Death in June:
In rosa Watte
Wird ihr die Verharmlosung des Judenmords
vorgeworfen, meint der Holocaust für die Dark-Wave-Band "Death In June" im
Zweifelsfall eine "vulkanische Landschaft".
Von Christian Dornbusch und Andreas Speit
Jungle World 18 v.
03.05.2006
Die Eingabefrist für den "Death in June Art Contest" ist
abgelaufen. Bis zum 1. Mai dieses Jahres konnten die Fans zum Thema
"Visualize DIJ" ihre Beiträge für den Wettbewerb einreichen, der von
Neo-Form, dem Online-Magazin "für Neofolk, Industrial, Avantgarde und
Kultur" veranstaltet wird. Die Teilnahme sei einfach: "Visualisiert einen
Song von Death in June! Fotos, Fotomanipulation, Malerei (…) jede Art der
visuellen Kunst ist zur Teilnahme berechtigt." Der Gründer der Band "Death
in June", Douglas Pearce, werde über "jedes neue Kunstwerk" informiert, und
der Gewinner soll von ihm persönlich geehrt werden.
Der subkulturelle Gestus der Dark-Wave-Szene, zu dem eine gewisse
Introvertiertheit und Intellektualität gehören, dürfte sich ästhetisch und
konzeptionell in den eingereichten Beiträgen widerspiegeln. Dies könnte auch
die Ähnlichkeit zu Wettbewerben übertünchen, die etwa Bravo gerne
veranstaltet: "Mal ein Bild von deinem Superstar, bau eine Collage!"
Hauptgewinn: Besuch beim Star!
"Irgendwie scheinen dem Kunstwerk auch Grenzen gesetzt zu sein, wenn man es
per Mail schicken soll", kommentiert jedoch ein Interessierter im Forum. Ein
anderer Fan von "Death in June" hingegen könnte es sich vorstellen, gleich
eine CD seiner Lieblinge zu visualisieren: "Also 'Rose clouds of Holocaust'
wäre bei mir eine Art Modelleisenbahn mit entsprechendem Lager, und aus dem
Schornstein kämen rosa Wattebällchen. Huuuaaar makaber!"
Provokanter Scherz oder politischer Ernst? Seit Jahren lieben Protagonisten
aus der Dark-Wave-Szene das Spiel mit vermeintlichen Tabus. Ein Bestandteil
dieses Spiels sind die erwartbaren Reaktionen von Kritikern. Echauffieren
sollen sie sich. Die Spielregeln sind bekannt: Nach einer Aussage, etwa
einer Idealisierung oder Relativierung des Holocaust, erfolgt die
Erwiderung: Derlei sei keineswegs beabsichtigt, die Fans würden das
provokante Konzept erkennen, und nur die Kritiker könnten nicht zwischen
ästhetischen Motiven und politischen Aussagen unterscheiden.
Die Independent-Szene versteht sich selbst, wie vermutlich alle Popszenen,
größtenteils als "unpolitisch". Die Fans mögen die Musik der frühen
Szenestars "Joy Division" oder die Lieder von "Goethes Erben". Mit den
melancholisch-romantischen Klängen oder harten Rhythmen verbinden sie weder
politische Aussagen noch politische Motive. Die rechten kulturkritischen
Töne überhören so einige Fans immer noch gern, etwa wenn Pearce den
Band-Klassiker "Death of the West" singt: "They’re making the last film /
They say it’s the best / And we all helped make it / It’s called the death
of the West / The kids from fame / Will all be there / Free Coca-Cola for
you!"
Die Daily Soap und die Getränkemarke stehen im Song als Synonym einer
"Unkultur" des amerikanischen Westens, die sich in aller Welt ausbreite. Die
Rettung scheint Pearce im Wiedererwachen einer heidnischen Tradition in
Europa zu sehen, wenn er intoniert: "A star is rising in our northern sky /
And on it we’re crucified."
Seit Anfang der neunziger Jahre sind rechtsextreme Tendenzen in der
"Schwarzen Szene" evident. Einer der Trendsetter ist bis heute die Band
"Death in June", die im Jahr 1981 von Douglas Pearce und Tony Wakeford
gegründet wurde. Bereits der Name "Tod im Juni" ist eine Aussage, nämlich
eine Reverenz an den SA-Führer Ernst Röhm. Im Interview mit dem Magazin
Zillo erzählte Pearce einmal: "Auf der Suche nach einer zukünftigen
politischen Perspektive stolperten wir über den Nationalbolschewismus, der
sich wie ein Leitfaden durch die Hierarchie der SA zog."
