Regierungsbildung:
Polen bekommt rechtes Gruselkabinett
Nationalkonservative bilden
mit Rechtsradikalen und Rechtspopulisten Regierung, um die für ihre
"moralische Revolution" nötige Mehrheit im Parlament zu bekommen.
Schuld an diesem neuen Kabinett sollen allein die
Liberalkonservativen sein
Aus Warschau Gabriele Lesser
Die Hand zum Hitlergruß erhoben, ein volles
Bierglas in der Hand - das waren keine deutschen Nazis, sondern
polnische. Ende 2005 schockierten diese Bilder Polen. Auf den
Bildern waren Abgeordnete der rechtsradikalen Liga der polnischen
Familien (LPR) zu sehen und feixende Mitglieder ihrer
Jugendorganisation, der "Allpolnischen Jugend". Doch die "Sieg
Heil"-Rufe der Abgeordneten waren schnell vergessen, als LPR-Chef
Roman Giertych seine Jugendlichen aufforderte, in ihren Reihen für
"Ordnung" zu sorgen.
Gestern nun vereidigte Präsident Lech Kaczinski in Warschau Giertych
als neuen Vizepremier und Bildungsminister, nachdem seine radikale
Liga in die Regierung eingetreten war. Giertych, der mit 34 Jahren
noch immer wie ein Konfirmand in schlecht sitzendem Anzug wirkt,
dürfte dafür sorgen, dass das "Patriotismusprogramm", das die seit
sechs Monaten regierenden Nationalkonservativen (PiS) in den Schulen
einführten, stark nationalistisch wird. Fürchten müssen sich nicht
nur Freigeister und Liberale, sondern auch Schwule und Lesben. Die
werden seit Jahren von den "Allpolnischen" in Straßenschlachten
krankenhausreif geprügelt.
Ins neue Gruselkabinett, das mit stabiler Mehrheit im Sejm regieren
kann, zog gestern noch ein Straßenkämpfer: Andrzej Lepper wurde
Landwirtschaftsminister und auch Vizepremier. Als Chef der
populistischen Samoobrona (Selbstverteidigung) ließ er einst Bauern
mit Mistgabeln und Güllewagen vor den Sejm in Warschau ziehen, um
den "Banditen" mit Schlips und Anzug einzuheizen. Als er 2001 in den
Sejm einzog, tauschte er Trainings- gegen Maßanzug. Doch sein
rüpelhafter Stil blieb.
Zwar lässt der Exboxer und Großlandwirt heute niemandem mehr einen
Davidstern ins Haar scheren, auch mit Lob für Hitler und Goebbels
hält er sich zurück. Doch seine Auslandseinsätze als Wahlhelfer für
Diktatoren wie Saddam Hussein oder Aleksander Lukaschenko sind
Legende. Kürzlich ließ er sich ausgerechnet von einer Hochschule in
der Ukraine eine Ehrendoktorwürde verleihen, die als Kaderschmiede
künftiger Nationalisten und Antisemiten von vor allem arabischen
Ländern finanziert wird.
Dritter im Bunde wurde der Nationalist Boguslaw Kowalski, 41. Vor
einer guten Woche, als es noch schien, als würde die Liga nicht
Mitglied der Koalition werden, verließ er die Partei, gründete die
"Nationale Parlamentsgruppe" und unterschrieb den Koalitionsvertrag.
Zum Dank erhielt er nun den Posten des Vize-Transportministers.
Kowalski war mehrere Jahre lang Vorsitzender der extrem
antisemitischen Nationalpartei (SN). Er gehört zu den Gründern der
Wochenzeitung Nowa Mysl Polska (Neue Idee Polens). Das
antisemitische Blatt fungiert inzwischen als LPR-Parteiorgan.
Jaroslaw Kaczynski ficht das alles nicht an. Der lange als "genial"
gefeierte 56-jährige PiS-Stratege hat nach sechs Monaten
Pleiten-Pech-und-Pannen-Regierung nur noch das Ziel, endlich die
Mehrheit im Sejm zu erreichen. Dafür zahlt er jeden Preis. Dass die
Wähler den radikalen Rechtsruck schon heute mit Missbilligung
quittieren, will er aussitzen. Denn die "moralische Revolution" sei
nur per Parlamentsmehrheit durchzusetzen. Ganz oben auf seiner
Prioritätenliste steht das Zentrum für Korruptionsbekämpfung, eine
Art Geheime Staatspolizei mit weit reichenden Vollmachten.
Staatspräsident Lech Kaczynski meint über Politrüpel Andrzej Lepper:
"Der ändert sich." Verantwortung für die Koalition der PiS mit den
Populisten und Rechtsradikalen will der Präsident und
Zwillingsbruder des PiS-Strategen aber nicht übernehmen. "Schuld"
sei allein die liberalkonservative Bürgerplattform (PO). Seit
Scheitern der Koalitionsgespräche zwischen den beiden konservativen
Parteien wird die PO als größte Oppositionspartei regelmäßig zum
Schuldigen für die Pleiten der nationalkonservativen Regierung
erklärt. Abdruck mit
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07-05-2006 |