MEMRI Special Dispatch, 17. Mai 2006
Erklärung iranischer Intellektueller:
Gegen die Inhaftierung eines kritischen Wissenschaftlers
Übersetzt und zusammengefasst von Wahied Wahdat-Hagh
Anfang Mai wurde der kritische iranische Philosoph
Ramin Jahanboqlu auf dem Teheraner Flughafen unter dem Vorwurf der
"Spionage" verhaftet. Jahanboqlu war lange wissenschaftlicher
Mitarbeiter an der Universität von Toronto und arbeitete zuletzt für ein
französisches Iranistik-Institut in Teheran. Er befand sich auf dem Weg
nach Budapest und Wien, wo er Vorträge an Universitäten halten sollte.
Am 7. Mai berichtete die iranische Zeitung Sharq, dass Jahanboqlu von
Geheimdienstminister Mohsseni Ajei "Kontakt mit Fremden" vorgeworfen
werde. Seitdem befindet er sich in dem für seine Haftbedingungen
berüchtigten Evin-Gefängnis.
Im Folgenden dokumentieren wir die Erklärung von 621
iranischen Intellektuellen gegen die Inhaftierung von Ramin Jahanboqlu
sowie eine Vorstellung seiner Positionen, die ein Schüler von ihm auf
verschiedenen iranischen Weblogs veröffentlicht hat. Ganz anders sehen
das die Pasdaran: Sie fordern die politische Führung des Landes auf, die
Universitäten im Iran "islamisch" zu machen und die "dekadente Kultur"
zu "entwurzeln".
Erklärung von 621 iranischen Intellektuellen,
Wissenschaftlern und Professoren
"Seit über zwei Wochen ist der iranische Intellektuelle, Schriftsteller
und Hochschullehrer Ramin Jahanboqlu in Haft. Bis heute wurde nicht
bekannt gegeben, wo die Sicherheitsbehörden ihn festhalten. Staatliche
Quellen haben berichtet, dass er wegen Spionage festgenommen worden
wäre. Schon zuvor wurden immer wieder bekannte Persönlichkeiten unter
ähnlichen Vorwürfen für lange Zeit in den Kerker geworfen.
Wir müssen die Machthaber fragen, was für geheime Informationen ein
Intellektueller haben kann, der überhaupt keinen Zugang zu staatlichen
Machtpositionen hat? Was hätte er ausspionieren können? Erinnern sich
die Machthaber noch daran, dass sie immer erklärt haben, die
Intellektuellen mit Wohlwollen behandeln zu wollen? Können sie wirklich
behaupten, dass sie sich für Frieden und Freundschaft in der Welt
einsetzen und die Menschenrechte verteidigen?
Wir, die Unterzeichner dieser Erklärung, verurteilen die Verhaftung von
Dr. Ramin Jahanboqlu und sind der Meinung, dass dieser Akt dem Prinzip
der Freiheit widerspricht, wie es in der Menschenrechtscharta der
Vereinten Nationen festgeschrieben wurde. Wir sind der Meinung, dass ein
solcher Akt die akademischen Freiheiten einschränkt und fordern die
sofortige Freilassung dieses herausragenden Intellektuellen. Wir fordern
die iranische Regierung auf, endlich damit aufzuhören, Intellektuelle
unter dem Vorwurf der Spionage zu verurteilen." [1]
Jahanboqlu: "In einer modernen Demokratie spielt
Religion keine Rolle"
In mehreren Artikeln beschreibt Erfan Qaneifard, ein Schüler von Prof.
Ramin Jahanboqlu, dessen Person und seine Positionen:
"[Ramin Jahanboqlu] gehört seit den 80er Jahren zu den wichtigsten
politischen Philosophen und Hochschullehrern des Iran. [...] In den
neunziger Jahren ging er ins Ausland [...] und hielt in den letzten
Jahren in Teheran, sowie an vielen westlichen Universitäten, regelmäßig
Vorträge zu philosophischen Themen. [...] Er ist ein säkularer Denker
und in seinen Reden geht es meist um demokratische Ethik und Gewalt in
Politik und Gesellschaft. [...]Die Intellektuellen, die sich "religiöse
Denker" nennen, haben daher die meisten Probleme mit ihm. Jahanboqlu
kritisierte immer wieder Machtgier, Unmoral, Scheinheiligkeit und
politische Lügen, warnt vor Populismus und spricht sich für Transparenz
und Zivilcourage aus. [...] Manchmal kritisierte er sogar die Reformer
im Iran, oft auch die religiösen Intellektuellen, denen er vorwarf,
ideologisch zu argumentieren. [...] Er selbst gehörte keiner Partei oder
Organisation an. [2]
"Jahanboqlu gab der jungen Generation iranischer Studenten neue Gedanken
mit: Er war der Meinung, dass politische Bewegungen immer mit Fehlern
behaftet und daher auf Kritik angewiesen seien." [3]
In einem weiteren Text fasst Qaneifard einen Vortrag von Jahanboqlu
zusammen:
"Dass es demokratische Muslime gibt, heißt nicht, dass Religion und
Demokratie vereinbar wären: [...] Die Demokratie braucht immer ein
parlamentarisches System als Vermittlungsinstanz. Die Bürger wählen ihre
Vertreter und wählen diese wieder ab. Eine religiöse Demokratie macht
keinen Sinn. Wenn religiöse Intellektuelle von Volksherrschaft sprechen,
statt von Demokratie, geht der philosophische Gehalt des Begriffes
Demokratie verloren. Denn die Demokratie hat einen philosophischen und
wissenschaftlichen Kontext, den wir berücksichtigen müssen. Und obwohl
religiöse Intellektuelle die Modernität kritisieren, wollen sie doch im
gegenwärtigen Zeitalter leben und nicht zurück in die Verhältnisse im
alten Athen.
