Humanitäre Hilfe:
Geberländer wollen Hamas zu Gesetzesbruch zwingen
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
"Sollte die EU die Gehälter der Bediensteten der
Autonomiebehörde direkt auf deren Konten überweisen wollen, unter Umgehung
der Hamas-Regierung, scheint die EU von der Hamas einen Verstoß gegen Regeln
des Datenschutzes zu erwarten, wie das in europäischen Ländern undenkbar
wäre." Das sagte ein ausländischer Experte in Ramallah zu der Absicht,
direkte humanitäre Hilfe zu gewähren.
"Für die Überweisung der Gehälter benötigt man Namen und
Kontonummern. Die liegen dem Finanzministerium vor. Die Hamas könnte die
Kooperation verweigern und sie nicht preisgeben. So würde sich dem Vorwurf
aussetzen, hunderttausende Palästinenser in den Verderb zu treiben." Seit
März haben die Beamten und Sicherheitsleute keine Gehälter mehr gesehen.
Über ein Viertel aller Palästinenser sind direkt betroffen und indirekt auch
Händler. In Gaza lassen sie nicht mehr "anschreiben", weil sie es sich nicht
mehr leisten können. "Wie soll ich noch meine Putenbrüste unter dem
Kostenpreis loswerden, wenn die Menschen nicht einmal mehr Geld für
Fladenbrote haben", fragte ein Händler. "Sollte aber das von der Hamas
geführte Finanzministerium die Angaben herausrücken, wäre das ein Verstoß
gegen das in der EU übliche Bankgeheimnis und dem Schutz der Privatsphäre."
Die geplante Methode, Gelder über Nicht-Regierungs-Organisationen zu
verteilen, widerspricht Vorgaben der Geberländer. "Die Geberländer leisteten
Milliardenhilfe, um staatliche Strukturen zu schaffen und zu fördern. Durch
die Umgehung der Regierung wird da langfristig wieder viel zerstört", meinte
der Experte. Er verwies auf die UNO und die Weltbank, wo man sich dieser
Problematik bewusst sei. Wegen dem Boykott der Hamas werde forciert, was
abgeschafft werden sollte.
Der Experte beklagte zudem, dass es keine gültige UN-Definition für "Terror"
gebe. Dennoch sei die Hamas von den USA, der EU und Israel ohnehin auf die
Terrorliste gesetzt worden. "Und was hat die Fatah getan? Sie hat doch auch
Selbstmordattentäter losgeschickt? Wo liegt da der Unterschied?" Die
Hoffnung der EU und des Quartetts, den Autoren der Roadmap, dass Hamas drei
Bedingungen annehme (Gewaltverzicht sowie Anerkennung Israels und
bestehender Verträge), hat sich bisher nicht erfüllt. Erst danach könnte die
Hamas wieder von der Liste gestrichen werden. Diese Problematik habe schon
Folgen: Kontakte mit "vorzüglichen und wirklich kompetenten Palästinensern"
mussten abgebrochen werden, nachdem sie als Technokraten zu Ministern in der
Hamas-Regierung ernannt wurden. "Schlimmer noch: Wir dürfen nicht einmal mit
den Beamten reden, mit denen wir auf rein technischer Ebene die Projekte
abgewickelt haben."
Der Weg über die NGO's (Nicht-Regierungsorganisationen) bedarf einer
Genehmigung der Hamas-Regierung: "Jede in den Palästinensergebieten tätige
Organisation muss sich registrieren." So habe die Hamas das Mittel in der
Hand, die GTZ oder USAID zu direkten Kontakten zu zwingen oder des Landes zu
verweisen. Hilfsorganisationen äußerten schon Bedenken, sich ausnutzen zu
lassen, wie es die Geberländer planen.
Ungeachtet der verhärteten Fronten seit der Wahl der Hamas, gebe es
Projekte, die "funktionieren, trotz Intifada und Misstrauen beider Seiten."
So sei es gelungen, ein Projekt fortzusetzen, das ein Gelände in einer von
Israel deklarierten "Sicherheitszone" nahe dem Grenzzaun von Gaza verwende.
"Die Israelis schießen da auf alles, was sich bewegt. Auf der israelischen
Seite herrscht zudem ein hoffnungsloses Kompetenz-Durcheinander. Gleichwohl
gelang es, die palästinensischen Mitarbeiter mit Signaljacken auszustatten,
damit sie ihre Arbeit leisten können, ohne erschossen zu werden. Da gibt es
sogar eine tägliche Koordination beider Seiten." Der Experte wollte keine
genaueren Angaben machen, denn "wenn darüber in der Presse berichtet wird,
könnte diese positive Kooperation gestoppt werden, von beiden Seiten." |