Frankreichs Rechtsaußen:
Le Pen und de Villiers bereiten die kommenden Wahlen vor
Teil 1: Ideologische
Abgrenzungsversuche, Islam-Diskussion
Von Bernard Schmid, Paris
"Eins ist sicher, Le Pen wird im zweiten Wahlgang sein,
nur gegen wen?" Dieses Zitat eines 68jährigen Mitglieds der konservativen
Regierungspartei UMP, von dem nur der Vorname (Paul) genannt wird, wählte
die linksliberale Pariser Tageszeitung 'Libération' an diesem Montag (15.
Mai 2006) als Artikelüberschrift. Im nachfolgenden Zeitungsbericht geht es
um die verschiedenen Reaktionen der UMP-Mitgliedschaft auf die jüngst
aufgeflogenen Regierungsskandale, die unter dem Namen "Clearstream-Affäre"
zusammengefasst werden. (Vgl. zur Clearstream-Affäre ausführlich, vom Autor
dieser Zeilen bei
Telepolis)
Der oben genannte "Paul" wird mit der Mutmaßung oder
Befürchtung zitiert, bei der nächsten Präsidentschaftswahl, die Ende April
und Anfang Mai 2007 in zwei Wahlgängen stattfinden wird, könne Jean-Marie Le
Pen dieses Mal gegen die Linksparteien in die Stichwahl gehen. Zur
Erinnerung: Am 21. April 2002 hatte Le Pen (mit 16,8 % der abgegebenen
Stimmen) als zweitbest platzierter Kandidat hinter dem bürgerlichen
Amtsinhaber Jacques Chirac (19,5 %) abgeschnitten. Daraufhin zog er gegen
Chirac in die Stichwahl am 05. Mai 2002. Doch im zweiten Wahlgang erhielt
er, mit 17,8 Prozent der Stimmen, ein niedrigeres Ergebnis als die extreme
Rechte mit ihrer beiden Kandidaten im ersten Wahlgang: Neben Le Pen kam
damals noch Bruno Mégret hinzu, mit 2,3 % der Stimmen. Der niedrigere
Prozentanteil in der Stichwahl ergab sich aus der gestiegenen
Wahlbeteiligung, da die hinzu gekommenen Wähler/innen überwiegend für Chirac
stimmten.
Im Endeffekt wurde Le Pen, der dem hinter Chirac
vereinigten Establishment ohne jeden politischen Bündnispartner von Gewicht
gegenüber stand, sichtbar ausgebremst. Aber sollte es tatsächlich dazu
kommen, dass Le Pen beim nächsten Mal zusammen mit einem/r Vertreter/in der
Linksparteien in die Stichwahl kommt (nach derzeitigem Stand wäre das
höchstwahrscheinlich die Sozialdemokratin Ségolène Royal), dann könnte die
Verteilung der Stimmen anders ausfallen. Denn zumindest ein Teil des
konservativen Lagers dürfte sich dann auf beide Kandidaten, den
rechtsextremen und den/die sozialdemokratische/n, aufspalten oder sich in
die Enthaltung retten.
Partei in der Krise?...
Noch ist es nicht so weit. Und in gewisser Hinsicht wäre
es sogar fast paradox, würde Jean-Marie Le Pen es noch einmal bis in den
zweiten Wahlgang schaffen. Seit einigen Monaten wirkte seine Partei offen
zerstritten, da Le Pen (vor allem im Vorfeld des Referendums über den
EU-Verfassungsvertrag im Mai 2005, als man den Front National tatsächlich in
der Öffentlichkeit kaum vernahm) einer Fronde innerparteilicher Kritiker
gegenüber stand. Diese stellten die vom "Chef" geplante Regelung seiner
Nachfolge, zugunsten seiner Tochter Marine Le Pen, in Frage. Gleichzeitig
wollten sie auch an der Entwicklung bei den Inhalten rütteln, da die relativ
smart auftretende Ex-Anwältin Marine Le Pen (selbst geschieden und mit einem
jungen FN-Kader wieder verheiratet) verdächtigt wurde, eine zu
"modernistische" Entwicklung mit zu softer Ideologie einzuleiten.
Schließlich lief ein Teil der "anti-modernistischen"
Kritiker oder Widersacher Le Pens zu dessen neu aufstrebendem Konkurrenten
über, dem rechtskatholischen Grafen Philippe de Villiers, dem Chef des
'Mouvement pour la France' (MPF, Bewegung für Frankreich). So verlor der
Front National im Dezember 2005 und im März 2006 seine beiden letzten
Bürgermeister, Jacques Bompard als Rathauschef im südfranzösischen Orange
(30.000 Einwohner) und Marie-Christine Bignon, Bürgermeisterin von
Chauffailles (bei Dijon, 4.500 Einwohner), an den MPF
Ein anderer Kader, der zeitweise mit den Rechtskatholiken
unter de Villiers liebäugelte und den Grafen am 11. Februar 06 auf dessen
Initiative hin getroffen hat, hat sich dagegen mittlerweile klar von ihm
abgegrenzt - da der Graf und Bezirks-Regierungschef im Département Vendée
doch zu moderat sei. In einem Interview mit der rechtsextremen Wochenzeitung
'Minute' (vom 10. Mai 06) erklärt Bernard Antony, das langjährige Oberhaupt
des katholisch-fundamentalistischen Flügels des FN: "Ich habe ihn (de
Villiers) mehrfach getroffen (...). Um offen zu sein, habe ich mit ihm an
mehreren Punkten Gemeinsamkeiten gehabt, beispielsweise über die aktuelle
Islamisierung Frankreichs; zu diesem Thema erscheinen die Positionen von
Jean-Marie Le Pen ein bisschen zu vage."
