Kontroverse Studie:
Harvard distanziert sich von Kritik an Pro-Israel-Lobby
Auszüge aus einem Artikel von
Ha'aretz-Korrespondent Shmuel Rosner, Ha’aretz, 24.03.2006
Übersetzung Daniela Marcus
Washington – Die Universität Harvard hat
beschlossen, ihr Logo von einer Studie, die den Einfluss der
Pro-Israel-Lobby auf die amerikanische Außenpolitik anprangert, zu
entfernen, um sich dadurch von den Schlussfolgerungen der Studie zu
distanzieren.
Die Universität fügte außerdem ein nachdrücklicheres Dementi der
Studie hinzu. Sie sagte, die Studie reflektiere nur die Meinung der
Autoren. Das frühere Dementi hatte nur gelautet, die Studie
reflektiere "nicht unbedingt" die Meinung der Universität.
Die kontroverse Studie, die Mitte März veröffentlicht worden war,
wurde von Professor Stephen Walt von Harvards Kennedy School of
Government und von Professor John Mearsheimer von der Universität
Chicago verfasst. Sie beklagt, dass die amerikanische Außenpolitik
israelischen Interessen unterstellt wurde und beschuldigt die
Pro-Israel-Lobby, für die amerikanische Invasion im Irak
verantwortlich zu sein.
Die zahlreichen Kritiker der Studie sagen, ihre akademische Qualität
sei schlecht und sie sei im Wesentlichen eher politische Polemik als
solide akademische Forschung. Bekannte Forscher wie Marvin Kalb, der
auch zu Harvards Kennedy School gehört, sagten, die Studie käme
nicht einmal minimalen akademischen Standards nach.
In arabischen Medien hat die Studie jedoch großes Interesse geweckt.
Sie wurde dort oft zitiert. Das Büro der Palästinensischen
Befreiungsorganisation (PLO) in Washington versandte sie per Email
an Tausende Mitglieder seiner Mailing-Liste, und Lobbyisten
arabischer Staaten verteilten sie. Die Studie erntete außerdem Lob
vom früheren Ku-Klux-Klan-Führer David Duke.
Eine der Behauptungen der Studie sagt, amerikanische Gegner Israels
würden durch Beschuldigungen der Pro-Israel-Lobby, sie seien
antisemitisch, ständig zum Schweigen gebracht. Kongressmitglied
Eliot Engel aus New York sagte in einem Interview mit Ha’aretz, die
Studie selbst sei eine Form von Antisemitismus und verdiene die
Geringschätzung der Öffentlichkeit.
Gemäß der Studie ist die Pro-Israel-Lobby ein Krake, dessen Fangarme
die Gesetzgebung des amerikanischen Kongresses, die
Regierungspolitik, die Presse und andere Behörden festhalten. Der
Bericht konzentriert sich auf die wichtigste Pro-Israel-Lobby, AIPAC
(American Israel Public Affairs Committee), behandelt aber auch
andere Organisationen wie z. B. das Washingtoner Institut für
Nahostpolitik (Washington Institute for Near East Policy) und widmet
Regierungsbeamten mit pro-israelischer Einstellung (…) große
Aufmerksamkeit. Zu letzteren gehören der frühere stellvertretende
Verteidigungsminister der Bush-Regierung, Paul Wolfowitz, und der
frühere stellvertretende Außenminister der Clinton-Regierung, Martin
Indyk. Die Studie beschuldigt die Pro-Israel-Lobby auch, Akademiker
zu beobachten um sicher zu stellen, dass sie nicht von der
Pro-Israel-Linie abweichen. (…)
Israelische Offizielle sind besorgt über die Studie. Sie sagen, die
Gefahr bestehe, dass sie benutzt wird, um Israel unter
amerikanischen Intellektuellen zu delegitimieren. Allerdings scheint
sie bis jetzt nicht so viel Zuspruch unter Akademikern, die auf
amerikanische Außenpolitik spezialisiert sind, gefunden zu haben.
Gemäß eines dieser Akademiker, der anonym bleiben wollte, soll die
Studie offensichtlich viele korrekte Fakten enthalten, doch deren
Präsentation sei verzerrt und die Schlussfolgerungen, die die
Autoren daraus ableiten, seien nicht zur Veröffentlichung geeignet.
Zum Beispiel ignoriere die Studie völlig den enormen Einfluss der
arabischen Öl-Lobby auf die amerikanische Politik und präsentiere
ein einseitiges und politisch vollkommen tendenziöses Weltbild.
Andere Akademiker (…) weisen auf viele professionelle Fehler in der
Studie hin. So würden z. B. wichtige Fakten ignoriert, die Autoren
bezögen sich auf inoffizielle Quellen (…) und gelangten zu
Schlussfolgerungen, die durch die Fakten nicht unbedingt unterstützt
würden.
Zusätzlich zur Wiederholung der abgedroschenen Anklage, nach der
jüdische Neokonservative der Bush-Regierung für die amerikanische
Invasion im Irak verantwortlich seien, beschuldigt die Studie die
Pro-Israel-Lobby, die amerikanische Regierung und das amerikanische
Volk gegen die palästinensische Autonomieregierung aufzuhetzen,
einen Meinungsumschwung in der amerikanischen Politik gegenüber
Syrien und anderen arabischen Staaten herbeizuführen und die
Vereinigten Staaten in eine aggressive Aktion gegen das iranische
Nuklearprogramm drängen zu wollen.
hagalil.com 02-04-2006 |