MEMRI Special Disptach – 12. Juni 2006
Abu Mazen:
"Wir wollen einen Staat in den Grenzen von 1967"
Nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen
Hamas und Fatah fand am 25. Mai eine Konferenz statt, die zur Versöhnung
und zur Etablierung eines inner-palästinensischen Dialogs führen sollte.
An ihr nahmen Führungskräfte der Hamas, der PLO und anderer Gruppen
teil.
In der Eröffnungsrede der Konferenz rief Mahmoud 'Abbas
(Abu Mazen) zur Gründung eines palästinensischen Staates in den Grenzen
von 1967 auf und bezog sich dabei auf das am 11. Mai 2006 von
palästinensischen Gefangenen verschiedener Bewegungen gemeinsam
verabschiedete "Nationale Versöhnungsdokument" (engl.: National Accord
Document). Falls die Hamas, so Abbas, dieses nicht anerkenne, würde er
es in einem Volksentscheid zur Abstimmung stellen. [1] Im Folgenden
dokumentieren wir Auszüge aus der Rede von Abu Mazen und eine
Zusammenfassung der wichtigsten Punkte des "Nationalen
Versöhnungsdokuments".
Eine vollständige englische Übersetzung des Dokuments
sowie Stimmen von Hamaspolitikern dazu finden Sie auf der
MEMRI-Homepage.
Abu Mazen fordert gerechte Lösung des
Flüchtlingsproblem auf Basis der UN- Resolution 194
In seiner Rede sagte Abbas: "Von der Hamas bis zur kommunistischen Partei
besteht ein allgemeiner nationaler Konsens darüber, dass wir einen
palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 wollen. [...] Das ist
es, was wir im Augenblick erreichen können und das ist es, was uns
gerade angeboten wird. Wir sprechen also nicht über unerreichbare
Träume. [...] Wir wollen einen unabhängigen, zusammenhängenden Staat, in
dem wir leben können. Wir wollen die Besatzung beenden, so wie es in
Bushs road-map festgelegt wurde." [2]
Abu Mazen forderte auch eine "gerechte und auf der Resolution 194
basierende Lösung für das Flüchtlingsproblem" und fügte hinzu: "Wir
hatten Recht damit, das Flüchtlingsproblem an oberste Stelle zu setzen.
Zum ersten Mal in der Geschichte des arabisch-israelischen Konflikts
betonen wir die Resolution 194, die viele Leute ablehnen oder
akzeptieren, ohne sie überhaupt je gelesen zu haben. [...] Meiner
Meinung nach ist diese Resolution noch viel wichtiger als die Resolution
242, weil sie sich mit dem Problem der palästinensischen Flüchtlinge
beschäftigt. In der Resolution heißt es, dass die, die nicht
zurückkehren wollen, entschädigt werden sollen. Das heißt, das Recht auf
Rückkehr steht an erster Stelle und das rechtmäßige Prinzip der
Entschädigung tritt dahinter zurück.
Und wenn wir von [einem palästinensischen Staat in den Grenzen von] 1967
sprechen, meinen wir ein Gebiet ohne Siedlungen. Ich bin gegen jeden
Stein, der seit 1967 auf unser Land gesetzt wurde." [3]
"Für einen Dialog verbleiben uns nur noch 10 Tage. Wir können nicht länger
warten, [...] die Situation ist unerträglich. [...] Dies soll keine
Drohung sein, ... [aber] wenn Sie zu keiner Einigung kommen, dann werde
ich innerhalb von 40 Tage durch einen Volksentscheid über das Dokument
abstimmen lassen. [...] Die Bevölkerung muss entscheiden [...], sonst
werden wir immer weiter sagen: 'Wir wollen alles haben - oder gar
nichts.' Unsere Heimat schwebt in tödlicher Gefahr. Wie entscheiden
Sie?"[4]
Das Nationale Versöhnungsdokument
Unmittelbar nachdem das "Nationale Versöhnungsdokument" am 11. Mai
veröffentlicht wurde, hatte Abu Mazen bereits erklärt, dass er die
"profunden und realistischen Ideen und Positionen der Gefangenen"
übernehme. [5] Offiziell vorgestellt wurde das Dokument im Rahmen der
Versöhnungs- und Dialogkonferenz von Ahmad Jbara Abu Al-Sukkar. Er
bezeichnete es als historisches Dokument und als Ausweg aus der
gegenwärtigen Krise. [6]
Das Dokument wurde im israelischen Gefängnis 'Hadarim' von
palästinensischen Gefangenen verschiedener Organisationen verfasst:
Marwan Al-Barghouti (Fatah), 'Abd Al-Khaleq Al-Natshe (Hamas), Mustafa
Badarna (PLF), 'Abd Al-Rahim Malluh (DFLP) und Bassam Al-Sa'di
(islamisches Jihad).