Die Band war nicht die einzige, die auf der Suche nach neuen ästhetischen
Inspirationen auf alte politische Ideen stieß. "Allerseelen", "Blood Axis",
"Von Thronstal", "Der Blutharsch" oder "Waldteufel", all diese Bands ließen
sich in ihrer Beschäftigung mit den Themen der Szene – nämlich Tod, Zerfall,
Treue, Liebe, Reinheit, Einfachheit und Natürlichkeit – von rechtsextremen
Ideologemen, Symbolen und Metaphern anregen.
Sie bedienen sich bei völkischen Künstlern, konservativ-revolutionären
Literaten, faschistischen Theoretikern und manchmal eben auch bei
nationalsozialistischen Funktionären. In ihren ästhetischen Projekten
komprimieren sie die antimodernen Motive der extremen Rechten zu einer
politischen Synthese, durch die der individuelle Pessimismus und die
kollektive Melancholie der "Schwarzen Szene" zum heroischen Realismus und
totalen Antimodernismus der braunen Szene wird.
Dabei ist weniger das einzelne vermeintlich "Tabuisierte" oder "Häretische"
problematisch, sondern die Kombination und der Kontext der rekurrierten
Metaphern und Mythen. Mögen die rechtsextremen Dark Waver sich damit
verteidigen, die Synthese von faschistischen Ideologiefragmenten sei "reine
Kunst" und die faschistische Ästhetik "reiner Fetisch", sind sie es selbst,
die mit diesen Operationen ihre Ästhetik politisieren, und nicht erst die
Kritiker, die darauf aufmerksam machen.
Die Anleihen bei den Nazis bewogen das frühere Bandmitglied Patrick Leagas
zum Ausstieg. "Wir hatten gerade ein Konzert in Bologna absolviert",
erzählte er rückblickend, "als sich eine junge Frau näherte und schrie: 'Ich
hoffe, deine Mutter hasst dich!' (…) Wir trugen SS-Uniformen in einer Stadt,
in der rechtsradikale Terroristen gerade viele Menschen umgebracht hatten.
Ich schämte mich."
In der Lyrik, dem Artwork des Booklets oder bei den Live-Auftritten wartet
man vergeblich auf eine Dekonstruktion der nationalsozialistischen Motive.
Vielmehr verdichten die rechtsextremen Dark Waver die harmonische
Inszenierung zu einem "faschistischen Stil", den auch der neurechte
Theoretiker Armin Mohler schätzte.
In diesem Stil, meinte Mohler, drücke sich die Sehnsucht nach einer
"unbedingteren Lebensform" aus, die nur in Grenzerfahrungen des
antibürgerlichen Lebens erlebt werden könnten, vom Drogengenuss bis zum
Sturmangriff.
So inszeniert "Blutharsch"
permanent Kampf und Tod als nihilistischen Akt. Vielleicht denkt die Band
dabei an Gottfried Benns Einlassungen über die "Liebe zur Gefahr" oder "die
schönen Ideen, für die man stirbt". Die Glorifizierung des Kriegs geht,
bemerkte Walter Benjamin, mit der Idealisierung von Brutalität und Barbarei
einher.
Wie bewusst Pearce Stile, Symbole und Metaphern verwendet, erläuterte er
selbst: "Death in June hat immer alles mit sündlos gutem Geschmack getan und
mit dem passenden Verständnis für die Ästhetik und den Symbolismus hinter
solchen Dingen." Das Bandlogo, der SS-Totenkopf, symbolisiere denn auch "den
totalen Einsatz" und zeige den Feinden, "dass sie nicht toleriert werden".
Angesichts dessen dürfte die Idee des Fans, der mit "verspielten Bildern"
eines Vernichtungslagers das Cover von "Rose clouds of Holocaust" gestalten
möchte, nicht überraschen. Solche Assoziationen dürfte Pearce jedoch
unterbinden wollen. Insbesondere, seit ein Rechtsstreit wegen der CD
anhängig ist. Im vergangenen Jahr wurde nämlich das Album "Rose clouds of
Holocaust", das bereits im Jahr 1995 erschienen ist, auf Empfehlung des
Brandenburger Landeskriminalamts von der Bundesprüfstelle für
jugendgefährdende Medien indiziert.