Tatsächlich betont de Villiers seit einigen Monaten auf
extreme Weise die religiöse Differenz zwischen Christentum und Islam -
worauf der unter politischen Konkurrenzdruck geratene Le Pen reagiert, indem
er herausstreicht, das sei nicht der entscheidende Punkt ("Man muss die
gesamte Einwanderungspolitik stoppen"). Im Zuge dieses politischen
Abgrenzungsprozesses hat Le Pen sogar seine Kritik am Islam teilweise
relativiert und die Einwanderungsfrage "pur" herauszuschälen versucht,
während de Villiers vorwiegend auf einer politischen Rhetorik beharrt, die
aus dem Zeitalter der Religionskriege stammt.
Doch Bernard Antony führt im gleichen Interview aus:
"Dennoch vertraue ich Philippe de Villiers nicht wirklich. Ich glaube nicht,
dass er wirklich mit dem System gebrochen hat, obwohl er dies behauptet.
Kurz, mit dem Front National habe ich Differenzen in der Form. Mit Philippe
de Villiers habe ich vor allem Differenzen in der Sache." Daher bleibe er,
so Bernard Antony, dem FN treu, auch wenn er ihm formal nicht mehr als
Mitglied angehöre. Unterdessen konzentriere er, Antony, sich vor allem auf
die Aktivitäten seiner Vereinigung AGRIF ("Allgemeine Allianz gegen den
Rassismus und für den Respekt der französischen Identität"), die früher dem
FN als Satellitenorganisation angegliedert war, jedoch derzeit als
selbständige Organisation tätig ist.
Guillaume Peltier, der knapp 30jährige Generalsekretär des
MPF, der dereinst (von 1998 bis 2001) selbst der Jugendorganisation des
Front National angehörte, gibt derzeit die Zahl der zu de Villiers' Partei
übergelaufenen früheren FN-Mitglieder mit 3.000 an. Dies gehe aus einer
Befragung durch das Meinungsforschungsinstitut IFOP hervor. Wie glaubwürdig
diese Angaben sind, muss vorläufig dahin gestellt bleiben.
Doch die strukturellen Ursachen dafür, dass de Villiers'
einstige Kleinpartei (hervor gegangen aus der winzigen Bewegung 'Combat pour
les Valeurs', "Kampf für die Werte") nunmehr seit einem Jahr durch Zulauf
aus der extremen Rechten Le Pens' wächst, sitzen tiefer. Denn das innere
Parteileben beim rechtsextremen Front National (FN) ist quasi erloschen, die
Partei wurde seit mehreren Jahren nahezu als das "Privateigentum" des Chefs
geführt. Das bürgerliche Wochenmagazin 'L'Express' (vom 20. April 06)
veröffentlicht dazu erstmals konkrete Zahlen, gestützt auf Angaben aus
internen Quellen.
Demnach hat der Front National seit seiner Spaltung (durch
Abspaltung des ehemaligen Chefideologen Bruno Mégret) um den Jahreswechsel
1998/99 und bis im Jahr 2001 rund 60 Prozent seiner Mitglieder verloren.
Bereits vorher war bekannt, dass der FN zur Zeit seiner Spaltung 42.000
Mitglieder hatte, da damals aufgrund des Rechtsstreits zwischen Le Pen- und
Mégret-Anhängern die Listen gerichtlich offengelegt werden mussten. Von
diesen gingen also zwischen 1999 und 2001 rund 60 Prozent verlustig. Mit dem
Erfolg bei der Präsidentschaftswahl 2002, so fährt der anonym zitierter
(ehemalige ?) Parteikader gegenüber 'L'Express' fort, "haben wir die Hälfte
von ihnen zurückgewonnen. Aber die meisten von ihnen haben dann in der
Folgezeit ihren Mitgliedsbeitrag nicht wieder erneuert". Auf diesem Wege
seien 78 % der zurück gewonnenen Mitglieder erneut abhanden gekommen.
Die verfügbaren Schilderungen zeichnen das Bild einer
Partei, die vor dem Ende des vergangenen Jahres 2005 ausgeblutet erschien.
Der 36jährige Louis Aliot, der im Oktober 2005 den Posten des
FN-Generalsekretärs übernahm, wird in 'L'Express' mit den Worten zitiert,
bei seinem Amtsantritt habe man in der Parteizentrale nicht einmal gewusst,
welche Personen konkret in den Bezirksvorständen der Partei in den
verschiedenen französischen Départements sitzen. Zwar habe man in der
Zentrale eine Kartei mit einer Million Kontakten besessen, die seit 1984
(dem Jahr des ersten Durchbruchs des FN bei Wahlen) angesammelt worden seien
– doch niemand habe sich je darum gekümmert, sie auf aktuellem Stand zu
halten. Doch dann kam eine Wende: In Reaktion auf die Riots in den
französischen Trabantenstädten, im November 2005, fing der Parteiapparat an,
eine Mailingoffensive an die mit E-Mailadresse registrierten Sympathisanten
zu starten. 10.000 ehemalige Mitglieder wurden angeschrieben, von denen 10
Prozent auch geantwortet haben sollen.
>> Fortsetzung:
"Rupft" der MPF
erfolgreich den Front National?
hagalil.com 15-05-2006 |