Italien:
Ein Krawall zur rechten Zeit
Die rechten
Regierungsparteien versuchen, die Ausschreitungen von Mailand zu nutzen. Die
Mailänder Linke ist sich uneins, wie sie auf die zunehmende faschistische
Gewalt reagieren soll.
Von Egon Günther
Jungle World
13 v. 29.03.2006
Verkehrte Welt in Mailand? Mit ihren Rutenbündeln und
Keltenkreuzen, "Duce, Duce!" rufend und die Hand zum römischen Gruß erhoben,
marschierten am 11.?März rund 1000 Nazifaschisten und Boneheads von der
rechtsradikalen Partei Fiamma Tricolore durch die Straßen von Mailand –
einer Stadt immerhin, der wegen des Widerstands ihrer Bevölkerung gegen
Mussolini und die deutschen Besatzer einst die Goldmedaille der Resistenza,
des bewaffneten italienischen Widerstands, verliehen wurde.
Doch ungefähr 300 so genannte Autonome aus einigen Centri Sociali der Stadt
stellten sich der Gruppierung entgegen, die von dem notorischen
Holocaustleugner und erklärten Rassisten Luca Romagnoli angeführt wird und
die mit Silvio Berlusconis Bündnis "Haus der Freiheiten" Absprachen für die
bevorstehenden Wahlen getroffen hat. Auf einer vorausgegangenen
Vollversammlung hatten die Autonomen beschlossen, den Nazifaschisten nicht
ohne weiteres die Straße zu überlassen. Zwei Jahre nach der Ermordung eines
Linken aus dem Centro Sociale Orso durch faschistische Messerstecher und 28
Jahre nach den ebenfalls von Faschisten verübten Morden an Fausto und Iaio,
zweier Genossen des ältesten Sozialen Zentrums der Stadt, des Leoncavallo,
wurde der Marsch der Fiamma Tricolore von diesem Teil der Mailänder Linken
als das verstanden, was er war: eine Provokation und ein Skandal.
Ein anderer Teil, darunter die Aktivisten des Leoncavallo, hatte es an
diesem Samstag vorgezogen, an einer nationalen Großdemonstration in Rom
gegen die restriktive Drogenpolitik der Rechtsregierung teilzunehmen. Andere
wiederum blieben gleich zu Hause. Bereits am Mittag verhinderten starke, zur
Aufstandsbekämpfung gerüstete Polizeieinheiten, dass die Antifaschisten die
für den Aufzug der Nazifaschisten vorgesehenen Straßen und Plätze, von der
Porta Venezia zur Piazza San Babila, besetzen konnten. Dabei kam es zu
Scharmützeln, wobei von der Polizei Schlagstöcke und Tränengas eingesetzt
wurden. Eine Barrikade wurde gebaut, und in der am meisten frequentierten
Mailänder Einkaufsmeile am Corso Buenos Aires gingen ein paar
Schaufensterscheiben zu Bruch. Außerdem fingen vier Autos, ein Motorrad, ein
Kiosk sowie ein Wahllokal der rechten Regierungspartei Alleanza Nazionale
Feuer.
Ungefähr jeder zehnte aus der kleinen Schar der protestierenden
Antifaschisten wurde von der Polizei festgenommen, die ihren eigenen Angaben
zufolge Mühe hatte, einige Demonstranten vor einem angeblich zum Lynchen
bereiten Mob Mailänder Bürger zu retten, der sich über den Sachschaden aus
der Straßenschlacht und die "Gewalt der Autonomen" empörte. Derzeit befinden
sich noch 35 Leute im Gefängnis.
Kaum hatte sich das Tränengas verzogen, eilten diesen ausgesucht
gewaltfreien Bürgern die Führer der rechten Regierungspartien zu Hilfe, die
in den Scherben von Mailand und der von den meisten Medien und vom
Innenminister Giuseppe Pisanu überzogen als "Stadtguerillakampf"
dargestellten, kläglich gescheiterten antifaschistischen Aktion ein
kostenloses Wahlkampfgeschenk erkannten.
