Angesichts antisemitischer Entgleisungen:
Nicht frei von Skepsis
"Mit Paul Spiegel verliert der WDR-Rundfunkrat eine wichtige
Stimme und einen kritischen und fairen Wegbegleiter. Der Gedankenaustausch
mit ihm wird uns sehr fehlen. Als langjähriges
Mitglied - im Rundfunkrat seit 1991 und im Programmausschuß - wird er dort
eine große Lücke hinterlassen", so der WDR-Rundfunkratsvorsitzender Reinhard
Grätz: "Paul Spiegel war vermutlich der letzte Vorsitzende des Zentralrates
der Juden, der die Zeit der Verfolgung und des Holocausts noch selbst erlebt
hat. Seine Stärke und Zuversicht, sein Glauben an die Demokratie und an die
Lernfähigkeit der Menschen haben daher um so mehr beeindruckt. Bei seiner
täglichen Arbeit und den öffentlichen Auftritten stritt er engagiert und
verantwortungsvoll für Toleranz und Versöhnung. Unüberhört sind seine
öffentlichen Warnungen angesichts rechtsextremer Gewalttaten und
fremdenfeindlicher Übergriffe.
Paul Spiegel entwickelte sich in seiner Amtszeit zu einem profilierten
Anwalt des deutschen Judentums, der unverblümt und klar verständlich
Position bezog und dem eine Sonderstellung deutscher Juden kein Anliegen
war. Er wollte Normalität. Religion war für ihn Privatsache. Wie sehr sie
ihm dennoch Anliegen und Identität war, zeigt seine Begegnung mit Benedikt
XVI beim Weltjugendtag in Köln, der er hohe Bedeutung beimaß.
Paul Spiegel war ein Kämpfer, aber auch ein Mensch mit Humor. Sein
Rat im Gremium wird uns fehlen." Ganz ähnlich auch
WDR-Intendant Fritz Pleitgen: "Die Nachricht vom Tod Paul Spiegels stimmt
uns im WDR sehr traurig. Er hatte sich wie kaum ein anderer in unserem
Sender große Achtung und viel Sympathie erworben. Sein Engagement um die
Aussöhnung zwischen Deutschland und den Juden hat uns überzeugt und unsere
Berichterstattung nachhaltig beeinflusst. Wir verdanken ihm viele
Anregungen; nicht nur was die Bewältigung der Vergangenheit angeht, sondern
auch was das gegenwärtige Verhältnis der nicht-jüdischen zu unserer
jüdischen Bevölkerung betrifft. So entstand der preisgekrönte Film "Alles
auf Zucker".
Paul Spiegel war für uns der Inbegriff der Menschlichkeit. Angesichts immer
wiederkehrender fremdenfeindlicher und rassistischer Entgleisungen war er
nicht frei von Skepsis. Mit seiner Zuversicht und seinem Humor überwand er
diese Anflüge von Resignation. Als Nachfolger des unvergessenen Ignatz Bubis
übte er das Amt des Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland
mit Stil und aufrechter Haltung aus. Seine entschiedenen Erklärungen fanden
in kritischen Situationen das Vertrauen der Menschen in unserem Land.
Mit Paul Spiegel verband mich ein freundschaftliches Verhältnis. Wir waren
fast gleichaltrig und haben uns oft - auch öffentlich - über unsere
unterschiedlichen Biographien unterhalten, die in unserer Kindheit von
Nazizeit und Krieg geprägt waren. Als Intendant habe ich seine Meinung sehr
geschätzt. Er war Mitglied des Rundfunkrates und uns in den vielen Jahren
ein wichtiger Rat- und Impulsgeber. Wir werden ihn sehr vermissen. Ganz
Deutschland verliert mit Paul Spiegel eine wertvolle Persönlichkeit, die auf
glaubhafte und sympathische Weise ein Vorbild für Toleranz und die Achtung
der Menschenwürde war." [FORUM
/ KONDOLENZBUCH] |