Im Titelsong singt Pearce: "Rose clouds of Holocaust / Rose clouds of flies
/ Rose clouds of bitter / Bitter, bitter lies / And when the angels of
ignorance / Fall down from your eyes / Rose clouds of Holocaust / Rose
clouds of lies." Die anfänglich klare Aussage wird im folgenden kryptischer:
"Rose clouds of twilight truth / Rose clouds of night / Rose clouds of
harvested / Love, all alight / And when the ashes of life / Fall down from
the skies / Rose clouds of Holocaust / Rose clouds of lies."
Die Irritation, die der Text auslöste, wurde von der Single-Auskopplung "Sun
Dogs" verstärkt. Deren Cover zeigt ein linksdrehendes, aus Hundeköpfen
gebildetes Hakenkreuz mit einer blühenden roten Rose in der Mitte. Doch
natürlich war alles nicht so gemeint, wie man als unbedarfter Beobachter
hätte annehmen können. Vor beinahe zehn Jahren, als die Wochenzeitung Junge
Freiheit Pearce nach seiner "Inspiration" für das Stück "Rose clouds of
Holocaust" fragte, verwies er auf ein Naturerlebnis in Island.
Gegenüber der Bundesprüfstelle erneuerte er diese Geschichte: "Ich erfuhr
ein spirituelles Erlebnis." Das Wort "Holocaust" bedeute "verbranntes
Opfer", und Island sei eben voller Vulkane. "Die vulkanische Landschaft ist
der 'Holocaust', von dem hier die Rede ist." Dieser "Holocaust" habe nichts
gemein mit der "Verfolgung und Vernichtung von Juden, Homosexuellen,
Zigeunern und anderen in Deutschland während der Zeit des Dritten Reichs".
Die Prüfstelle ließ sich von diesen Einlassungen allerdings nicht überzeugen
und blieb bei der Auffassung, dass der Verfasser "den Holocaust während des
sog. 'Dritten Reichs' mit Lügen" gleichsetze. Diese "Lüge vom Holocaust",
meinte die Behörde weiter, soll "wie 'die Engel der Ignoranz' von 'den Augen
der Menschen' 'abfallen'". Zudem sei "Holocaust" ein "feststehender Begriff
für die Ermordung von Millionen Menschen in Konzentrationslagern". Dass der
Verfasser den Holocaust als "Rosenwolke", mit "Rosenwolken aus bitteren
Lügen" und einer "zwielichtigen Wahrheit" beschreibe, impliziere, dass er
diesen Massenmord "als Lüge entlarven" wolle. Gegen die Entscheidung wurde
eine Klage eingereicht, wie eine Sprecherin der Behörde der Jungle World
berichtete.
Gleichzeitig dürfte die Indizierung die Platte endgültig zum "Kultobjekt"
erheben – und zwar nicht nur bei eingefleischten Fans. Diesen Effekt kann
man fast schon klassisch nennen.
Anfang der neunziger Jahre, als die Intellektuellen der "Neuen Rechten"
damit begannen, sich in bestimmte popkulturelle Szenen einzumischen, und
fast gleichzeitig Intellektuelle aus der "Mitte der Gesellschaft" auf den
rechtsextremen Ideologie- und Symbolfundus zurückgriffen, betonte Umberto
Eco: "Um tolerant zu sein, muss man die Grenzen dessen, was nicht
tolerierbar ist, festlegen." Man könne nicht das Tolerierbare ablehnen und
zugleich tolerant sein. Indizierungen markieren Grenzen. Aber sie ersetzen
keine Diskussionen.
RechtsRock:
Trommelschläge
aus der Gruft
Wer hat Angst vorm Wotan-Clan? Und wer lässt sich tatsächlich von einer
dunklen Fascho-Band wie Death in June verführen? Zwei neue Bücher klären auf
über die Verbreitung und Aneignung von rechtsnationalen Ideologien in Rock
und Dark Wave...
hagalil.com 18-05-2006 |