Feierliche Verleihung
in Nürnberg:
7. Alternativer Medienpreis 2006
Kritische Beiträge überzeugten Jury, darunter
die Würdigung eines österreichischen Beitrags zum Gedenken der NS-Opfer –
Laudatio von Rainer Meyer, Redaktion Aufbau
Von
Ekkehard Jänicke
Die
feierliche Verleihung der Preise fand am Abend des 5. Mai im
Stadtteilzentrum Desi, Nürnberg statt. Durch das teils sehr besinnliche,
teils humorvolle Programm führten die Radio-Z-Moderatoren Stefan Schimpl und
Carsten Trachte. Das kulturelle Rahmenprogramm bestritt das Improtheater
"Zwangsvorstellung".
Der Alternative Medienpreis wird seit 1999 jährlich vom
Nürnberger "Radio Z" und der Nürnberger Medienakademie für herausragende
Beiträge in nicht-kommerziellen Radios, Print- und Online-Medien vergeben.
Alle Preisträger erhalten jeweils 500 € für ihre innovativen und kritischen
Beiträge aus Internet und Hörfunk.
Unter den
diesjährigen online Preisträgern ist unter anderem die Nürtinger
Stattzeitung, die sich in den vergangenen Jahren mehrfach mit dem Gedenken
der in der Zeit der Nazibarbarei aus der beschaulichen Kleinstadt im
Landkreis Esslingen nahe Stuttgart vertriebenen bzw. ermordeten Juden
verdient gemacht hat, auch oder gerade wenn sie sich dafür immer öfter von
rechten bzw. konservativen Kreisen ihrer Stadt den Ruf eingefangen hat, ein
Nestbeschmutzer zu sein.
Weitere
online-Preisträger: "Die Seher", "Fairsharing", "Nürtinger Stattzeitung".
Die Preisträger Radio: "City Control", "Rezept der Woche", "Opferrolle
Österreich".
Einer der
Höhepunkte des Abends war zweifelsohne die Übergabe eines der alternativen
Medienpreise nach Wien. Herby Loitsch und Gudrun Schlosser von Radio ORANGE
94,0 wurden für "Ein Tag gegen die österreichische Staatslüge. Die wahren
Opfer haben Namen!" ausgezeichnet. 100 RadiomacherInnen von ORANGE 94.0 und
FreundInnen aus Wien hatten sich am 15. Mai 2005 an der auf ORANGE 94.0
ausgestrahlten 24-stündigen Dauerlesung "Ein Tag gegen die österreichische
Staatslüge" zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus beteiligt.
Während
das offizielle Österreich am 15. Mai den Abschluss des Staatsvertrags
feierte, mit dem 1955 die immerwährende Opferrolle besiegelt worden war,
versuchte ORANGE 94.0 in einem 24-stündigen Sonderprogramm in aller
angemessenen Unerträglichkeit zumindest ansatzweise das Ausmaß der
Lebenslüge Österreichs zu verdeutlichen. "Die wahren Opfer des
Nationalsozialismus haben konkrete Namen, eine Lebensgeschichte. Ihnen
wollten wir den 15. Mai 2005 widmen. An die 100 Personen lasen einen Tag
lang auf dem Morzinplatz, dem seinerzeitigen Standort des Wiener
Gestapo-Hauptquartiers, Namen und Ausschnitte aus Lebensgeschichten von
Opfern des Nationalsozialismus. Die schier endlose Aneinanderreihung
nüchterner Fakten wurde 24 Stunden ununterbrochen live ausgestrahlt, als
stärkstes Zeichen, das ein Radio zu geben vermag", so die Argumentation der
Preisträger Herby Loitsch und Gudrun Schlosser auf der Nürnberger
Pressekonferenz.
Zum Schluß
der Verleihungsveranstaltung wurde es ruhiger im Saal, waren doch auch
Zuhörer von weiter her angereist, um die Laudatio von Rainer Meyer, Mitglied
der Redaktion der Wochenzeitung Aufbau, die von jüdischen Flüchtlingen vor
70 Jahren in New York gegründet wurde, zu hören.
Laudatio von Rainer Meyer, Redaktion "Aufbau", New York:
"Unmittelbar nach der Machtergreifung der - sogenannten
- blauschwarzen Koalition war ich als Reporter in Österreich. Nicht als
irgendein Reporter. Nein, als Korrespondent einer jüdischen Zeitung von der
amerikanischen Ostküste. Das waren die wilde Zeiten der internationalen
Boykotte, und da habe ich sie alle persönlich kennengelernt. Den Schüssel
mit seiner immer indifferenten Art. Den Haider, als er grad mal wieder
zurückgetreten ist. Aber auch die Sozis, die damals gerade den Skandal eines
SS-Arztes an der Backe hatten. Die Benita Ferrero-Waldner, die sich dreist
jedem an den Hals warf. Und alle, alle wollten sie nur eines verkünden: Wir
in Österreich, wir sind ja gar keine Nazis, die hat es bei uns nie gegeben,
wir sind nur die Opfer, erst vom Hitler und jetzt wieder von der Ostküste,
schreimbs des auf Herr Meyer und sagen sie es ihren Lesern bei den Juden,
gei?
Ich war damals auch zu Besuch in dem Keller, in dem
Radio Orange residierte. Nach einer Woche Wien war das wie das Erwachen aus
einem Alptraum. Orange, das ist ein Ort der Rettung in der österreichischen
Holle zwischen Beislrassisten, mitleidserheischenden Politikdarstellern,
feiger Berufsjournaille und dummdreisten ORF-Gedudel. Radio Orange hat uns
Juroren diesmal nur ein kleines Bröckchen ihrer Arbeit schicken konnen. Ein
paar Minuten aus einer sage und schreibe 24 stündigen Sondersendung zum
Thema: Österreich und seine Opferrolle. Orange attackiert damit den
zentralen Gründungsmythos des Landes, auf den sich die Politik so gern
beruft, sie verweigern das nette Zuckerl für ein Land, das sich damit an der
harten Realität vorbeilutscht. Eine Realität, mit dem man das Land
konfrontieren muss, damit es aufwacht aus dem Koma von Walzertraum und
Kronenzeitung, damit irgendwann den braunen Schreiberlingen, den Politikern,
den Mitläufern und Wegschauern, wenn in Österreich mal wieder einer in
Schubhaft erstickt oder bei einer Kontrolle erschossen wird, damit diesem
übel irgendwann der Boden entzogen ist. 24 Stunden hat Orange gegen den
Konsens der Republik angesendet, mal ernst, mal witzig, mal wütend und doch
immer als Angebot an die Menschen, diesen entscheidenden Schritt zu tun, und
nach fast 70 Jahren die Zeit der Lügen zu beenden.
Da hat sich ein ganzer Sender ins Zeug gelegt, sie
haben am Mikrofon geschuftet, sie haben gekämpft, das ist wirklich etwas,
das ich meinen Lesern von der Ostküste erzählen kann, und das ist ein guter
Grund für den Alternativen Medienpreis! Herzlichen Glückwunsch!"
Die 14 Minuten lange Zusammenfassung der Lesung ist im
Sendungsarchiv von
ORANGE 94.0 abrufbar.
Weitere Informationen:
www.alternativer-medienpreis.de
hagalil.com 07-05-2006 |