Zuvorderst waren natürlich die rechten Biedermänner um Gianfranco Fini und
Silvio Berlusconi zur Stelle. Meinungsumfragen sagen ihnen eine
Wahlniederlage vorher. Der Skandal um die Bespitzelung politischer Gegner
vor der Regionalwahl in der Region Latium ("Laziogate"), der jüngst zum
Rücktritt des Gesundheitsministers Francesco Storace führte, war nicht
gerade hilfreich im Wahlkampf. Ein vom Mailänder Händlerverband ausgerufener
abendlicher Fackelmarsch "gegen die Gewalt der Autonomen" bot ihnen eine
willkommene Gelegenheit, die Ereignisse am Corso Buenos Aires für ihre
Zwecke zu instrumentalisieren.
Mit zahlreichen italienischen Fahnen und hinter einem mit einem Wortspiel
glänzenden Spruchband mit der Aufschrift "No ai prodi autonomi!" ("Wider die
autonomen Helden!") zogen Mitglieder des Verbandes italienischer Polizisten
und Anhänger der Lega Nord, der Forza Italia und diverser faschistischer
Parteien durch Mailand. Auch Silvio Berlusconi und Gianfranco Fini liefen
mit, während Romano Prodi, der Spitzenkandidat des Linksbündnisses,
wohlweislich nicht an dem Umzug teilnahm, den er als "Falle" bezeichnete.
Tatsächlich beabsichtigten die Rechten, sich den Umstand zunutze zu machen,
dass etliche Kandidaten von Prodis Bündnispartner Rifondazione Comunista
aus den Centri Sociali und der globalisierungskritischen Bewegung kommen.
Ihre Inszenierung zielte zu offensichtlich darauf ab, Prodi in den Augen der
veröffentlichten Meinung zum Schutzherren der autonomen Gewalt und sich
selbst zu Freunden und Helfern der friedliebenden Bürger zu stilisieren.
Daniele Farina, der Sprecher des Leoncavallo, dachte womöglich, er könne
mit seiner Teilnahme am Fackelzug und seiner dadurch ausgedrückten Ablehnung
der Gewalt die rechte Strategie unterlaufen. Die Spaltung der radikalen
Mailänder Linken ist somit augenfällig. Auf der einen Seite sind diejenigen,
die glauben, dass man auf der symbolischen Ebene nur verlieren könne, wenn
man den Faschisten auf eine militante Weise Einhalt zu gebieten versucht.
Sie behaupten, ihre Lehren aus der von gewalttätigen Auseinandersetzungen
gekennzeichneten und letztlich erfolglosen linken Geschichte der siebziger
Jahre gezogen zu haben. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die davon
überzeugt sind, dass der antifaschistische Kampf langfristig auch ein
militantes Vorgehen umfassen müsse.
Fest steht jedenfalls, dass man, in welcher Weise auch immer, auf die
faschistischen Attacken auf Migranten, Linke und Centri Sociali reagieren
muss, die sich in letzter Zeit alarmierend gehäuft haben – am besten, ohne
dabei den Rechten in die Hände zu spielen. Denn Parteien wie Fiamma
Tricolore sind nicht bloß honorige Wahlvereine mit ewiggestrigen Ansichten.
Mit Piero Puschiavo und Maurizio Boccacci verfügt die Partei mittlerweile
über zwei jüngere Sekretäre, die es als Gründer und Führer der "Veneto
Fronte Skinheads" bzw. der "Base Autonoma" mit ihren Neonazi-Netzwerken
nicht immer nur beim totalitären Vergangenheitskult oder bei
fremdenfeindlichen Sprüchen belassen haben. Sie sind nachweislich für
zahlreiche Übergriffe auf Juden, Migranten und Linke verantwortlich. Dass
solche Leute nun von einer sich bedrängt fühlenden Rechtsregierung
aufgewertet werden, ist der Skandal.
hagalil.com 06-04-2006 |