Nach außen strahlen, nach innen wirken:
Eine neue Ära der Gleichberechtigung?
Editorial von Yves Kugelmann, Tachles, 12. Mai 2006
Gleichberechtigung.
Gratulation nach Zürich zu einem würdigen, symbolträchtigen Anlass, der
zeigte, dass zumindest gegen außen eine neue Ära der Gleichberechtigung
beginnen könnte. Denn mit der Kantonsratseröffnung in der Synagoge der
Israelitischen Cutlusgemeinde Zürich zelebrierte die Züricher Regierung auf
Initiative von Kantonsratspräsident Hartmuth Attenhofer, was auf dem Papier
seit kurzem manifest ist: die öffentlich-rechtliche Anerkennung zweier
jüdischer Gemeinden im Kanton Zürich. Regierungsrat Markus Notter, der an
vorderster Front für die Anerkennung kämpfte und einstand, sprach von einem
Meilenstein im für die Juden mühevollen Weg zur Gleichberechtigung: Mit der
Feier werde ein Zeichen gesetzt zum friedlichen Zusammenleben von Menschen
verschiedener Herkunft und Überzeugung. Worte mit großer Bedeutung in
Zeiten, da Integrations-, Religions-, Kultur- und Ausländerdebatten vor
allem mit Schlagworten und weniger mit Bodenhaftung oder einem
Selbstverständnis geführt werden, das sich aus den verfassungsmäßigen
Grundrechten nährt.
Rechte. Die Symbolkraft aller
Voten von politischen und jüdischen Rednern am letzten Montag (vgl. S. 6)
wird in die Zukunft strahlen und gleichzeitig die Verantwortung von Behörden
gegenüber Minderheiten in ein neues Licht stellen. Worte, die Rechte und
Pflichten der Minderheiten justieren und denen jetzt von allen Seiten Taten
folgen müssen. Denn mit der Anerkennung werden die ICZ und die Jüdische
Liberale Gemeinde (JLG) auch in die Pflicht genommen, nach innen zu wirken
und politischen Debatten, dem Umgang mit pluralistischen Strömungen und der
nicht jüdischen Umwelt, eine neue Qualität zu geben. Das heißt, dass die
beiden Gemeinden auch die desolate Präsenz der Schweizer Juden auf
Bundesebene hinsichtlich zeitgemäßer, professioneller und
wirkungsorientierter Politik im Rahmen des Dachverbands oder des
Kooperationsabkommens mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund
nachhaltig beeinflussen müssen. Denn Hauptargumente für jüdisches Auftreten
in der Öffentlichkeit sollten nicht stets Abwehr, Konfrontation oder ein
paranoides jüdisches Selbstverständnis sein, sondern ein zivilcouragiertes,
aus der jüdischen Tradition genährtes, argumentatives und emanzipiertes
Politisieren ohne Samthandschuhe, aber mit entsprechendem Geschick. Denn die
jüdische Gemeinschaft hat viel mehr zu sagen in diesem Lande zu politischen,
kulturellen und gesellschaftlichen Fragen. Und so soll der Anlass in
Erinnerung rufen, dass Minderheiten, Mehrheitsgesellschaft und Behörden
selbstbewusst gerade auch dort aufeinander zugehen können, wo Differenzen
beglichen werden müssen.
Pflichten. Nach außen zu
strahlen ist allerdings einfacher, als nach innen zu wirken und
Verantwortung zu übernehmen. Mit selbstkritischen Worten redete
JLG-Präsidentin Nicole Poëll nicht schön, dass innerhalb der jüdischen
Gemeinschaft Differenzen bestehen. Der Umbruch der jüdischen Landschaft der
Schweiz und der Bruch innerhalb der etablierten Gemeinden stellen die Juden
der Schweiz vor die Bewährungsprobe. Ob sie diese bestehen, wird sich nicht
alleine an schönen Worten, sondern an bitter nötigen Taten – die für die
Zukunft unerlässlich sind – messen lassen.
http://www.tachles.ch
hagalil.com 12-05-2006 |