Im Folgenden dokumentieren wir die wichtigsten Punkte des Dokument (eine
vollständige Übersetzung ins Englische finden Sie auf unserer Homepage
): [7]
Das politische Programm
"Basierend auf den historischen Rechten unseres Volkes auf das Land
unserer Väter, basierend auf der UN-Charta und auf verschiedenen
UN-Resolutionen sowie anderen internationalen Gesetzen streben die in
der Heimat und in der Diaspora lebenden Palästinenser danach, ihr Land
zu befreien, ihre Rechte auf Freiheit, Rückkehr, Unabhängigkeit und
Selbstbestimmung - einschließlich ihres Rechts auf einen unabhängigen
Staat mit Jerusalem als Hauptstadt auf dem Gebiet von 1967 –
durchzusetzen, sowie das Rückkehrrecht für alle Flüchtlinge zu sichern
und alle Gefangenen zu befreien. [...]
Das Führen von Verhandlungen ist - basierend auf der Verpflichtung
gegenüber den nationalen Zielen und ihrer Verwirklichung – Vorrecht der
PLO und des palästinensischen Präsidenten. Jede Vereinbarung über
kritische Fragen sollte, wenn möglich, durch den neuen palästinensischen
Nationalrat oder durch eine Volksabstimmung ratifiziert werden [...].
Gegen die unser Volk unterdrückende Belagerung durch Israel und Amerika,
muss Widerstand geleistet und sie muss verurteilt werden. Die Führer und
die Bevölkerungen der arabischen Länder sind aufgerufen, das
palästinensische Volk, die PLO und die PA zu unterstützen. Sie sollten
die im Rahmen arabischer Gipfeltreffen zur Unterstützung des
palästinensischen Volkes getroffenen politischen, finanziellen,
ökonomischen und öffentlichkeitswirksamen Entscheidungen umsetzen [...]
Wir sollten darauf hinarbeiten, dass die Aktivitäten und die Präsenz
internationaler Solidaritätsgruppen und der Friedensbewegungen verstärkt
werden, um unsere Bevölkerung in ihrer entschlossenen Haltung und ihrem
gerechten Kampf gegen die Besatzung, die Siedlungen und den
rassistischen Trennungszaun [...] zu unterstützen und den Entscheid des
Internationalen Gerichtshofes von Den Haag über den Abbau des Zauns und
die Illegitimität der Siedlungen umzusetzen." [...]
Das Rückkehrrecht
"Unsere Bemühungen zur Unterstützung und zum Schutz der Flüchtlinge sowie
zur Verteidigung ihrer Rechte müssen verdoppelt werden. Es ist
notwendig, eine Konferenz mit Vertretern der Flüchtlinge zu
organisieren, in deren Rahmen das verpflichtende Recht auf Rückkehr
hervorgehoben und die internationale Gemeinschaft aufgerufen wird, die
UN-Resolution 194 umzusetzen, die das Recht der Palästinenser auf
Rückkehr sowie das Recht auf Entschädigung festlegt. [...]"
Der Widerstand
"Das palästinensische Volk hat das Recht, Widerstand zu leisten und an der
Option eines auf verschiedenen Wegen erfolgenden Widerstands
festzuhalten. Dieser sollte sich auf die 1967 besetzten Gebiete
konzentrieren und sowohl mit politischen und diplomatischen Aktivitäten
und Verhandlungen einher gehen als auch mit der Fortsetzung des
Widerstands der Volksmassen gegen die Besatzung [...].
Dazu muss eine vereinigte Widerstandsfront ereichtet werden, genannt die
'Palästinensische Widerstandsfront', die den Widerstand führt, vereint
und koordiniert und seine vereinigte politische Führung darstellt. [...]
