnt ein Boykott überhaupt erwogen wurde.
Gegen Kritik hat man sich deshalb bereits auf der Konferenz im vorigen Jahr
abgesichert. Dort wurde die Legitimität des Boykotts mit dem beliebten
Argument verteidigt, dass es nicht antisemitisch sei, die israelische
Politik zu kritisieren.
Die akademische Boykottbewegung gegen Israel in Großbritannien geht zurück
auf einen offenen Brief von Steven Rose, einem Professor für Biologie an der
Open University, aus dem Jahr 2002, der im Guardian veröffentlicht wurde.
Darin verlangte er zusammen mit seiner Frau Hilary ein Moratorium für alle
zukünftigen kulturellen und wissenschaftlichen Kontakte mit Israel auf
europäischer Ebene. Über 120 britische Akademiker unterschrieben ihn. Das
Ehepaar Rose taucht bis heute immer wieder in Publikationen und auf
Veranstaltungen der trotzkistischen Socialist Workers Party (SWP) auf. Auch
die Hauptinitiatorin des Boykottantrags in der AUT vom vorigen Jahr, die
Linguistin Sue Blackwell, war lange Zeit in der SWP aktiv. Die Mitglieder
dieser Gruppierung, deren deutscher Ableger unter dem Namen "Linksruck"
firmiert, versuchen traditionell größere Organisationen zu unterwandern und
zu steuern. Blackwell scheint in der AUT entsprechend vorgegangen zu sein:
Mit einer kleinen, aber gut organisierten Gruppe focht sie die
Resolutionsentwürfe damals zügig durch.
Die Resolution der NAFTHE ist in der Gewerkschaft selbst umstritten, scharfe
Kritik kommt auch von den Mitgliedern, die sonst gerne das Recht auf
"Israelkritik" gegen den Vorwurf des Antisemitismus verteidigen. Die Gruppe
"Engage" etwa, die auch im vergangenen Jahr eine entscheidende Rolle bei der
Aufhebung der Resolution der AUT spielte, kommt aus der Linken, die sich mit
den Palästinensern solidarisch zeigt.
Am Donnerstag der vergangenen Woche fusionierte die NATFHE wie geplant mit
der AUT. Wie sich dies auf den Boykottaufruf auswirken wird, ist noch
unklar. Für die neue Vereinigung sei der Beschluss nicht bindend, sagte
Phillips der israelischen Tageszeitung Ha’aretz.
Das Board of Deputies, die zentrale Vertretung der britischen Juden, sieht
in dieser Verschmelzung ein positives Zeichen und ist davon überzeugt, dass
die Resolution keine Zukunft habe. "Wir hoffen, dass nach der Vereinigung
mit der AUT gesunder Menschenverstand und Demokratie sich durchsetzen
werden", sagte Jon Benjamin, der Geschäftsführer der Organisation. Ob seine
Hoffnungen begründet sind, ist jedoch fraglich. Denn die AUT hat
mittlerweile ein Papier verabschiedet, welches zwar von einem Boykott abrät,
aber darin die Bedingungen benennt, unter denen durchaus "schrittweise"
Sanktionen verhängt werden können.
Selbst wenn die Boykottresolution nach der Vereinigung der beiden
Gewerkschaften aufgehoben werden sollte, hat ihr Initiator Tom Hickey sein
Ziel erreicht: ein großes Aufsehen nicht nur in der akademischen Welt,
sondern auch in den internationalen Medien. Positive Reaktionen fehlten
natürlich nicht. Von der Palestinian Campaign for the Academic und Cultural
Boycott of Israel etwa wurde die NATFHE für ihren Beschluss gelobt: "Dies
ist eine beträchtliche Leistung angesichts der Einschüchterungskampagne
gegen die Befürworter der akademischen Boykottinitiative durch israelische
Netzwerke und mächtige zionistische Lobbies im Vereinten Königreich und den
Vereinigten Staaten."
hagalil.com
26-02-2006 |