Nur ein Plop:
Die Regierungsbildung in Israel
Von André Anchuelo
Jungle World 14 v.
05.04.2006
Der erwartete "große Knall" fand nicht statt, es blieb bei
einem "mittleren Plop": Lautmalerisch analysierte Herb Keinon, Kommentator
der Jerusalem Post, die Ergebnisse der israelischen Parlamentswahlen vom
Dienstag vergangener Woche. Dem amtlichen Endergebnis zufolge kommt die
erstmals angetretene Kadima-Partei des amtierenden Ministerpräsidenten Ehud
Olmert auf 29 von 120 Sitzen.
Damit ist die Kadima zwar die klare Wahlsiegerin, denn sie stellt die
mit Abstand größte Fraktion. Doch war ihr, und darauf spielt Keinon an,
zuvor ein weitaus größerer Triumph vorausgesagt worden. In Umfragen lag sie
zeitweise bei 40 Sitzen. Umso schwieriger dürfte für Olmert nun die Bildung
einer Regierungskoalition werden.
Mit den Stimmen der Kadima, der zweitplatzierten Arbeitspartei, der
linksliberalen Meretz und der Rentnerpartei Gil hätte er eine knappe
Mehrheit für seine Pläne einer einseitigen Abkoppelung von den
Palästinensern. Doch die Arbeits- und die Rentnerpartei wären mit ihren
zusammengenommen 27 Mandaten eine starke Lobby für die Wiederherstellung und
die Erhöhung sozialstaatlicher Leistungen, während die Kadima eine
wirtschaftsliberale Politik präferiert.
Insbesondere der Wahlerfolg der Gil, die auf Anhieb sieben Mandate
erreichte, dürfte als Protest gegen die Kürzungspolitik der bisherigen
Regierung zu verstehen sein. Auch die Wahlkampagne der Arbeitspartei unter
ihrem neuen Vorsitzenden, dem langjährigen Gewerkschaftschef Amir Peretz,
beinhaltete in erster Linie Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut. Statistiken
zufolge lebt inzwischen etwa ein Drittel der Israelis unter der
Armutsgrenze.
Doch mit anderen Koalitionspartnern hätte es Olmert nicht unbedingt
leichter. Die sephardisch-orthodoxe Shas-Partei, die drittstärkste Kraft in
der Knesset, hat sich bereits mit der Arbeitspartei verständigt, um gegen
die Kadima höhere Zahlungen für soziale Belange durchzusetzen. Zudem ist
ihre Meinung zu Olmerts Abkoppelungsplänen unklar. Die rechte Partei Yisrael
Beitenu hingegen, die vor allem von russischen Neueinwanderern gewählt wird
und auf elf Sitze kommt, steht der Kadima wirtschaftspolitisch näher, war
allerdings bisher strikt gegen territoriale Zugeständnisse.
Zur Überraschung vieler Beobachter verkündete Olmert in seiner Siegesrede,
"dauerhafte Grenzen des Staates Israel" durch "Verhandlungen und mit einem
Abkommen mit unseren palästinensischen Nachbarn" erreichen zu wollen. Nur
für den Fall einer fehlenden Verhandlungsbereitschaft der Palästinenser
werde "Israel sein Schicksal selbst in die Hand nehmen".
Dass jedoch erfolgreiche Verhandlungen unwahrscheinlich sind, zeigen die
jüngsten Geschehnisse in den Palästinensergebieten. Am Wahltag gab es
erstmals einen Angriff vom Gaza-Streifen auf israelisches Territorium mit
einer Katyusha-Rakete, die zum Glück keinen größeren Schaden anrichtete. Im
Gegensatz zu den bisher verwendeten selbst produzierten Kassam-Raketen
werden die Katyushas industriell gefertigt, unter anderem im Iran. Sie haben
eine wesentlich größere Reichweite und Zielgenauigkeit. Unklar ist bislang,
ob der Islamische Jihad, der hinter dem Angriff steht, es bereits geschafft
hat, größere Mengen dieser Raketen in die Palästinensergebiete zu
schmuggeln. Am Donnerstag der vorigen Woche folgte dann ein
Selbstmordattentat, bei dem vier Israelis in der Westbank getötet wurden. Zu
den Morden bekannten sich die Al-Aqsa-Brigaden, die mit der Fatah-Bewegung
des Palästinenserpräsidenten Mahmoud Abbas verbunden sind.
hagalil.com 06-04-2006 |