In einer modernen Demokratie spielt die Religion keine Rolle. Unsere
religiösen Intellektuellen sind auf solche Fragen aber nie eingegangen.
[...] In punkto politischer Rationalität befinden wir uns noch in einer
verzauberten Welt. [...] In der säkularen Welt existieren unabhängige
Institutionen, die von der Bevölkerung legitimiert werden. Solche
Institutionen existieren nicht in der religiösen Welt. Eine religiöse
Demokratie kann nur von der Religion selbst legitimiert werden. [...] In
einer religiösen Gesellschaft muss der Bürger fromm sein. In einer
säkularen Demokratie spielt jedoch die Umma und die Frömmigkeit keine
Rolle. Der Bürger ist dort ein Individuum, das über Rechte verfügt.
Wir können schlussfolgern, dass Individualität, politische Unabhängigkeit
und die politische Rationalität dem religiösen Denken fremd sind.
Religiöse Intellektuelle werfen den säkularen Intellektuellen immer vor,
keine Ahnung von der Religion zu haben. Umgekehrt könnte man ihnen aber
vorwerfen, dass sie keine Ahnung von der westlichen Demokratie haben.
Ich selbst würde das aber nicht sagen und denke auch nicht, dass es
richtig ist, so zu sprechen. Im Gegenteil glaube ich, dass ein Muslim
trotzdem ein Demokrat sein kann. [...] Die Existenz eines muslimischen
Demokraten hat nichts mit der Vereinbarkeit von Religion und Demokratie
zu tun. Zwar kann ein Muslim ohne eine bestimmte Ideologie durchaus mit
der Demokratie auskommen. Wenn er aber unbedingt sein religiöses Konzept
durchsetzen will, kann es nie zu einer Demokratie führen. Einen
Gesellschaftsvertrag hingegen kann man immer hinterfragen, da es sich
nicht um eine religiöse Ideologie handelt." [4]
Pasdaran: "Irans Universitäten müssen islamisch werden"
Anlässlich der Verhaftung von Ramin Jahanboqlu zeigt sich das
Online-Magazin Roozonline in seiner heutigen Ausgabe besorgt darüber,
dass im Iran derzeit eine neue Welle der Islamisierung von Kultur und
Bildung stattfindet. Dazu zitiert Roozonline aus der konservativen
iranischen Zeitung Sobhe Sadeq, dem Organ der Pasdaran, der
Revolutionsgardisten. Darin heißt es:
"Alle Instanzen, die sich auf unterschiedlichen Ebenen mit der Kultur
unseres Landes auseinandersetzen, müssen die gegenwärtige günstige
politische Lage nutzen und die kulturelle Situation des Landes
verbessern. [...] Der höchste revolutionäre Kulturrat und das Majless
[Islamisches Parlament] müssen sich Tag und Nacht mit der Korrektur der
Gesetze beschäftigen und die religiöse Kultur fördern. [...] Das
Bildungsministerium muss sich endlich mit denjenigen auseinandersetzen,
die unsere Kultur angreifen. [...] Leider sind unsere Universitäten
immer noch nicht reformiert. Sie müssen islamisch werden. Zur Zeit
herrschen in unserem Land die Prinzipientreuen und so müssen wir schnell
darangehen, die Kulturprobleme in unserem Bildungssystem zu lösen. [...]
Wenn wir heute die Gelegenheit nicht nutzen, um die dekadente Kultur zu
entwurzeln, dann wird unsere Jugend geistig nicht wachsen können."
Jahanboqlu wird von der Zeitung der Pasdaran bezeichnet als "ein Element
aus der ersten Reihe derjenigen, die das politische System des Iran mit
sanften Methoden stürzen wollen." "Menschen wie Ramin Jahanboqlu"
schreibt Sobhe Sadeq weiter, "versuchen, unter dem Deckmantel der Kultur
zu arbeiten und auf diese Weise die Institutionen zu unterwandern." [5]
Dr. Wahied Wahdat-Hagh ist Politikwissenschaftler und Mitarbeiter von
MEMRI.
[1] Es folgt die List der Unterzeichner
(http://antiprison.blogspot.com).
[2] www.60000000.info (2. Mai 2006)
[3] alefbe.com/articleGhanei1.html
[4] http://alefbe.com/articleGhanei2.html
[5] Roozonline, 17.5.2006
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hagalil.com 21-05-2006 |