Unser nationales Interesse verpflichtet uns dazu, die bestmöglichen
Mittel und Wege zu finden, um die Öffentlichkeit und die politischen
Kräfte aus dem gerade [befreiten] Gazastreifen in den Kampf um Freiheit,
Rückkehr, Unabhängigkeit und Befreiung der Westbank und Jerusalems
einzubinden. [...] Es ist ebenso eine heilige nationale Pflicht, auf
allen Wegen für die Befreiung der Gefangenen zu sorgen [...]."
Innenpolitische Fragen
"Auf der Basis dieses Dokuments sollte eine Regierung der nationalen
Einheit konstituiert werden, um die Mitarbeit aller Parteien im
Parlament zu gewährleisten, insbesondere der Bewegungen von Fatah und
Hamas aber auch aller anderen interessierten politischen Parteien. [...]
Es ist notwendig, die Umsetzung des Abkommens von Kairo vom März 2005
zur Förderung und Stärkung der PLO sowie zur Integration der Hamas und
des Islamischen Jihad in die PLO zu beschleunigen [...]. Das nationale
Interesse erfordert es, dass noch in diesem Jahr ein neuer Nationalrat
gegründet wird, der alle [politischen] Kräfte repräsentiert. [...] Die
PLO sollte als breite Front begriffen werden, als eine umfassende
nationale Koalition, als ein vereinter nationaler Rahmen für alle
Palästinenser in der Heimat und in Übersee und als oberste politische
Autorität [...].
Das demokratische System muss erhalten bleiben [...] – mit freien,
demokratischen und gesetzmäßig abgehaltenen Wahlen. Ebenso muss das
Prinzip des friedlichen Machtwechsels erhalten bleiben [...], sowie die
Anerkennung freier Wahlen und ihrer Ergebnisse und die Herrschaft des
Rechts, die Pressefreiheit und andere Freiheiten, gleiche Rechte und
Pflichten für alle Bürger, ohne Diskriminierung. Die Errungenschaften
von Frauen sollten geschützt und gefördert und weiter gestärkt werden.
[...]
Das palästinensische Volk soll aufgerufen werden, sich zu vereinen und die
Kräfte zu bündeln und sowohl PLO, PA, die Präsidentschaft als auch die
Regierung zu unterstützen. Die feste Haltung und der Widerstand gegen
die Aggression und die Besatzung sollten gestärkt und der Einmischung in
innere palästinensische Angelegenheiten entgegen getreten werden.
Der palästinensische Sicherheitsapparat und all seine Abteilungen muss
reformiert und modernisiert werden, um ihre Fähigkeit zur Erfüllung all
ihrer Aufgaben zu verbessern: die Verteidigung der Heimat und ihrer
Bevölkerung, der israelischen Aggression und Besatzung zu begegnen,
Sicherheit, Recht und öffentliche Ordnung zu gewährleisten und das durch
bewaffnete Gruppen und Paraden entstandene Chaos auf den Straßen zu
beenden [...]. Jede Spaltung und alles, was zum Bürgerkrieg führen
könnte, muss ausgeschaltet werden. Jeder Gebrauch von Waffen zur Lösung
innerer Konflikte muss verurteilt werden [...].
Die PA muss als Keimzelle des zukünftigen Staates verteidigt und gestärkt
werden [...]. Das höchste nationale Interesse verlangt, dass die
vorläufige Verfassung der PA und ihre Gesetze respektiert werden. Die
Verantwortlichkeit und die Autorität des Präsidenten [...] muss ebenso
respektiert werden, wie die Verantwortlichkeit und Autorität der
Regierung. [...] Es sollte eine umfassende Reform der PA-Institutionen
sollte geben, insbesondere im Justizwesen [...]."
Anmerkungen:
[1] Al-Hayat Al-Jadida (PA), 26. Mai 2006.
[2] Al-Hayat Al-Jadida (PA), 26. Mai 2006.
[3] Al-Hayat Al-Jadida (PA), 26. Mai 2006.
[4] Al-Ayyam (PA), 26. Mai 2006.
[5] Al-Hayat Al-Jadida (PA), 11. Mai 2006.
[6] Al-Ayyam (PA), 26. Mai 2006.
[7] Al-Ayyam (PA), 11. Mai 2006.
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