Der neue Verantwortliche für Sicherheitsangelegenheiten:
Hamas und die israelische Abschussliste
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
"Jetzt wird er keine Zeit mehr haben, Anarchie in Gaza,
Anschläge oder den Abschuss von Kassamraketen auf Israel zu organisieren."
So reagierte ein bekannter Palästinenser im Gazastreifen auf die
überraschende Ernennung von Jamal Abu Samahanda, 43, zum Generaldirektor des
Innenministeriums und damit zum Verantwortlichen für
Sicherheitsangelegenheiten in der palästinensischen Regierung.
Jerusalem war nicht überrascht: "Abu Samahanda hat seine Finger in
sämtlichen Terrorindustrien im Gazastreifen. An seinen Händen klebt viel
jüdisches Blut." Vize-Verteidigungsminister Zeev Boim fügte hinzu: "Seine
Stellung verleiht ihm keine Immunität. Wir könnten unsere Datenbank mit
vorbereiteten Zielen gegen die Hamas hervorholen."
Als Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas im Mai vor einem Jahr auf dem Weg
nach Washington verkündete, dass nun die "Ära der Selbstmordattentate"
vorüber sei, ließ Israel durchblicken, dass es weiterhin die prominentesten
Terroristen jagen wolle. Neben Muhammad Def, der schon mindestens zwei
"gezielte Tötungen" schwer verletzt überlebte, steht Jamal Abu Samahanda
ganz oben auf Israels Abschussliste. Samahanda ist Chef der "Populären
Widerstandsgruppen", ein "semi-kriminelles" Bündnis frustrierter
Sicherheitsleute, militanter Familienclans und anderer Organisationen, die
sich nicht der Autorität der Autonomiebehörde beugen wollen. "Ich will auch
weiterhin auf den Abzug drücken, wenn es notwendig ist", sagte Samhadana
nach seiner Ernennung. Er wolle weiterhin die Widerstandsgruppen befehligen
und werde den Beschuss Israels mit Raketen nicht stoppen. "Ich will für die
Israelis eine ständige Bedrohung darstellen", sagte der Vater von fünf
Kindern auf dem Höhepunkt der Intifada, nachdem er in zwei Jahren an 200
verschiedenen Orten übernachtet hat, um den Israelis zu entgehen.
Samhadana wurde in den achtziger Jahren in der DDR drei Jahre lang in
urbaner Kriegsführung und Sprengstofftechnik ausgebildet, zusammen mit
Militanten aus Nikaragua und Kuba. 1994 kehrte er mit Arafat aus dem Exil
zurück in die Heimat und wurde 1999 wegen seiner Proteste gegen
Preiserhöhungen bei Nahrungsmitteln ins Gefängnis gesteckt. Beim Abschuss
einer Kassamrakete auf Israel riss es ihm seinen rechten Arme weg.
Französische Ärzte flickten ihn wieder mit einem Stück Kochen aus dem Bein.
Der Kämpferchef mit dem arg deformierten Arm protzt, das eine israelische
Panzerrakete seinen Arm zerfetzt habe. "Zum Glück schieße ich mit den linken
Arm, sagt Samahanda, dem es gelangt, mit vergrabenen sprengstoffgefüllten
Fässern drei Merkava-Panzer zu zerstören und ihre Besatzungen zu töten.
Der Samahanda-Clan grub bei Rafah Tunnel unter den israelischen
Grenzbefestigungen hinweg nach Ägypten. Vor allem Waffen, Munition und
Drogen wurden da geschmuggelt. Es war eines der einträglichsten Geschäfte im
Gazastreifen. Jamal Abu Samahanda wird von den Amerikanern verdächtigt, im
Herbst 2003 drei amerikanische Diplomaten mit einer Autobombe ermordet zu
haben. Präsident Jassir Arafat hatte diesen Anschlag nie ernsthaft
aufgeklärt. Er bedeutete das Ende amerikanischer Vermittlermissionen.
Samahanda steht auch im Verdacht, Mussa Arafat, den Neffen des Präsidenten,
Sicherheitschef im Gazastreifen und Symbol der grassierenden Korruption vor
den Augen verschüchterter Polizisten nahe ihrem Hauptquartier auf offener
Straße ermordet zu haben. Präsident Abbas bot Samahanda an, dessen Stelle
einzunehmen, um die Kämpfer einzubinden und von seiner "Erfahrung" zu
profitieren.
Die Israelis verfügen über eine lange Liste von Anschlägen, die Samahanda
befohlen habe. Er wird "Mr. Kassam" genannt und habe die palästinensische
"Rüstungsindustrie" aufgebaut. In heimischen Metallwerkstätten werden jene
Kassam-Raketen herstellt, mit denen israelische Grenzstädte wie Sderot und
sogar Aschkelon täglich beschossen werden. Israel antwortet mit einem
ziemlich sinnlosen Artillerie-Beschuss der im August von Siedlungen
freigeräumten Zonen. Kürzlich schoss eine Granate über ihr Ziel hinweg, traf
ein Wohnhaus und tötete ein kleines Mädchen. Eine Verurteilung Israels in
der UNO wegen "exzessiver Gewalt" wurde von den Amerikanern
niedergeschlagen. Einen Tag später sprengte sich ein Palästinenser aus dem
Westjordanland in Tel Aviv und tötete neun Menschen, darunter zwei
Rumäninnen, eine Französin und eine 75-jährige Israeli. Die Hamas-Regierung
begrüßte diese "legitime Selbstverteidigung".
Samahanda macht keinen Hehl aus seinen Absichten: "Das (Innen-) Ministerium
wird mit den Widerstandsgruppen kooperieren, um das palästinensische Volk zu
verteidigen und sein Leiden zu mindern." Sein Sprecher Abu Abir: "Nichts
wird uns und andere Widerstandsgruppen abhalten, den Widerstand gegen die
Besatzung und ihre Verbrechen fortzusetzen." Obgleich Befehlshaber der
Sicherheitskräfte will er weiterhin seine 2000 Mann starke Miliz der
Salah-A-Din-Brigaden befehligen und eine neue, von Abbas schon als "illegal"
deklarierte Kampftruppe organisieren. Neben Israel sind seine erklärten
Feinde Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas und die Autonomiebehörde. |