Das erste Buch, das Bernstein veröffentlichte, war ein
Sexualratgeber für Senioren mit übersteigerter Libido. Obwohl er selbst noch
keine dreißig war, wusste er, wovon er redete. Außerdem wollte er auf diesem
Weg seinen Eltern etwas sagen - er wusste nur nicht genau, was.
Die beiden redeten seit Jahren nicht mehr miteinander, hatten aber noch Sex.
Das merkte Bernstein daran, daß bei ihnen in der Schlafzimmertür oft einer
von diesen riesigen weißen Büstenhaltern seiner Mutter klemmte. Manchmal
standen sie auch beim Essen plötzlich auf, und wenn sie zehn Minuten später
zurückkamen, hatte seine Mutter die dik-ke schwarze Brille seines Vaters
auf, und er trug ihr Kleid. Bernsteins Buch hieß »Sex ist nicht alles« und
wurde von der Kritik als die Wiedergeburt der jüdischen Literatur im Geist
von Mendelssohn und Ephraim Moses Kuh gepriesen.
Bernsteins zweites Buch war ein Sexualratgeber für
Dreißigjährige. Es war Wort für Wort dasselbe Buch, weil Bernstein aus
Versehen beim Verlag das Manuskript von »Sex ist nicht alles« abgegeben
hatte. Es trug den Titel »Sex ist alles«. Die Rezensenten erklärten, das
zweite Buch sei für einen Schriftsteller immer das schwierigste, und so
gesehen habe Bernstein wirklich nichts falsch gemacht. Sie fühlten sich beim
Lesen diesmal allerdings mehr an die Sagen des Baalschem Tow und die
wunderbar hintergründigen Geschichten des Rabbi Schmockowski von Potzstadt
erinnert. »Chassiden sind Jidden«, lautete derletzte Satz des großen
»Spiegel«-Artikels über »Sex ist alles«, und das brachte Bernstein gleich
ein paar Tausend mehr Auflage in Ostdeutschland.
Als nächstes gab Bernstein ein indisch-koreanisches
Kochbuch heraus. Die Kritik spielte verrückt. Man verglich ihn mit Kafka,
Bruno Schulz und Celan, mit den großen jüdischen Magiern des zwanzigsten
Jahrhunderts, die, wie »Die Zeit« schrieb, »in den Kochtöpfen ihrer Prosa
eine Welt zusammenrührten, die es zum Glück nicht mehr gibt«. Weil Bernstein
kein besserer Titel einfiel, nannte er es »Sex ist nicht alles«, und er
bekam dafür den Ernst-Jünger-Gedächtnispreis, und ins Bundeskanzleramt wurde
er auch eingeladen, aber eigentlich war nicht er es, sondern der Dirigent
Barenboim, und es war nicht das Bundeskanzleramt, sondern die israelische
Botschaft.
Mit seinem letzten Buch kam Bernstein aber nicht so gut
an. Es hieß »Bernsteintage« und war ein jüdischer Familienroman in der
Tradition von Isaac Bashevis Singer und Ilja Richter. »Warum muß Bernstein
immer nur über Juden schreiben?« ärgerte sich der Literaturchef der
»Frankfurter Rundschau« über ihn - und mit ihm praktisch jeder andere kluge
Kopf im deutschen Feuilleton.